"Wir haben bereits 1,2 Grad erreicht, Tendenz steigend", sagte UN-Chef António Guterres im August anlässlich der Vorstellung des ersten Teils des neuen Berichts des Weltklimarats IPCC. Die Welt ist also nicht mehr weit davon entfernt, die Marke von durchschnittlich 1,5 Grad globaler Erwärmung zu überschreiten.
Ein Ansporn war das nicht allen Ländern. Eigentlich hätten alle Staaten ein neues und ehrgeizigeres Klimaziel einreichen müssen. Doch das haben nur 165 von 192 Staaten getan. Es fehlen noch Schwergewichte wie China, Indien und Saudi-Arabien.
Hinzu kommt, dass Australien, Brasilien, Mexiko und Russland neue Ziele eingereicht haben, die keine Verbesserung oder gar eine Verschlechterung zu den alten Zielen darstellen.
Das Resultat: Damit das 1,5-Grad-Ziel erreichbar bleibt, müssten die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 45 Prozent im Vergleich zum Jahr 2010 sinken. Mit den vorliegenden Plänen werden die Emissionen aber um 16 Prozent steigen.
Aber auch die Industriestaaten haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Sie haben im Jahr 2009 versprochen, ab 2020 ärmere Länder mit jährlich 100 Milliarden US-Dollar beim Klimaschutz und bei der Anpassung an den Klimawandel zu unterstützen. Doch dieses Ziel wurde verfehlt.
Gemäß einem neuen Finanzplan wird die 100-Milliarden-Schwelle wohl erst 2023 erreicht. Das fehlende Geld in den Jahren 2021 und 2022 soll zwar in den Jahren 2024 und 2025 nachgereicht werden. Was mit dem Manko des Jahres 2020 passiert, ist jedoch unklar.
Für Jan Kowalzig von der Entwicklungsorganisation Oxfam ist die Finanzlücke eine Gefahr für den Erfolg des UN-Klimagipfels COP 26, der am kommenden Sonntag im schottischen Glasgow beginnt: "Dass das Versprechen der reichen Länder nicht gehalten wurde, dürfte eine schwere Hypothek für die Klimakonferenz werden."
Reiche Länder mit Glaubwürdigkeitsproblem
Wegen ihrer knickerigen Haltung auf beiden Feldern – Klimaziele und Klimafinanzierung – mangelt es nun den Industriestaaten als Gruppe an Glaubwürdigkeit.
Hinzu kommt, dass US-Präsident Joe Biden wahrscheinlich sein zweites Infrastrukturpaket nicht vor Konferenzbeginn in Glasgow durchs US-Parlament bekommt. Das heißt, dass die USA zwar ein relativ anspruchsvolles Klimaziel haben, aber nicht die Mittel, um dieses auch zu erreichen.
Auch Großbritannien hat ein Problem: Das Land hat zwar seine Klimahilfen erhöht, aber gleichzeitig die Ausgaben für die Entwicklungshilfe reduziert. So war das im Jahr 2015 in Paris nicht vereinbart worden.
Aus Sicht von Reimund Schwarze vom Leipziger Helmholtz-Institut für Umweltforschung (UFZ) haben deshalb die USA und Großbritannien ein "Glaubwürdigkeitsproblem".
Alok Sharma, der britische Konferenzpräsident, sagte angesichts dieser Ausgangslage: "Es ist wie wenn man das Ende der Prüfung erreicht, nur noch die schwierigsten Fragen übrig sind, die Zeit davonläuft und man sich fragt: 'Wie beantworten wir diese Frage?'"
Die wichtigste Frage ist für Sharma, wie man das 1,5-Grad-Ziel "am Leben erhält". Darüber wird allerdings nicht direkt verhandelt, sondern die Länder setzen sich freiwillig immer anspruchsvollere Klimaziele. Wenn diese nicht ausreichen, braucht es einen Mechanismus, der dafür sorgt, dass die Länder nachlegen.
"Was wir den Ländern sagen werden, ist: Wenn euer Klimaplan nicht gut genug ist, dann müsst ihr (mit einem besseren Plan) wieder zum Verhandlungstisch kommen", sagt Sharma. Zudem sollen die Staaten klarer auf das 1,5-Grad-Ziel verpflichtet werden.
Im Paris-Vertrag haben die Staaten nur versprochen, die Erwärmung bei "deutlich unter zwei Grad" zu stoppen und "Anstrengungen zu unternehmen", dass dies schon bei 1,5 Grad gelingt. Wie die Nachbesserung der Klimapläne und die Verpflichtung auf das anspruchsvollere Temperaturziel vereinbart werden können, ist aber noch unklar.
Kompromiss beim CO2-Handel möglich
Lücken gibt es nicht nur bei den Klimazielen der Länder und bei den Klimahilfen, sondern auch in der "Bedienungsanleitung" für das Paris-Abkommen. Dort fehlt noch das Kapitel zum Handel mit CO2-Zertifikaten, wie in Artikel 6 des Abkommens vorgesehen.
Einige Länder wie die Schweiz wollen einen Teil ihrer Emissionen kompensieren, indem sie Projekte zur Emissionsreduktion in anderen Ländern unterstützen. Dazu müssen die Staaten in formellen Verhandlungen vereinbaren, wie solche Projekte in den zwei beteiligten Ländern jeweils angerechnet werden.
Doch diese Verhandlungen sind bereits zweimal an Brasilien gescheitert. Der Leiter der brasilianischen Verhandlungsdelegation Leonardo de Athayde deutete aber schon Kompromissbereitschaft an: "In allen Gesprächen mit anderen Delegationen, haben wir klar signalisiert, dass wir flexibler sind", sagte de Athayde der brasilianischen Zeitung Valor Econômico.
COP 26 in Glasgow
Nach 25 UN-Konferenzen gibt es noch immer keine Lösung für die Klimakrise, aber wenigstens das Pariser Klimaabkommen. Wie gut es funktioniert, wird sich beim 26. Gipfel in Glasgow zeigen. Ein Team von Klimareporter° ist vor Ort in Schottland und berichtet mehrmals täglich.
Neben den formellen Verhandlungen über den CO2-Handel und den informellen über Emissionen und Geld werden viele Akteure die große Glasgower Bühne für weitere Klimainitiativen nutzen. Bundesstaaten und Städte, internationale Organisationen sowie die Wirtschaft werden Ankündigungen vor allem zu "coal, cars and trees" machen. "Kohle, Autos und Bäume" sind drei der Prioritäten des britischen Premiers Boris Johnson für die Konferenz.
Ohne entschiedenes Handeln der Nationalstaaten können diese Akteure das 1,5-Grad-Ziel aber nicht "am Leben erhalten". Ob Johnson nach zwei Wochen den erhofften Erfolg vermelden kann, ist mehr als ungewiss.