Porträtaufnahme von Ralf Schmidt-Pleschka.
Ralf Schmidt-Pleschka. (Foto: Lichtblick)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Ralf Schmidt-Pleschka, Koordinator für Energie- und Klimapolitik beim Hamburger Ökostrom-Anbieter Lichtblick.

Klimareporter°: Herr Schmidt-Pleschka, um bei der Windkraft Tempo zu machen, will die Bundesregierung jetzt Flächenvorgaben für die Länder einführen: Wenn die Ziele nicht erreicht werden, sind die Länder-Abstandsregeln hinfällig. Wird das den Windausbau voranbringen?

Das muss es. Die Menschen möchten sauberen und einheimischen Strom. Den wollen die Energieversorger auch liefern – und zwar nicht mehr nur klassische Ökostromer wie Lichtblick. Das wird aber nur funktionieren, wenn wir auch die Windkraft an Land rasch ausbauen. Das ist das Ziel der Flächenvorgaben, und das ist gut und richtig so.

Bislang gibt es aber nur den Entwurf des grün geführten Wirtschaftsministeriums, der jetzt in die Ressortabstimmung geht. Die FDP stellt sich schon quer und bringt damit den ohnehin sehr engen Fahrplan durcheinander. Inhaltlich gibt es vor allem in Ostländern Widerstand.

Sachsen hat schnell noch ein Abstandsgesetz für Windanlagen beschlossen, in Thüringen drohte das durch eine gemeinsame Aktion von Union, FDP und AfD ebenfalls. Der Plan, das Bundesgesetz im Schnellverfahren noch vor der Sommerpause zu beschließen, erscheint daher – gelinde gesagt – sehr ambitioniert.

Es wird aber ohnehin noch einige Zeit dauern, bis wir sehen können, ob und wie das Gesetz wirkt. Selbst wenn es bald beschlossen würde, gibt es aktuell schlicht zu wenig Wind-Projekte, die rasch realisiert werden könnten. Mit dem neuen Wind-an-Land-Gesetz würde sich das definitiv ändern.

Im Europäischen Parlament haben sich die Abgeordneten am vergangenen Mittwoch für einen Verkaufsstopp bei Verbrenner-Pkw ab 2035 ausgesprochen, doch eine Einigung bei der Reform des EU-Emissionshandels gelang nicht. War das trotzdem ein guter Tag fürs Klima?

Erst mal bleibt festzuhalten, dass das EU-Parlament dem Aus für den Verbrennungsmotor zugestimmt hat. Das ist eine Zäsur für die Automobilindustrie und ein Riesenerfolg für den Klimaschutz.

Beim Emissionshandel kommt mir die Diskussion scheinheilig vor. Richtig ist doch, dass die Industrie mit Hilfe der christdemokratischen EVP-Fraktion im EU-Parlament auf den letzten Drücker noch umfängliche Zugeständnisse bei der Zuteilung kostenloser CO2-Zertifikate durchgesetzt hat.

Genau den Fehler hat die EU bereits bei der Einführung des Emissionshandels im Jahr 2005 gemacht. Daraufhin erwies sich das Instrument über 15 Jahre hinweg als klimapolitischer Papiertiger. Das darf sich nicht wiederholen, denn für faule Kompromisse haben wir keine Zeit mehr.

Dass jetzt nachverhandelt werden muss, ist sicher ungünstig, weil die Zeit drängt und weitere Maßnahmen wie der Sozialfonds und der CO2-Grenzausgleich ebenfalls betroffen sind. Wenn die Extrarunde aber dazu führt, die Wirkung des Emissionshandels zu verschärfen, dann entpuppt sich der letzte Mittwoch doch noch als ein sehr guter Tag für den Klimaschutz.

Der Energiewende-Vorkämpfer Hans-Josef Fell hält es für falsch, den Anbau von Energiepflanzen für sogenannten Biosprit zu verbieten. Das werde zu noch mehr Soja-Importen führen. In manchen Bereichen wie dem interkontinentalen Flugverkehr seien die Agrokraftstoffe einfach notwendig. Hat er recht?

Im Prinzip haben wir aktuell eine gute Lösung des Teller-Tank-Problems. Der Anteil an Biosprit ist europaweit gedeckelt und wird schrittweise heruntergefahren. Das ist vernünftig, denn künftig wird immer mehr mit Strom gefahren werden.

Dennoch wird es auch in zehn Jahren noch Dieselfahrzeuge auf Deutschlands Straßen geben. Die könnten zum Beispiel mit Biodiesel fahren und so ihre Klimabilanz deutlich verbessern. Wenn wir den nicht mehr in Europa erzeugen, wird mehr importiert – in dem Punkt hat Hans-Josef Fell recht.

Den Ausstiegsprozess aus den Biokraftstoffen zu beschleunigen bringt also nur etwas, wenn wir gleichzeitig noch schneller auf Elektromobilität umsteigen. Das Umweltministerium hat dazu einen interessanten Vorschlag gemacht, nämlich die Treibhausgasminderungsquote für Fahrstrom zu erhöhen. Damit würde es sich noch mehr als heute lohnen, auf Ökostrom-Antriebe umzusteigen. Darüber sollten wir reden.

Volle Züge und Bahnsteige waren am vergangenen Pfingstwochenende zu sehen. Zum Teil mussten aber auch Züge wegen Überfüllung geräumt werden. Wie fällt Ihre erste Bilanz zum Neun-Euro-Ticket aus?

Dass es volle Züge geben würde, war vorhersehbar. Letztes Pfingsten war das auch nicht viel anders. Das Neun-Euro-Ticket hat den Engpass also nicht ausgelöst, aber verschärft.

Mir fiel dabei der Elchtest ein, kennen Sie den noch? Da wird in einer Testfahrt das Ausweichen eines Autos vor einem plötzlich auftretenden Elch simuliert. Vor 25 Jahren kippte dabei ein Mercedes um. Das Echo war riesig, der Ruf der damals neuen A-Klasse dahin. Das Neun-Euro-Ticket kommt mir vor wie ein Elchtest für den Bahnverkehr. Der hat am Pfingstwochenende ebenfalls geschlingert, gekippt ist er aber nicht.

Auch den Letzten müsste aber klar geworden sein, wie wenig unser Nahverkehr für den Bedarf ausgelegt ist und wie schnell wir ihn jetzt ausbauen und verbessern müssen. Ich würde mich freuen, wenn das auch das Resümee nach den drei Monaten wäre.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Der Aufruf von Christian Lindner via Bild, eine offene Debatte über Investitionen in die Atomkraft zuzulassen. Genau diese Debatte wird doch seit über 30 Jahren höchst intensiv geführt, mit sehr klaren Ergebnissen: Atomkraft ist extrem teuer, hochgefährlich und produziert radioaktiven Müll, von dem niemand weiß, ob er sicher gelagert werden könnte.

Neu hinzugekommen ist noch, dass die Atomkraft zum Gutteil auf russischen Uranimporten beruht. Statt über die Atomkraft brauchen wir eher eine offene Debatte über Christian Lindner.

Fragen: Sandra Kirchner

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