
"Heringshalle" steht auf dem Schild von Seminarraum 7. Wir befinden uns im Workshop "Roadmap for engaging with flooded people and communities". Recherchiert bitte ein Flutereignis und findet heraus, wie viele Menschen betroffen waren, wie viele ihre Häuser verlassen mussten und wie es weiterging, gibt Sanjay Johal von Flooded People UK zur Aufgabe. Etwa 30 Personen beugen sich über ihre Smartphones.
Fünf Minuten später hat sich die Welt verändert. Zahlen von Flutopfern und Schäden verbinden Orte, Katastrophen und Leid: Stürme in Österreich, Überflutungen in der Oberlausitz, Starkregen in Valencia, Wasser und Gerölllawinen in den französischen Alpen, Ausnahmezustand im Saarland, Flutkatastrophe in Pakistan.
Bei den flooded persons – so nennt Johal die Flutopfer – erhöht sich die Wahrscheinlichkeit für Depressionen, Angstzustände und posttraumatische Belastungsstörungen um das Sechs- bis Siebenfache. Die Regeneration brauche Jahre und spezielle Unterstützung, sagt der studierte Katastrophenmanager.
Die britische Nichtregierungsorganisation setzt dabei auf Empowerment durch Aktionsgruppen vor Ort. Flutopfer seien aber auch Menschen, die Veränderung in Gang bringen können, meint Johal. Denn sie hätten etwas zu sagen, wir müssten ihnen zuhören.
Der Flut-Workshop ist Teil der Konferenz "Wasser, Klima, Gerechtigkeit" im März in Alfter bei Bonn. Ein halbes Jahr lang hatte ein 20-köpfiges Team auf dieses Wochenende am Weltwassertag hingearbeitet. Mehr als 300 Menschen aus über 60 Gruppen und zehn Ländern nehmen teil.
"Wir haben es geschafft, früher aus der Kohle auszusteigen, Dörfer und Wälder zu retten und wenigstens ein bisschen die Klimakrise einzudämmen", sagt Alex Wernke vom Klimakollektiv, dem Trägerverein der Konferenz. "Wir stehen jetzt vor Herausforderungen, die immer unlösbarer erscheinen, mit der fortschreitenden Klimakrise, der zunehmenden Zerstörung von Lebensgrundlagen und dem Rechtsruck", so der studierte Umweltpsychologe. Das Treffen soll die Bewegungen verbinden, Hoffnung und Orientierung geben und ihre Wirksamkeit stärken.
Ungleicher Zugang zu Wasser
Wie der Klimawandel trifft auch das Wasserproblem die Menschen in Afrika besonders hart. "Der afrikanische Kontinent ist in weiten Teilen wasserreich", stellt Ruben Castro klar. Der Umweltingenieur forscht zur Wassergerechtigkeitsbewegung in Kenia und Südafrika.
In Nairobi gäbe es genug Wasser für alle. Doch bei der Verteilung des Wassers wirkt die alte Ungleichheit fort, so Castro. Anschlüsse gebe es in der Stadt nur für Industrie, Großkonzerne und Haushalte in den reichen Stadtteilen. Die Mehrheit der Bevölkerung müsse Sammelstellen aufsuchen oder teuer für Wasserkanister bezahlen. Die Versorgung übernehme ein Wasserkartell.
Coca-Cola und andere westliche Konzerne verdienen am Flaschenwasser. Sie kooperieren mit den lokalen Eliten und sichern sich unter dem Deckmantel des Naturschutzes den Zugang zu den Quellen, wie Castro berichtet. "Diese Machenschaften müssen offengelegt werden, das ist auch unsere Verantwortung."
"Aufstände der Erde" in Frankreich
In Frankreich zeigt sich, wie eng die Land- und die Wasserfrage miteinander verknüpft sind. Dort werden mit staatlicher Förderung sogenannte Megabassins angelegt. Das sind bis zu 20 Hektar große Speicherbecken mitten in der Landschaft, gut fünf Meter tief und von einem hohen Damm eingefasst. Damit das Wasser nicht versickert, wird der Boden mit Plastik ausgekleidet.
Das Wasser stammt aus Gewässern und Grundwasser und dient dem intensiven Maisanbau, denn der braucht im Juli und August viel Wasser. "Das sind genau die Monate, in denen wir hier wenig Wasser haben", sagt Julien Le Guet von der Bewegung Bassines Non Merci.
Der Staat setzt aber auf die Massenproduktion von Mais für den Export als Futtermittel und fördert die Megabassins in Millionenhöhe. Das gefährdet den Wasserhaushalt und die regionale Landwirtschaft.
Die Auseinandersetzungen in Frankreich um das Recht auf Wasser werden immer heftiger. Schlagzeilen machte das Vorgehen der Polizei im März 2023, als 30.000 Menschen gegen den Bau des Megabassins im westfranzösischen Sainte-Soline demonstrierten.
Nach Angaben der Organisator:innen von der Bewegung Les Soulèvements de la Terre (Aufstände der Erde) feuerte die Polizei mehr als 5.000 Tränengas- und Sprenggranaten auf die Demonstrierenden ab und griff Menschen von Quads aus mit Gummihartgeschossen an. Es gab mehr als 200 Verletzte, über 40 Schwerverletzte, darunter zwei Menschen im Koma. Zwei Personen erblindeten, eine weitere verlor ihren Fuß. Die Vorfälle sind bis heute nicht aufgeklärt.
"Inzwischen sind Beobachter der internationalen Menschenrechtsliga und der EU-Kommission in unsere Region gekommen, denn hier geschieht ein Verbrechen", sagt Le Guet. Die Agrarindustrie bezeichnet er als Kartenhaus, das früher oder später zusammenfallen werde.
Auch Deutschland ist kein Wasser-Musterland
In Deutschland befinden sich laut einem Bericht der EU-Kommission nur neun Prozent der Gewässer in einem guten Zustand. Damit liegt die Bundesrepublik weit hinter dem europäischen Schnitt von über 30 Prozent.
Hierzulande wurden 86 Prozent der Flüsse und Bäche in den vergangenen Jahrzehnten verändert, begradigt, eingedämmt und dadurch auch kürzer gemacht. Damit fließen sie schneller, werden tiefer und es geht viel Fläche zur Versickerung verloren. Nahezu jedes Gewässer leide unter diffusen Schad- und Nährstoffeinträgen und mit ihnen die Lebewesen, sagt Ruben van Treeck, Referent für Gewässerschutz bei der Naturschutzstiftung WWF.

Trotzdem ist van Treeck hoffnungsvoll. Denn die geltende europäische Wasserrahmenrichtlinie ist nach seiner Einschätzung das erste und modernste Wassergesetz mit strengen Vorgaben. Wer es nicht einhält, riskiert Vertragsstrafen.
Auch Anett Baum vom Bundesumweltministerium ist zuversichtlich. In den letzten Jahren hat das Ministerium in einem großen Beteiligungsprozess eine nationale Wasserstrategie entwickelt. Diese wurde von allen Ministerien verabschiedet.
Das sei eine Revolution, findet Baum. Die Fortschritte werden jetzt von einer interministeriellen Arbeitsgruppe, kurz IMA, überwacht. Das Ziel: genügend Wasser für alle in ausreichender Qualität. Die Kosten dafür werden auf 60 Milliarden Euro geschätzt.
Wasserkonflikte mit alter und neuer Industrie
"Diese Frage der Wasserqualität ist noch nicht in der Öffentlichkeit angekommen", warnt Annika Joeres vom Recherchebüro Correctiv. "Der gesamte Rhein ist voll mit Dingen, von denen wir nicht wissen, was die Folgen sind und wie der Cocktail wirkt. Wenn im Rhein Niedrigwasser ist, dann enthält er mehr Abwasser als Rheinwasser." Correctiv recherchiert derzeit, welches Unternehmen welche Giftstoffe in den Rhein einleiten darf.
In der Hauptstadt Berlin bahnt sich gar eine große Wasserkrise an, denn die Spree wurde bislang von den Abwässern des Braunkohlebergbaus in der Lausitz gespeist.
Auch in der Region selbst reicht das Wasser hinten und vorn nicht. Den Menschen sei vorgegaukelt worden, sie würden bald in einer ganzen Kette von Tagebau-Seen baden, erzählt Rebekka Schwarzbach von der Umweltgruppe Cottbus. Ein Gutachten kam jedoch zur Einschätzung, dass das Seewasser wohl das gesamte 22. Jahrhundert hindurch noch gekalkt werden muss, damit es biologisch nicht umkippt.
Nicht viel besser sieht es im rheinischen Kohlerevier aus. Das regionale Wasserbündnis weist unter anderem darauf hin, dass fast alle Trinkwasserbrunnen in der Region unbrauchbar werden.
Auch beim Tesla-Werk im brandenburgischen Grünheide kulminiert das Wasserproblem. Die Fabrik wurde im Trinkwasserschutzgebiet gebaut und in einer Region, die jetzt schon unter Wassermangel leidet. Tesla darf Wasser in Größenordnungen verbrauchen wie eine Stadt mit 40.000 Einwohner:innen. Für den Bau von Kitas und Schulen gibt es aber keine Genehmigungen, weil ihre Wasserversorgung nicht sichergestellt werden kann, sagt Karolina Drzewo vom Bündnis Tesla den Hahn abdrehen.
Widerstand kann viel mehr sein als Demonstrieren oder Blockieren, meint Jay Jordan. Als Aktionskünstler:in bringt Jordan seit über 20 Jahren Künstler:innen und Aktivist:innen zusammen. Die Bilder der Clown Army gingen um die Welt. Jordans Abschlussritual zur Konferenz verbindet die Flüsse, die wieder fließen sollen, und die Aktiven, die nicht ausbrennen sollen.
"Es ist ein bisschen so, als hätten wir uns am Ende ein Versprechen gegeben, dass wir uns da hineinbegeben in die Auseinandersetzung um unser Wasser und gutes Leben in der Klimakrise", sagt Alex Wernke vom Klimakollektiv. "Jetzt geht es im Regionalen und auch politisch darum, die großen Konzerne und ihre Interessen zurückzudrängen und für Gerechtigkeit einzustehen."
Der nächste große Termin steht schon auf den Plakaten: das Weser-Info-Camp vom 23. bis 25. Mai auf der Flussinsel Harriersand bei Brake. Es soll ein Vernetzungscamp gegen die Weservertiefung und für eine gerechte Landwirtschaft werden.