Politiker aus der Union, allen voran Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), fordern wegen der energiepolitischen Folgen des Ukraine-Kriegs eine Laufzeitverlängerung für die drei in Deutschland noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke.
Jetzt hat auch die Ampel-Partei FPD auf ihrem Parteitag "eine Modifizierung unserer Ausstiegspläne bei Kohle- und Kernenergie" nicht mehr ausgeschlossen.
Umweltverbände indes warnen vor einem solchen Schritt. Deutschland und Europa seien nicht nur bei Kohle, Öl und Gas von Importen abhängig, sondern auch bei Uran.
Die Liberalen argumentieren in ihrem Beschluss vom Wochenende: Im Falle einer Energieknappheit, etwa durch einen Import- oder Exportstopp von Erdgas aus Russland, könne es notwendig werden, die Laufzeiten der verbliebenen Kernkraftwerke zu verlängern.
"Wir setzen uns deshalb für eine Prüfung dieser Maßnahme ein, um Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Verfügbarkeit sicherzustellen." Dabei müsse allerdings die Sicherheit des Weiterbetriebs oberste Priorität haben.
Der Beschluss fiel kurz vor dem 36. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, die am 26. April 1986 begann. Anlässlich dieses Datums warnen die Umweltschützer vor der "großen Abhängigkeit von der weltweit vernetzten Uran-Industrie", in der der russische Staatskonzern Rosatom eine Spitzenposition innehabe.
Osteuropas AKW laufen nur mit russischen Brennstäben
Laut dem von BUND, Greenpeace und anderen Organisationen herausgegebenen neuen "Uranatlas" stammen etwa 40 Prozent der europäischen Uranimporte aus Russland und seinem Verbündeten Kasachstan. Auch die noch bis Ende des Jahres laufenden deutschen AKW würden zum großen Teil damit betrieben.
Über seine Beteiligungen an Uranminen in Kanada, den USA und vor allem Kasachstan ist Rosatom laut den Angaben der zweitgrößte Uranproduzent der Welt. Mit gut 7.000 Tonnen habe das Unternehmen einen Anteil von rund 15 Prozent an der globalen Förderung, erläuterte Angela Wolff vom BUND jetzt bei der Vorstellung der Publikation.
"Bei der Herstellung von angereichertem Uran, das für den Betrieb von Atomkraftwerken benötigt wird, ist die Abhängigkeit noch größer. Über ein Drittel des weltweiten Bedarfs kommt vom russischen Staatskonzern", sagte die Nuklearexpertin.
Besonders stark ist laut dem Atlas die Abhängigkeit von Brennelementen aus russischer Produktion in Osteuropa. Insgesamt 18 Reaktoren in Bulgarien, Ungarn, der Slowakei, Tschechien sowie Finnland können danach nur mit sechseckigen russischen Brennelementen betrieben werden.
Um die Reaktoren in Tschechien und der Slowakei mit neuem Brennstoff versorgen zu können, durften dort Anfang März, also nach Kriegsbeginn in der Ukraine, sogar russische Il-76-Transportmaschinen mit Sondergenehmigung landen. Und erst vorige Woche landete eine Maschine der russischen Frachtfluggesellschft Volga-Dnepr in Ungarn mit Brennstäben für das dortige AKW Paks.
Atomkraft hilft dem Klima nicht
Rosatom setzt unterdessen auf Expansion, so der Uranatlas. In Russland selbst sollen danach drei AKW gebaut werden. Zudem gebe es Pläne für weitere 35 Anlagen in Ägypten, Bangladesch, Belarus, Bulgarien, China, Finnland, Indien, Iran, der Türkei, Ungarn und in den Vereinigten Arabischen Emiraten.
"Atomenergie ist nicht der Energieträger der Zukunft", sagte Horst Hamm von der Nuclear-Free Future Foundation, Hauptautor des Uranatlas. Die aktuelle, zweite Auflage des Atlas zeige nicht nur gravierende Umweltschäden beim Uranabbau oder die Gefahren beim AKW-Betrieb auf. Sie belege auch, dass Atomkraft nichts zur Lösung der Klimakrise beitragen könne.
"Der Bau neuer Atomkraftwerke ist zu teuer und viel zu langsam, um zukünftig etwas für den Klimaschutz bewirken zu können", so Hamm. Um die Kohlekraftwerke weltweit durch AKW zu ersetzen, müssten 1.500 neue Reaktoren gebaut werden. Das sei schlicht unmöglich.
Teilweise seien nicht einmal bestehende AKW im Vergleich zu erneuerbaren Energien noch konkurrenzfähig, wie das Beispiel USA zeige. Dort seien sechs US-Reaktoren vorzeitig stillgelegt worden, weitere Abschaltungen seien geplant.