Grüppchen steht mit Masken in einem dunklen, holzvertäfeltem Raum
Staatschefs gestern beim Gipfel (von links): Merkel (Deutschland) mit Macron (Frankreich), Michel (EU-Rat), Orbán (Ungarn), Morawiecki (Polen) und Rats-Generalsekretär Tranholm-Mikkelsen. (Foto: EU)

Es wird deutlicher, wo es mit dem neuen EU-Klimaziel für das kommende Jahrzehnt hingeht. Die Europäische Union wird sich voraussichtlich vornehmen, ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Das ist die Marke, die die Regierungen der EU-Staaten gerne sehen würden, wie der derzeit laufende EU-Gipfel in Brüssel ergeben hat.

Den Beschluss gab Charles Michel, Chef des Europäischen Rats, am Freitagmorgen auf Twitter bekannt. "Europa führt den Kampf gegen den Klimawandel an", schrieb er dazu.

Jetzt geht es in die Verhandlungen mit dem EU-Parlament. Die Abgeordneten wollen eine Emissionsreduktion um 60 Prozent durchsetzen. Das Ergebnis wird also wohl zwischen diesen beiden Positionen liegen. Eine deutliche Steigerung gegenüber dem bisher gültigen Ziel ist das auf jeden Fall: Bislang hat die EU versprochen, ihre Emissionen um 40 Prozent zu senken.

Worauf sich die Regierungen jetzt geeinigt haben, entspricht dem Vorschlag der EU-Kommission. Die ist in der EU das Gremium, das neue Gesetze anstößt. Was letztlich darin steht, entscheiden dann aber die Regierungen sowie das EU-Parlament.

Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich bei dem Thema endlich beeilt: Am Samstag findet ein kleiner virtueller Klimagipfel statt, zu dem Großbritannien gemeinsam mit den Vereinten Nationen eingeladen hat. Er soll zumindest ansatzweise ausgleichen, dass die richtige Weltklimakonferenz dieses Jahr ausfallen musste. Sie hätte im November in Glasgow stattfinden sollen.

Es geht um mehr als die EU

Es ist ein wichtiges Jahr für die internationale Klimadiplomatie. Dieses Jahr müssen die Staaten laut dem Pariser Klimaabkommen erstmals ihre frei gewählten Klimaziele für 2030 "überprüfen und anpassen". Was das genau bedeutet, dürfen die Staaten ebenfalls frei wählen – das ist die Funktionsweise des Paris-Abkommens. Die Hoffnung: dass eine kritische Menge an Staaten vorangeht, Klimaschutz nach und nach zur Norm wird und dann auch alle anderen Staaten mitziehen.

Das ist schleppend angelaufen. Bis zur ursprünglichen Frist im Februar hatte nicht mal eine Handvoll Staaten ihr Klimaziel verbessert. Der samstägliche Gipfel soll den Prozess antreiben. Redezeit bekommen nur Vertreter:innen von Staaten, die über verschärfte eigene Klimaziele sprechen können. Mit der EU ist jetzt der erste der ganz großen Player immerhin auf bestem Wege, ein neues Klimaziel zu liefern.

"Die EU setzt mit diesem deutlich verbesserten Klimaschutzziel für 2030 einen wichtigen Meilenstein, der den kurzfristig notwendigen Klimaschutz massiv beschleunigen kann", sagte Sven Harmeling von der Entwicklungsorganisation Care, der die Klimaverhandlungen seit vielen Jahren beobachtet. Für Europas gerechten Beitrag zu den Zielen des Paris-Abkommens reiche es aber nicht aus. "Insbesondere, wenn das Ziel durch vielfältige Rechentricks verwässert werden sollte", so Harmeling.

Er stört sich daran, dass die EU ihr Ziel nicht nur durch den Umbau ihrer Wirtschaft erreichen will, sondern auch erstmals vorhat, den positiven Klimaeffekt von Wäldern, Mooren und Meeren einzurechnen. Die Verschärfung des derzeit gültigen Klimaziels ist deshalb nicht so ehrgeizig, wie es auf den ersten Blick erscheint. Einige Prozentpunkte liefern schließlich allein schon die natürlichen CO2-Senken.

In jedem Fall hängt die Europäische Union mit ihrem Ziel aber hinter Großbritannien zurück. Das Königreich hatte in der vergangenen Woche angekündigt, seine Treibhausgasemissionen bis zum Ende des Jahrzehnts gegenüber 1990 um 68 Prozent reduzieren zu wollen.

Die EU will mit ihrem Ziel für 2030 auf einen Pfad kommen, der zur Klimaneutralität im Jahr 2050 führt. Solche längerfristigen Ziele haben mehrere Staaten in diesem Jahr angekündigt. China will diesen Punkt 2060 erreichen, die EU 2050, die USA laut dem designierten Präsidenten Joe Biden ebenso. 127 Staaten haben solche Ziele oder wollen sie bald beschließen. Die EU wäre allerdings der erste größere Player, der das mit einer deutlichen Verschärfung der kurzfristigen Pläne unterfüttert.

Das außer Acht gelassen, gibt eine neue Analyse der Klimaneutralitätsziele Hoffnung:  Würden sie alle erreicht, wäre für das Jahr 2100 eine Erderhitzung von 2,1 Grad zu erwarten, wie die beiden Denkfabriken New Climate Institute und Climate Analytics in ihrem gemeinsamen Projekt Climate Action Tracker ermittelt haben. Die Ziele des Pariser Klimaabkommens, die Erderhitzung bei deutlich unter zwei und möglichst bei 1,5 Grad zu halten, rücken damit zumindest theoretisch in Reichweite.

Lesen Sie dazu unseren Kommentar:

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