Einbau einer Molchschleuse zur Reinigung einer Ferngasleitung südlich von Leipzig. (Bild: Tom Schulze/​VNG)

Wer noch 2021 in die Cottbuser Stadthalle zu einer Energie-Tagung kam, sah sich einer von der Kohlegewerkschaft herbeibeorderten Demo-Gruppe aus Bergarbeitern gegenüber. Im Haus selbst machten ausgesuchte Azubis des Lausitzer Braunkohleverstromers Leag meist darauf aufmerksam, dass der Kohleausstieg ihre Zukunft gefährde.

An diesem Dienstagmorgen steht vor der Halle in der brandenburgischen Stadt ein eher kleiner Haufen protestierender Bauern und fordert den Rücktritt des Bundeswirtschaftsministers. Der Grüne Robert Habeck hat bei der mittlerweile dritten Strukturwandelkonferenz des Energie-Branchenverbandes BDEW erstmals sein persönliches Erscheinen angekündigt.

Über die Kohle verliert Habeck auf dem Podium dann kein Wort. Nach einer Konferenzstunde fällt überhaupt erst das Wort Kohlekonzern, eingeworfen vom Moderator. Denn für die Leag hatte der Wirtschaftsminister eine gute Nachricht mitgebracht.

Habeck will Entschädigung für Kohlekonzern durchbringen

Zu Ostern – das Fest liegt dieses Jahr Ende März – solle bei der EU-Kommission nun endlich die Notifizierung der Beihilfe durchgebracht werden, sagt Habeck in Richtung Leag. Sein Haus und er persönlich sähen sich da in der Pflicht.

Wer sich an das Problem mit der Beihilfe gerade nicht erinnert: Wegen des politisch beschlossenen Kohleausstiegs 2038 sollen der Leag Gewinne entgangen sein. Dafür hatte die Bundesregierung dem Stromkonzern vertraglich 1,75 Milliarden Euro Entschädigung zugesichert.

Das ist drei Jahre her. Seitdem versucht das Wirtschaftsministerium, der EU-Kommission plausibel zu erklären, warum der Leag eine derart hohe Summe zusteht. Das ist nicht so einfach, weil beispielsweise der andere deutsche Braunkohlekonzern, RWE, schon 2030 aus der Braunkohle aussteigt und damit auch dem Umstand Rechnung trägt, dass der Strommarkt und der Klimaschutz die Kohleverstromung unrentabel werden lassen.

 

Beobachter erwarten deswegen seit einiger Zeit, dass die Leag nicht die volle Entschädigungssumme erhält. Außerdem ist in Cottbus zu hören, dass auch das Habecksche Versprechen, die EU-Kommission bis Ostern zu überzeugen, auf einigermaßen wackligem Grund stehe.

Leag-Vorstandschef Thorsten Kramer begrüßt jedenfalls Habecks Absicht. Gegenüber Medien erklärte er aber auch, bei der Notifizierung der Beihilfe gehe es nicht um einen niedrigeren Betrag. Die 1,75 Milliarden würden sich möglicherweise nur anders zusammensetzen, weil sich Randbedingungen geändert haben.

Ist das die gute Nachricht aus Cottbus, so sorgt eine andere aus dem Hause Habeck für neue Sorgenfalten in den Ost-Kohleregionen: die kürzlich vorgelegte Kraftwerksstrategie.

Streit um Standorte der Wasserstoff-Kraftwerke

Das Wirtschaftsministerium will zunächst nur 10.000 Megawatt neue Gaskraftwerke bauen lassen, um die schwankende Erzeugung aus Wind und Sonne abzusichern. Ursprünglich lautete der Plan, knapp 24.000 Megawatt neue Kraftwerke auszuschreiben, die das Beiwort H2-ready tragen, also später mit Wasserstoff statt mit fossilem Erdgas laufen sollen.

Nicht nur die Kürzung macht der Leag zu schaffen. Die neuen 10.000 Megawatt sollen auch noch bundesweit zu je 2.500 Megawatt ausgeschrieben werden – allein die Leag plant aber, an mehreren Standorten zusammengenommen um die 4.000 Megawatt an künftigen Wasserstoffkraftwerken zu errichten.

Bei insgesamt nur vier Ausschreibungen könnte sie nun unter Umständen teilweise oder gänzlich leer ausgehen. Leag-Chef Kramer macht Habeck in Cottbus auch gleich auf das Problem aufmerksam. "Händeringend" warte sein Unternehmen auf die Ausschreibungen für die Kraftwerksstrategie. Für die entsprechenden Anlagen habe die Leag drei Standorte in der Lausitz und einen in Leipzig im Blick, die alle "beste" Voraussetzungen für H2-ready-Kraftwerke böten, lobt Kramer.

Die Leag, so ihr Vorstandschef weiter, hoffe auf einen fairen Wettbewerb bei den Ausschreibungen und darauf, dass in der Region zwei oder drei der bestehenden Kraftwerksstandorte dann wieder belegt werden. Die neuen Wasserstoff-Kraftwerke sollten die Region versorgen, aber auch die Netzstabilität im Osten sichern, betont Kramer.

Mit der Netzstabilität argumentieren allerdings auch die süddeutschen Regionen. So plädieren Vorstände von EnBW Energie Baden-Württemberg für eine "Regionalkomponente" in den Ausschreibungen, um die Versorgungssicherheit auch im Südwesten zu gewährleisten. Die angestrebten viermal 2.500 Megawatt müssten an den richtigen Standorten entstehen, vorwiegend im Süden.

Weniger neue Kraftwerke bremsen Umstieg auf Wasserstoff ab

Habeck bremst allerdings beide Seiten erst einmal aus. Zurzeit kämpfe sein Haus mit der EU-Kommission darum, wann denn die zunächst erdgasbefeuerten Kraftwerke wirklich auf Wasserstoff umgestellt werden. Die EU wolle nicht, dass Deutschland Gaskraftwerke fördert, sagte Habeck, sondern die Mittel sollten nur Wasserstoffanlagen zuteilwerden.

Mit der deutlichen Kürzung bei den neuen Kraftwerken von fast 24.000 auf 10.000 Megawatt haben sich auch einige der in den Ost-Kohleregionen gepflegten Wasserstoff-Visionen verflüchtigt. Erstmal sinkt damit der Bedarf nach Wasserstoff schlagartig. Mit einem breiten Einsatz wird nicht mehr vor 2028 gerechnet.

Positiv werden in Cottbus die Beschlüsse zum Wasserstoff-Kernnetz bewertet. Allerdings schrecken die Investoren bisher davor zurück, die Milliarden zur Finanzierung des Netzes herauszurücken. Die Risiken seien einfach noch zu hoch, es müsste erst noch eine Investorenkonferenz stattfinden, ist vom Tagungspodium zu hören.

Zudem erinnert BDEW-Vizechefin Kirsten Westphal in Cottbus daran, dass der Einsatz des grünen Wasserstoffs kein Selbstzweck ist, sondern dem Ziel der Klimaneutralität dient. Am Ende verkörpere Wasserstoff nicht einen Wert an sich, sondern dieser zeige sich in der Dekarbonisierung.

Anders gesagt: Es kommt nicht auf die reine Menge des H2 an, sondern auf den sinnvollen Einsatz.

Länderchefs sehen Wasserstoff-Strategie kritisch

Für weitere Ernüchterung bei den Wasserstoff-Fans sorgen zum Konferenzabschluss die Länderchefs von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Dietmar Woidke (SPD), Ministerpräsident von Brandenburg, will Wasserstoff vor allem regional erzeugen und dann nur stofflich nutzen, beispielsweise für synthetischen Flugzeugtreibstoff.

Von dem H2-ready-Konzept, wie es Habeck und teilweise auch die Leag verfolgen, hält Woidke nichts. Wenn er höre, jemand baue jetzt ein Gaskraftwerk und wolle dann den Wasserstoff aus Katar oder sonst woher holen und verbrennen, dann könne man das Geld gleich in den Ofen stecken, ruft Woidke in den Saal.

Für den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) steckt Wasserstoff noch in den Kinderschuhen. Erst müsse noch geforscht werden.

Besonders Kretschmer zieht in Cottbus über die Energiepolitik der Ampel her. Energie sei in Deutschland unglaublich teuer, Unternehmen wanderten ab. Die Energiewende müsse man neu aufsetzen und neu rechnen, fordert er.

In der Wirtschaftspolitik werde "mehr Ludwig Erhard und weniger Günter Mittag" gebraucht, Deutschland habe leider mehr vom zweiten, fährt Kretschmer fort und setzt noch eins drauf: Er lese gerade, die Grünen wollten aus der Mitte der Gesellschaft heraus die Demokratie zusammenhalten. Für ihn seien das die Leute, die das Land spalten. Das hätten die Bauern am Morgen sicher gern gehört.

Wer übrigens nicht weiß, wer Günter Mittag war und wen Kretschmer mit dem Vergleich konkret im Blick hat, kann bei der sächsischen Staatskanzlei nachfragen.