Porträtaufnahme von Claudia Kemfert.
Claudia Kemfert. (Foto: Heidi Michel)

Klimareporter°: Frau Kemfert, was hat der virtuelle UN-Klimagipfel zum Paris-Jubiläum, fünf Jahre danach, denn gebracht? Ist das 1,5-Grad-Limit nun drin? Oder wenigstens die Zwei-Grad-Grenze?

Claudia Kemfert: Es war ein wichtiges Symbol, am Tag des Jubiläums Handlungsfähigkeit zu zeigen und die Dringlichkeit des Klimaschutzes zu unterstreichen. Doch mit den jetzt präsentierten Maßnahmen ist weder das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen noch kommen wir so deutlich unter zwei Grad. Wir brauchen stärkere Ambitionen zur Umsetzung.

Hätte man sich den Gipfel im Netz also auch sparen können?

Nein, im Gegenteil. Wichtig ist nicht, wo und wie der Gipfel stattfindet, sondern was dort beschlossen wird. Je konkreter, desto besser.

Die Emissionsminderungsziele müssen nachgeschärft werden. Wenn dafür weitere Gipfel – gern klimaschonend im Netz – nötig sind, dann los!

Fast alle reden von Klimaneutralität bis 2050 oder 2060, aber nur 20 Staaten haben bisher auch verschärfte CO2-Ziele für 2030 vorgelegt. Was muss da passieren?

Dass sich schon viele zur Klimaneutralität verpflichtet haben, macht Mut. Den Worten müssen nun aber auch Taten folgen: Emissionen runter, aktive Klimaschutzpolitik, Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas sowie fokussierte Förderung erneuerbarer Energien.

Chinas Staatschef Xi Jinping hat neue Anstrengungen zu CO2-Sparen angekündigt. Kann das die Wende bringen? China ist mit Abstand größter Klima-Einheizer.

China reiht sich in eine wachsende Liste von Weltnationen ein, die ernsthaften Klimaschutz ankündigen und auch umsetzen.

Das zeigt: Wir sind an einem Kipppunkt für unumkehrbaren Klimaschutz. Fossile Energien werden unwirtschaftlich, erneuerbare Energien werden immer preiswerter. Es beginnt der fossile Schlussverkauf.

Die EU hat immerhin ihr CO2-Ziel für 2030 verschärft, 55 statt 40 Prozent Reduktion gegenüber 1990, und ist damit der globale Vorreiter unter den Industrieländern. Umweltschützer sagen, zu schwach, um Paris einzuhalten. Wäre denn mehr drin?

Die Verschärfung der Ziele ist erstmal eine gute Sache. Der EU-Green-Deal und das Paris-Abkommen erfordern aber eine Emissionssenkung um 65 Prozent bis 2030.

Das wäre durchaus drin, wenn wir erneuerbare Energien schneller ausbauen, den Kohleausstieg früher abschließen, die Verkehrswende konsequent umsetzen und die Gebäudesanierung vorantreiben würden. Das muss man eben nur tun!

Claudia Kemfert

leitet den Energie- und Umweltbereich am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Sie ist Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Uni Lüneburg sowie Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen, der die Bundesregierung berät. Kemfert gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.

Aber um 25 Prozent Reduktion zu schaffen, hat die EU volle 30 Jahre gebraucht ...

Leider gab es starke Bremser und Blockierer. Doch immer mehr Menschen engagieren sich. Sie fordern zu Recht schnelleres Handeln ein.

Die Pandemie erhöht den Handlungsdruck zusätzlich. Corona-, Wirtschafts- und Klimakrise bedingen einander und müssen zusammen bewältigt werden. Wir müssen und können jetzt schnell und beherzt handeln.

Der designierte US-Präsident Joe Biden hat einen Green Deal zum klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft angekündigt, der die Pläne der EU deutlich übersteigt. Droht die Europäische Union abgehängt zu werden?

Die Zeiten, wo wir uns mühelos als Klima-Musterschüler präsentieren konnten, sind eindeutig vorbei. Wenn die EU-Volkswirtschaften im Wettbewerb nachhaltig und dauerhaft bestehen wollen, dann müssen wir jetzt in die Hände spucken.

Unsere Hausaufgaben sind: Vollversorgung mit erneuerbaren Energien, nachhaltige Mobilität, grüne Industrie und intelligente Digitalisierung.

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