Kran hebt Container mit Wasserstoff-Elektrolyseur auf Platz neben einem alten Beton-Schornstein.
Solche dezentralen Wasserstoff-Elektrolyseure werden zugunsten von zentralen Großanlagen in den Hintergrund treten, so die Fraunhofer-Studie. (Foto: Thüga)

Auf den ersten Blick beeindruckt die Zahl. 62 großen Wasserstoff-Vorhaben gaben Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) letzte Woche grünes Licht.

Die 62 Projekte sind von den Ministerien als geeignet befunden worden, um eine europäische Wasserstoffwirtschaft aufzubauen. Insgesamt rund acht Milliarden Euro Förderung von Bund und Ländern sollen in den nächsten Jahren dafür fließen.

Dass sie Großes angestoßen haben, daran ließen beide Minister in ihren Statements keine Zweifel. Altmaier: "Wir wollen bei Wasserstofftechnologien die Nummer eins in der Welt werden." Mit "wir" meint er Deutschland und Europa. Scheuer ist da nationaler drauf. Als Zielmarke gibt er aus: "Wir machen Deutschland zum Wasserstoff-Land."

Ganz Deutschland? Ein genauer Blick auf die vom Wirtschaftsministerium verbreitete Deutschland-Karte mit den 62 Projekten offenbart: Ein einziges der zwölf Wasserstoff-Mobilitäts-Projekte des Verkehrsministeriums – es heißt "H2 Mobility" – ist auf dem Gebiet der fünf neuen Länder und Berlins zu lokalisieren, gemeinhin als Ostdeutschland zusammengefasst.

Genau genommen ist nur der Firmensitz in Berlin die einzige richtige Osteigenschaft von H2 Mobility. Ziel des Projekts ist es laut Selbstdarstellung, hundert Wasserstoffstationen in sieben deutschen Ballungszentren aufzubauen. Berlin ist als einziges "ostdeutsches" auch darunter. Die Projektträger von H2 Mobility sind mit Air Liquide, Daimler, Linde, OMV, Shell und Total eher international.

Ostdeutsche Stärken

Besser sieht das Ost-West-Verhältnis bei den 50 Projekten aus, auf die Altmaiers Wahl gefallen ist. Von ihnen sind 15 auf dem Gebiet der neuen Länder und Berlins zu finden.

Das kommt der Idee schon näher, die drei Fraunhofer-Institute Mitte Mai mit der Studie für einen "Wasserstoff-Masterplan für Ostdeutschland" auf den Tisch legten. Auftraggeber der Studie: der Gasversorger VNG mit Sitz in Leipzig.

Die Umstellung auf Wasserstoff biete die große Chance, sich ergänzende ostdeutsche Stärken durch koordiniertes Handeln von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zu bündeln, erklärt Mario Ragwitz, Leiter des Fraunhofer IEG in Cottbus und Sprecher des Fraunhofer-Wasserstoffnetzwerks, zur Studie.

Interessant ist dabei, was die Forscher als "ostdeutsche Stärke" ausmachen. So könnten vor allem Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg große Mengen – Zitat – "nachhaltigen Stroms" bereitstellen.

In Sachsen-Anhalt gebe es eine breite Chemie-Expertise und ausgebaute Gasspeicher. In Sachsen wiederum sei der Anlagen- und Maschinenbau zu Hause und in Thüringen die Sicherheits- sowie Mess-, Steuer- und Regelungstechnik, heißt es in der Studie.

Anders gesagt: Die eher dünn besiedelten Regionen im Norden des Ostens könnten den Ökostrom liefern, der dann im wirtschaftlich entwickelteren Süden des Ostens in Wasserstoff und Wertschöpfung verwandelt wird.

H2-Rohstofflieferant Nord-Ost

Entsprechend beziffert die Studie die Potenziale zur Erzeugung grünen Stroms. Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg könnten danach 2050 zusammen fast 150 Milliarden nachhaltige Kilowattstunden erzeugen, drei Fünftel der gesamten ostdeutschen Stromerzeugungskapazität von dann 252 Milliarden Kilowattstunden. Letzteres entspricht rechnerisch dem gesamten deutschen Ökostromaufkommen.

Auch bei einer Wasserstoff-Wirtschaft würden die Verbrauchsregionen also eher im Süden des Ostens liegen. Ganz so strukturkonservativ wollen die Fraunhofer-Forscher ihre Ergebnisse nicht verstanden wissen. Die Rolle der Nordost-Länder als Rohstofflieferanten sei "enorm wichtig" und "essenziell" für den Aufbau der Ost-Wasserstoffwirtschaft, erklären sie auf Nachfrage.

Für die Zukunft rechnen sie dann damit, dass sich die Wasserstofferzeugung wandelt – von einer verbrauchsnahen, dezentralen zu einer zentralen Produktion. Hierfür müssten dann Megawatt-Elektrolyseure direkt am Ort der erneuerbaren Stromerzeugung errichtet und eine passende Transport- und Verteil-Infrastruktur entwickelt werden.

Darauf aufbauend sehen die Forscher für Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern längerfristig auch keine Nachteile. Vielmehr könnten diese Länder "neue Bereiche der (Wasserstoff-)Wertschöpfungskette" erschließen.

Per Saldo Ökoenergieexporteur

Gesamtdeutsch gesehen wird der Osten aber eher eine Exportregion für erneuerbare Energie bleiben. In ihrer Studie beziffern die Fraunhofer-Forscher den ostdeutschen "Eigenbedarf" an "grünem" Wasserstoff in Verkehr und Industrie für 2050 auf 49 Milliarden Kilowattstunden.

Um diesen Wasserstoff herzustellen, sei eine erneuerbare Stromerzeugung von etwa 70 Milliarden Kilowattstunden nötig. Damit würden mehr als zwei Drittel der gesamten Ost-Erzeugung – rund 180 Milliarden Kilowattstunden – für andere Nutzungen zur Verfügung stehen.

Zum Vergleich: Für 2030 rechnet die Bundesregierung in ihrer Wasserstoffstrategie mit einem deutschlandweiten Bedarf an "grünem" Wasserstoff von 90 bis 110 Milliarden Kilowattstunden. Das ostdeutsche Potenzial ist also erheblich.

Den Forschern erscheint dieses Ergebnis ihrer Studie besonders wichtig, wenn Deutschland wie geplant schon 2045 klimaneutral sein will. Die Nachfrage nach Wasserstoff könnte dann sogar höher ausfallen. Würde der "Masterplan" für Ostdeutschland entsprechend umgesetzt, könnte das zum Erreichen der gesamtdeutschen Klimaziele beitragen.

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