Vier Klimaaktivisten vor dem Deutschen Bundestag
Gleiches Ziel: Aktive von Fridays for Future, aus dem Hambacher Forst und vom Bündnis Ende Gelände vor einer gemeinsamen Protestaktion am Bundestag in diesem Jahr. (Foto: KRA)

Ich stehe auf der Straße des 17. Juni mitten in Berlin. In der Ferne ist das Brandenburger Tor zu sehen. Die  Demonstration setzt sich in Bewegung. Im Laufe des Tages höre ich die ersten Zahlen: 270.000 Menschen in Berlin, 1,4 Millionen in ganz Deutschland. Vom Punk bis zum Anzugträger, von der Viertklässlerin bis zur Oma – alle sind gekommen.

Etwas Besonderes liegt in der Luft, denn allen scheint klar zu sein: Die Klimakrise zu stoppen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir alle haben das Problem begriffen und wollen es lösen. Wir schreiben den 20. September 2019.

Gleicher Tag, gleiche Zeit und nur wenige hundert Meter entfernt: Nach einem groß inszenierten Verhandlungsmarathon stellt die Bundesregierung ihr Klimapaket vor. Es ist eher ein Päckchen: ein CO2-Preis ohne Wirkung, ein Kohleausstieg erst in fast 20 Jahren, ein bisschen Bahnpreis-Senkung hier, dafür aber gleichzeitig ein bisschen Pendlerpauschalen-Erhöhung da.

Immer wieder jedoch "bekennt" sich die Regierung zur 1,5-Grad-Grenze aus dem Pariser Klimaabkommen. Zugleich setzt sie sich nationale Klimaziele, die mit Paris nicht vereinbar sind. Und selbst diese Ziele verfehlt sie dann auch noch krachend. Als mir am Abend des Tages klar wird, wie verlogen dieses Klimapaket ist, platze ich fast vor Wut. Wie kann unsere Demokratie nur derartig versagen?

Die zentrale Idee einer Mehrheitsdemokratie ist, dass die gewählten Abgeordneten den Willen der Mehrheit umsetzen. Die Mehrheit will Klimaschutz. Selten waren Umfragen zu einem Thema so eindeutig, selten waren in Deutschland ähnlich viele Menschen auf der Straße, selten stand so viel auf dem Spiel.

Porträtaufnahme von Benno Hansen.
Foto: privat

Benno Hansen

ist Student und Klimaaktivist und engagiert sich bei Ende Gelände. Nach einem abgeschlossenen Studium der regenerativen Energien absolviert er jetzt ein Zweitstudium der Rechts­wissen­schaften.

Doch seit Jahrzehnten herrscht klimapolitisch absoluter Stillstand, und das ist kein Zufall. Es gibt in unserer Demokratie ein gefährliches Machtungleichgewicht zwischen Zivilgesellschaft und Konzernen. Finanziell bestens ausgestattete PR-Büros wie die INSM, die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", fahren groß angelegte manipulative Kampagnen.

Lobbyverbände gehen im Bundestag ein und aus. Ex-Ministerpräsidenten wechseln vom Vorsitz in der Kohlekommission direkt in die Chefetage eines Kohle-Konzerns. So werden – schon seit Jahren – effektive Klimaschutzmaßnahmen verhindert. Profit für wenige, aber auf Kosten aller anderen.

Das Problem dort anpacken, wo es entsteht

Doch die fossile Industrie hat sich mit den Falschen angelegt. Sie steht einer Bewegung gegenüber, die sich nicht von symbolpolitischen Beruhigungspillen einlullen lässt. Die Regierung hat sich geschnitten, wenn sie glaubt, dass sie die Klimabewegung mit ihrer Hinhalte- und Verzögerungstaktik ausbremsen kann.

Schon für Ende November ist das nächste große Aktionswochenende in Planung. "Fridays for Future" ruft für den 29. November zum nächsten globalen Klimastreik auf. Das Bündnis "Ende Gelände" mobilisiert einen Tag später zu einer weiteren Massenaktion zivilen Ungehorsams im Lausitzer Braunkohlerevier.

Freitags streiken, samstags blockieren. Denn egal, ob Schulstreik oder Baggerblockade – nur mit ungehorsamen Aktionen können wir den Druck weiter erhöhen. Wenn wir die Bagger und Schienen des Kohle-Konzerns Leag zum Stillstand bringen, setzen wir ein Zeichen. Mit solchen Aktionen machen wir klar, dass der Kohleausstieg sofort passieren muss.

Die Kohleverstromung verursacht rund ein Drittel der deutschen CO2-Emissionen und ist damit immer noch Klimakiller Nummer eins. Wir können der Regierung keinen Kohleausstiegsfahrplan bis 2038 durchgehen lassen, weil das mit der kritischen 1,5-Grad-Grenze nicht vereinbar ist.

Wir müssen die Sache selbst in die Hand nehmen und zeigen, dass sich die Klimakrise nur mit radikalen Veränderungen lösen lässt – also Veränderungen, die an die Wurzel des Problems gehen. Es braucht einen System- und Wertewandel. Es geht um eine Vision von einer gerechteren und demokratischeren Gesellschaft: Kooperation statt Konkurrenz, ein gutes Leben für alle statt Profit und blindes Wachstum. Der Kohleausstieg ist erst der Anfang.

Die Wut, die ich am 20. September gespürt habe, brennt noch immer in mir. Ich werde beim nächsten Klimastreik freitags wieder auf der Straße sein. Aber samstags gehe ich diesmal noch einen Schritt weiter und sage: "Ende Gelände!"

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