Ein hausgroßes Kreuz aus Stahlbewehrungselementen in einer tiefen Baugrube, in der Mitte die Platte, auf der der Windrad-Turm stehen soll.
Seltener Anblick: Fundament eines neuen Windkraftwerks, hier in Schleswig-Holstein. Zu ehrgeiziger Klimapolitik würde auch eine Wiederbelebung des Wind-Ausbaus gehören. (Foto: Heiko Jessen)

Klimaschutz – war da was? In Zeiten der Pandemie ist das Top-Thema des Jahres 2019 abgestürzt.

Das ist zwar bei allen Themen der Fall, die nicht Corona heißen, und insofern verständlich. Wer um seinen Job Angst hat, nicht weiß, wie er im nächsten Monat seine Miete zahlen soll, dem sind die nächste Hitzewelle oder der steigende Meeresspiegel erstmal egal.

Doch beim Klima könnte der nachlassende öffentliche Druck besonders fatal wirken. Denn nur die ungeahnte Mobilisierung der Fridays-for-Future-Bewegung im vorigen Jahr machte es möglich, dass Bundesregierung und EU aus ihrer klimapolitischen Lethargie aufwachten.

Ohne sie wären das Berliner "Klimapaket" und der Brüsseler "Green Deal" zum Öko-Umbau der Wirtschaft nicht möglich gewesen. Der ins Netz verlegte Klimastreik letzte Woche hingegen war nur ein blasser Abklatsch der einst machtvollen analogen Demos vom letzten Sommer und Herbst. Corona killt Klima? Die große Gefahr.

Die Frage ist: Haben die maßgeblichen Politiker ihre Lektion aus dem vergangenen Jahr nun gelernt oder nicht? Überdeckt Corona alles oder wird die Krise sogar zum Ausgangspunkt für die überfällige Klimawende?

Der Petersberger Klimadialog, bisher alljährlich in Berlin als informelle Vorbereitung für den jeweiligen UN-Klimagipfel in Herbst veranstaltet, diesmal allerdings per Videoschalte, war dafür ein erster Test. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) brachte dabei die Sache auf den Punkt: "Die Frage, wie die Weltgemeinschaft den Neustart der Weltwirtschaft organisiert, ist für den Klimaschutz entscheidend."

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte schon im Vorfeld versucht, zumindest für Europa gut Wetter zu machen. Der Klimaschutz werde in der EU nicht von der politischen Agenda verdrängt werden, sagte sie, man werde ihn "genauso auf der Tagesordnung haben wie die Gesundheitsfragen".

Corona kann zur Klimawende werden

Das war immerhin eine Ansage. Europa ist beim Klimaschutz derzeit dank des Green-Deal-Projekts international der Hoffnungsträger. Und wie die Sache hier ausgeht, hat Signalwirkung für den Rest der Welt – zumal wenn erstmals seit 1995, coronabedingt, der eigentlich in Glasgow geplante Klimagipfel ausfällt.

Die Chance ist da: Die Pandemie könnte zu einem Wendepunkt in der Klimapolitik werden. Die globalen CO2-Emissionen werden in diesem Jahr voraussichtlich stärker zurückgehen als nach der Finanzkrise vor gut zehn Jahren. Aber das ist am Ende nicht ausschlaggebend.

Es kommt darauf an, mit welchen Mitteln die Länder versuchen, wieder aus der ökonomischen Krise herauszukommen. Die Konjunkturprogramme, die nun geschnürt werden, entscheiden darüber, ob der Wiederaufschwung fossil oder solar ist. Dabei geht es um irrsinnige Mengen an Geld, und entsprechend hart sind die Kämpfe darum.

Industrievertreter und Lobbyverbände versuchen, den Green Deal auf Eis zu legen, allen voran die Autoindustrie, die die EU-Kommission aufgefordert hat, die seit Jahren feststehenden Vorschriften für strengere CO2-Flottengrenzwerte zu verschieben.

Auch andere Branchen, von der Agrar- bis zur Plastikindustrie, decken die Kommission mit Brandbriefen und -E-Mails ein. Tenor: Strikte Klimapolitik sei Gift für Europas Wirtschaftsaufschwung. Unterstützung bekommen sie von konservativen und rechtspopulistischen Politikern, die die alte Platte digital neu aufgezogen haben und laut abspielen: Klimaschutz sei zu teuer.

Zum Glück hat auch die Gegenposition Gewicht. Nicht nur Umweltverbände und Grünen-Politiker streiten für eine ambitionierte Klimapolitik. Auch Big Player der Wirtschaft, darunter Konzerne wie Allianz, Eon, Otto, Puma und Telekom, haben jetzt gefordert, sie zum "zentralen Bestandteil" des wirtschaftlichen Wiederaufbaus zu machen.

Nicht noch einmal die alten Strukturen konservieren

Bisher wackelt der Green Deal nicht. EU-Chefin von der Leyen und ihr Klimakommissar Timmermans verteidigen ihn. Sie wollen verhindern, dass die vielen Milliarden in einen Wiederaufbau der Wirtschaft auf den Vor-Corona-Stand gepumpt werden. Stattdessen soll gefördert werden, was klimafreundlich ist – etwa erneuerbare Energien, die Sanierung von Häusern und vor allem eine moderne Mobilität.

Dass ein Green Deal einen Quantensprung beim Umwelt- und Klimaschutz bringen kann, zeigte die Erfahrung nach der Finanzkrise. Länder, die wie Südkorea schon damals auf einen grünen Aufschwung setzten, konnten sich modernisieren. Deutschland hingegen, das eine milliardenschwere, ökologisch ungerichtete Auto-Abwrackprämie auflegte, konservierte damit die alten Strukturen.

Kanzlerin Merkel positionierte sich hier zum Abschluss des Petersberger Klimadialogs in dankenswerter Klarheit: Die Konjunkturprogramme müssen dem Klimaschutz dienen.

Wir nehmen sie ab sofort beim Wort. Konjunkturhilfen für die Industrie zum Beispiel müssen daran gebunden werden, dass Investitionen in den Klima- und Umweltschutz fließen. Milliarden noch einmal in die fossile Renaissance zu stecken, ist tabu.

Das gilt auch für den Stromsektor, wo Entscheidungen beim Ausbau von Solar- und Windenergie jetzt überfällig sind. Bisher scheint die Regierung allein darauf zu setzen, dass es 2020 noch einmal mehr Sonne und Sturm gibt. Das wird nicht gut gehen.

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