Zu teuer, zum Schaden der Energiewende, zu wenig Klimaschutz – mit diesen Vorwürfen kritisiert der Ökostromanbieter Greenpeace Energy die Vereinbarungen zum Braunkohleausstieg.
Eine entsprechende Stellungnahme hat die Hamburger Genossenschaft jetzt nach eigenen Angaben im beihilferechtlichen Verfahren der EU zur Höhe der Entschädigungszahlungen für die Stromkonzerne RWE und Leag abgegeben.
Darin wird die EU-Kommission aufgefordert, die Entschädigungen in der jetzigen Form nicht zu genehmigen. Die Beihilfe sei "unverhältnismäßig hoch", schade in mehrfacher Hinsicht der Energiewende und verzerre den Wettbewerb, erklärte Greenpeace-Energy-Vorstand Sönke Tangermann.
Der Ökostromer beruft sich dabei auf eine Analyse von Energy Brainpool. Das Berliner Beratungsunternehmen ermittelte für Greenpeace Energy insbesondere die voraussichtlichen Kosten und Strom-Erlöse der 15 RWE-Braunkohleblöcke.
Demnach betrug ihr Marktwert im Jahr 2020 unterm Strich noch rund 1,3 Milliarden Euro. Das ist die Hälfte der von der Bundesregierung mit RWE vereinbarten Entschädigung von 2,6 Milliarden Euro.
Laut Energy Brainpool sinken zudem die Gewinne der RWE-Blöcke am Strommarkt kontinuierlich. Vor allem durch steigende CO2-Preise würden die Betriebskosten zunehmen und die Erlöse nach und nach übersteigen. Schon im kommenden Jahr werde der RWE-Kraftwerkspark am Markt nur noch rund 673 Millionen Euro wert sein, heißt es in der Analyse weiter. Das wäre fast eine erneute Halbierung.
Entschädigung laut Analysten vielfach überhöht
Wirtschaftsanalysten des Klima-Thinktanks Ember, die zusammen mit der Umweltorganisation Greenpeace die Entschädigungs-Berechnungen des Bundeswirtschaftsministeriums ebenfalls untersuchten, waren Mitte Mai zum Ergebnis gekommen, dass RWE und Leag statt der vereinbarten 4,35 Milliarden Euro Braunkohle-Entschädigung zusammen maximal 343 Millionen Euro zustünden, also nur acht Prozent.
Aus Sicht des Beihilferechts werfe die Art und Weise, wie die Entschädigungsbeträge festgelegt wurden, viele Fragen auf, sagte die Anwältin Maria Segura von der Brüsseler Kanzlei Clayton & Segura, die Greenpeace Energy berät. "Um mit den Beihilferegeln vereinbar zu sein, müssen sich Beihilfen unter anderem auf ein Minimum beschränken, was hier fraglich ist."
Die beschlossene Laufzeit der deutschen Braunkohlekraftwerke bis 2038 widerspricht auch den neuen Klimazielen der Bundesregierung. Energy Brainpool weist in einer anderen Analyse darauf hin, dass eine Reduktion der CO2-Emissionen der Energiewirtschaft im Jahr 2030 auf nunmehr 108 Millionen Tonnen nur mit einem vorgezogenen Kohleausstieg gelingen kann.
Würde schon 2030 keine Braunkohle mehr zur Stromerzeugung verfeuert werden, könnten die Emissionen der Energiebranche auf 118 Millionen Tonnen sinken. Erreichten die erneuerbaren Energien dann im selben Jahr einen Strommarkt-Anteil von 75 statt der bisher vorgesehenen 65 Prozent, sei das neue Sektorziel von 108 Millionen Tonnen erfüllbar, so die Energieexperten.
Braunkohle wird zum "Fremdkörper"
Die Entschädigungs-Analyse von Energy Brainpool macht auch deutlich, dass die Braunkohleverstromung immer stärker zu einer Art Fremdkörper im mehr und mehr erneuerbar geprägten Energiesystem wird.
Weil die Braunkohle-Kapazitäten die Preise auf dem Energiemarkt verzerrten, sinken laut dem Gutachten die Erlöse von Ökoenergie-Anbietern wie Greenpeace Energy. "Zudem werden dadurch wichtigen Investitionen in Sektorenkopplungs- und Flexibilitätstechnologien Steine in den Weg gelegt", sagte Gutachten-Autor Michael Claußner von Energy Brainpool.
Die von Braunkohlekraftwerken verursachten hohen CO2-Emissionen verschlechterten den deutschen Strommix und verhinderten so, dass Elektromobilität, Wärmepumpen und grüner Wasserstoff ihr Klima-Potenzial voll ausspielen könnten.
Die überhöhten Entschädigungen gewährten RWE und Leag zudem Marktvorteile gegenüber Unternehmen, die sich seit Jahren für die Energiewende engagierten. So könne sich etwa der Betreiber eines unrentablen Kohlekraftwerks mit eigenen Ökostromprojekten an den EEG-Ausschreibungen beteiligen und sich durch die Kohle-Stilllegungsprämie wettbewerbliche Vorteile in den Auktionen verschaffen.
Greenpeace Energy geht davon aus, dass die EU-Kommission Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Kompensationen für RWE und Leag hat. Deshalb habe die Kommission ja das Prüfverfahren eröffnet, erklärte ein Unternehmenssprecher auf Nachfrage von Klimareporter°.
Die Prüfung selbst und das Einholen weiterer Expertisen und Stellungnahmen würden aber noch einige Monate dauern, so der Sprecher. Möglicherweise werde erst Ende des Jahres ein Ergebnis vorliegen. Eine Entscheidung noch vor der Bundestagswahl sei eher unwahrscheinlich.