Favela in Rio de Janeiro - einfachste selbst gebaute Häuser nahezu übereinander an einem Steilhang.
Die reichen Länder zahlen den armen bislang höchstens 80 Prozent der versprochenen Klimafinanzierung, davon offenbar fast drei Viertel als Kredite. (Foto: Pēteris/​Flickr)

Um ein Jahr war der Klimagipfel COP 26 in Glasgow verschoben worden – die Zusatz-Zeit hat die internationale Klimadiplomatie offenbar enttäuschend schlecht genutzt. Das zeigt auch der am Montag vorgelegte "Climate Finance Delivery Plan".

Um den Klimafinanzierungsplan vor dem Gipfel noch irgendwie hinzubekommen, hatte der britische COP-Präsident Alok Sharma den deutschen Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth und den kanadischen Umweltminister Jonathan Wilkinson auf Tour durch die Industrieländer geschickt. Sie sollten deren Regierungen bewegen, endlich die über ein Jahrzehnt alte Zusage einzulösen, jährlich 100 Milliarden US-Dollar für Klimaschutz und -anpassung für ärmere Länder aufzubringen.

Diese Länder haben am wenigsten zu Erderwärmung beitragen, leiden aber am stärksten darunter. Der 100-Milliarden-Dollar-Transfer ist deswegen nicht anderes als ein Akt von Klimagerechtigkeit.

Mit dem lassen sich die Industrieländer jedoch Zeit. Bereits 2009 hatten sie auf dem Kopenhagener Klimagipfel zugesagt, bis 2020 den Transfer nach und nach auf jährlich 100 Milliarden Dollar ansteigen zu lassen. 2015 wurde auf dem Pariser Gipfel beschlossen, dieses Niveau bis 2025 beizubehalten.

Tatsächlich aber machten die Zahlungen 2019 höchstens 80 Milliarden Dollar aus – und werden erst 2023 die Schwelle der zugesagten 100 Milliarden erreichen, sagte Alok Sharma am Montag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Flasbarth und Wilkinson.

Lücke kleingeredet

Er verstehe, so Sharma weiter, dass dies eine Quelle der Frustration für die Zielländer sei. Auch Flasbarth räumte ein, die Entwicklungsländer seien zu Recht enttäuscht, dass die Industrieländer die bereits 2009 gegebene Zusage bisher nicht eingehalten haben.

Die drei Klimapolitiker suchten die Nichteinhaltung und die sich auftuende Finanzlücke kleinzureden. Aufgrund laufender Konsultationen seien dieses Jahr weitere Zusagen von Industrieländern zu erwarten. Flasbarth appellierte an die reichen Länder, nicht nachzulassen, sondern weitere Gelder zu mobilisieren.

Sharma rechnet damit, dass – auch dank verstärkten Einwerbens privater Gelder – die Finanzzusagen 2025 bei 117 Milliarden Dollar liegen könnten und der dann zu verzeichnende Überschuss jetzige Fehlsummen in gewisser Weise ausgleicht. Mit Bezug auf OECD-Berechnungen hält es der COP-Präsident für möglich, über den gesamten Fünfjahreszeitraum eine Summe von 500 Milliarden Dollar zu erreichen.

Im Finanzplan selbst steht, dass die Klimafinanzierung 2025 sogar fast 120 Milliarden US-Dollar erreichen könnte. Pro Jahr könnten dabei bis zu 40 Milliarden Dollar aus privaten Quellen stammen.

Flasbarth rechnete für Deutschland vor, 2020 seien insgesamt umgerechnet neun Milliarden Dollar für die internationale Klimafinanzierung bereitgestellt worden. Die Bundesregierung beabsichtige, die entsprechenden Mittel aus dem Haushalt von 4,6 Milliarden Dollar im Jahr 2020 auf voraussichtlich sieben Milliarden 2025 zu erhöhen.

"Die reichen Länder wollen beschwichtigen"

Klimaschutzorganisationen wie Fridays für Future verlangen von Deutschland allerdings, die Mittel auf umgerechnet 16 Milliarden Dollar jährlich zu erhöhen.

Neben Deutschland sagten nach den Angaben bisher Großbritannien, die USA, Kanada und Schweden eine Erhöhung der Klimamittel zu. Australien, Frankreich oder Japan wollen lediglich ihre bisherigen Niveaus halten. Italien, Spanien, Norwegen und einige weitere Länder haben sich noch gar nicht geäußert.

"Der Plan ist vor allem der Versuch der reichen Länder, die Enttäuschung der ärmeren Länder über das nicht gehaltene Versprechen aufzufangen – um zu einer aus Sicht der reichen Länder erfolgreichen COP 26 beizutragen", kritisierte Jan Kowalzig von der Entwicklungsorganisation Oxfam. Im Finanzplan fehlten konkrete Zusagen, dass die Ausfälle später nachgeholt und die Gelder für die Klimaanpassung erhöht würden.

"Ein Versäumnis ist auch, dass der Fahrplan keine robuste Zusage enthält, den Anteil der Klimafinanzierung für die Anpassung an die klimatischen Veränderungen deutlich anzuheben", kritisiert der Finanzexperte. Nur ein Viertel der Gelder seien für die Anpassung vorgesehen. Gerade in den besonders betroffenen Ländern könnten deswegen Programme etwa zum Schutz der Ernten oder der Wasserversorgung, aber auch im Umgang mit künftigen Unwetterkatastrophen nicht weiter finanziert werden.

Die 100 Milliarden seien das "absolute Minimum", das die reichen Länder erfüllen müssten, um ihren Teil der Paris-Vereinbarungen einzuhalten, betonte Mohamed Adow, Direktor der in Nairobi ansässigen Denkfabrik Power Shift Africa. Die Industrieländer müssten das ganze Geld auf den Tisch legen, wenn die COP 26 ein Erfolg werden solle.

Darlehen statt Zuschüsse

Auch für Teresa Anderson von der Entwicklungsorganisation Action Aid sind die 100 Milliarden das "absolute Minimum", um Vertrauen in die Klimaverhandlungen zu schaffen. Die Gelder müssten dabei als Zuschüsse fließen, derzeit seien aber 71 Prozent lediglich Darlehen.

COP 26 in Glasgow

Nach 25 UN-Konferenzen gibt es noch immer keine Lösung für die Klimakrise, aber wenigstens das Pariser Klimaabkommen. Wie gut es funktioniert, wird sich beim 26. Gipfel in Glasgow zeigen. Ein Team von Klimareporter° ist vor Ort in Schottland und berichtet mehrmals täglich.

Anderson: "Dadurch werden die vom Klimawandel bedrohten Gemeinschaften und die Frauen und Mädchen, die an vorderster Front von der Krise betroffen sind, immer tiefer in Schulden und Armut getrieben."

Eddy Pérez vom Climate Action Network Canada verlangt von der COP-Präsidentschaft, in Glasgow sofort Ministerkonsultationen über ein echtes Finanzpaket zu beginnen, das den Bedürfnissen der Entwicklungsländer gerecht wird.

Auch Flasbarth geht davon aus, dass die Finanzierungsfrage bei der COP 26 erneut auf den Tisch kommt. Das jetzt erzielte Ergebnis sei aber nicht schlecht genug, um nicht konstruktiv zu sein, sagte er gestern und forderte alle Parteien auf, mit dem "Spirit" nach Glasgow zu kommen, die verbleibenden Probleme lösen zu wollen.

Einfacher gesagt: Die Industrieländer haben gerade so viel getan, um keinen Vorwand zu liefern, den Klimagipfel in Glasgow schon im Vorfeld gegen die Wand zu fahren.

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