Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft und Chefin des Energie- und Umweltbereichs am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW.
Klimareporter°: Frau Kemfert, der Industrieverband BDI legte diese Woche eine neue Transformationsstudie vor. Mit 1,4 Billionen Euro soll Deutschland seine vergleichsweise große industrielle Wertschöpfung in eine grüne Zukunft bringen. Ist es wirklich sinnvoll, energieintensive Branchen wie Stahl, Aluminium oder Zement in bisherigem Umfang und mit großem Aufwand klimaneutral umzugestalten?
Claudia Kemfert: Ich denke schon – mit der Einschränkung: nur, wenn es hingeht zu einer sparenden, effizienten, emissionsfreien und zirkulären Wirtschaft.
Seit über zehn Jahren publiziert der BDI wichtige Berichte, wie die Industrie durch zukunftsweisende Investitionen modernisiert und fit gemacht werden und so im globalen Wettbewerb bestehen kann. Auch energieintensive Industrien können mit erneuerbaren Energien versorgt werden und mit emissionsfreien Technologien eine wichtige Grundlage für eine zukunftsfähige Wirtschaft sein.
Noch immer ist Deutschland bei vielen Umwelt- und Klimaschutztechnologien führend, auch wenn in der Vergangenheit wichtige Industriearbeitsplätze etwa in der Batterie-, Solar- und Windindustrie verloren gegangen sind.
Die Autoindustrie hat den Trend völlig verschlafen und muss im Bereich Elektromobilität samt autonomem Fahren kräftig aufholen. Länder wie China und die USA setzen gezielt auf Klimaschutzmärkte und können so viele zukunftsweisende Jobs entstehen lassen.
In den Bereichen Stahl, Aluminium und auch Zement ist das Recycling, die Kreislaufwirtschaft, zentral. Da ist deutsche Ingenieurskunst gefragt. Die scheint aber nur aus den Puschen zu kommen, wenn es wirklich gefordert wird.
Dabei muss die deutsche Wirtschaft dringend modernisiert werden. Das geht nur mit Innovationen, mit emissionsfreien Technologien, besserer Infrastruktur, Digitalisierung und Entbürokratisierung. Ein entsprechendes Investitionsprogramm schafft die dringend nötige Entschlackungs-, Abnehm- und Verjüngungskur und bringt Wertschöpfung und zukunftsfähige Jobs.
Aus dem jüngsten Energiebericht der EU-Kommission geht hervor, dass im ersten Halbjahr 18 Prozent der Erdgas-Einfuhren in die EU aus Russland kamen, das sind vier Prozentpunkte mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Für Österreich, Ungarn und die Slowakei bleibt Russland demnach der größte Gaslieferant. In Deutschland fordern populistische und rechtsextreme Parteien, wieder Gas und Öl aus Russland zu importieren, um die Energiepreise zu senken. Wie sehen Sie das?
Das halte ich nicht nur für komplett falsch, sondern für hochgefährlich. Die jüngsten Studien belegen ja, dass Russlands Kriegsführung nicht nur auf dem realen Schlachtfeld, sondern vor allem auch im digitalen Raum durch gezielte Cyberangriffe und Desinformationskampagnen stattfindet, mit dem Ziel, die Gesellschaften zu spalten und die Demokratie zu gefährden.
Mit Kriegstreibern sollte man keine Geschäfte machen. Auch weil man sich dadurch extrem erpressbar macht, wie wir an der Gaskrise doch ablesen konnten. Anders, als populistische Parteien behaupten, hat die fossile Energiekrise, ausgelöst durch Russland, Energiepreise und Inflation nach oben getrieben.
Um Preise zu senken, muss die Energiewende zügig fortgesetzt werden. Am besten wäre es somit, auf Öl und Gas völlig zu verzichten. Und das gelingt nur mit mehr energetischer Gebäudesanierung und dem Ersetzen von Öl und Gas durch erneuerbare Energien, mit einer konsequenten Verkehrswende und dem Ausbau der Erneuerbaren.
Und das in ganz Europa. Der Green Deal geht in die richtige Richtung, er muss nun überall konsequent umgesetzt werden. Ich kann es nicht oft genug sagen: Die Energiewende ist das beste Friedensprojekt, das wir weltweit haben.
Über das Erneuerbare-Energien-Gesetz werden die grünen Energien aus dem Bundeshaushalt in diesem Jahr mit voraussichtlich mehr als 18 Milliarden Euro vergütet. Der Ampel-Regierung wird das zu teuer. Sie will diese Art der Förderung in wenigen Jahren beenden und – wie bei Wirtschaftsprojekten üblich – auf einmalige Investitionszuschüsse umstellen. Wie lassen sich die Kosten für den Erneuerbaren-Ausbau begrenzen?
Jedenfalls nicht mit Investitionszuschüssen. Die führen zu Investitionsunsicherheiten, höheren finanziellen Risiken, mehr Bürokratie und damit zu höheren Kosten.
Damit entfallen auch Anreize, die Anlagen langfristig in Betrieb zu halten und tatsächlich damit Strom zu erzeugen oder Flexibilitäten im Strommarkt zu nutzen.
Ganz zu schweigen von der Gefahr, die Klimaziele nicht zu erreichen, wenn der Ausbau der Erneuerbaren zu gering ist. Investitionszuschüsse geben keine Anreize, die Anlagen netzdienlich und flexibel zu nutzen, auch das erhöht die Kosten.
Künftig werden netzdienliche Anlagen und alle notwendigen Flexibilitätsoptionen benötigt, inklusive einer digitalen und smarten Steuerung und Speichern. Dafür sollten Preissignale geschaffen werden, die eine dynamische Nachfragereaktion ermöglichen, beispielsweise durch Preissignale in Echtzeit bei umfassender Digitalisierung und Entbürokratisierung.
Wir benötigen ein neues Strommarktdesign, in dem die Erneuerbaren-Anlage nicht mehr über einen von vornherein festgelegten Zeitraum, sondern entsprechend der erzeugten Energiemenge über ihren gesamten Betriebszeitraum gefördert werden.
Das würde den Marktwert der Anlagen steigern, die Kosten für den Haushalt und die Finanzierungsrisiken senken sowie negative Strompreise vermeiden, da die Anlagen netzdienlich produzieren.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Positiv überrascht und elektrisierend zu beobachten ist derzeit der US-Wahlkampf, der mit dem jüngst stattfindenden Fernsehduell eine Dynamik und Kraft gewonnen hat, die ihresgleichen sucht.
Durch eine jüngere, schlaue und mutige Frau kommt positive Energie in den Prozess, die auf mich sehr ansteckend wirkt. Zwar wirken in den USA seit Langem die populistischen Kräfte zersetzend und zermürbend. Dennoch zeigt sich, dass eine wehrhafte Demokratie ungeahnte Kräfte entfalten kann, die Populisten und Demagogen in Schach halten kann. Das macht Mut und überrascht.
Wir sollten davon lernen und die populistischen Kräfte in unserem Land nicht weiter erstarken lassen. Auch wenn Klimaschutz im US-Wahlkampf bisher kaum ein Thema war, ist der jetzt gestartete Wahlkampf dennoch epochal. Die Frage an die Amerikaner ist jedoch: "Are you ready for it"?
Fragen: Jörg Staude