Emissionshandel weltweit
Auf vier Kontinenten gibt es größere und kleinere, stärkere und schwächere Emissionshandelssysteme. (Grafik: ICAP)

Angesichts steigender Energiepreise haben die Staats- und Regierungschefs der Welt zwei Möglichkeiten, ihre Klimastrategie zu ändern. Sie können sich entweder von ihren Klimastrategien verabschieden, um die Energiepreise kurzfristig zu senken.

Oder sie können die Situation erst recht als Ansporn für mehr Klimaschutz verstehen, indem sie den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen beschleunigen und die Abhängigkeit von Öl- und Gaspreisen verringern. 

Die erste Option mag in ihrer Einfachheit verlockend erscheinen – was zuletzt die vermehrten Forderungen gezeigt haben, die Europäische Union möge Teile ihres Green Deal aufgeben.

In Wirklichkeit wäre sie nur eine Scheinlösung, die so gut wie gar keine Wirkung entfaltet, da ihr ein eigentlich viel umfassenderes Systemproblem zugrunde liegt.

Die mit der Klimapolitik verbundenen Kosten machen nämlich nur einen geringen Anteil an den Energiekosten für die Verbraucher aus. Richard Murphy, Professor an der Universität Sheffield, hat dies kürzlich anhand von Daten des britischen Energieversorgers SSE aufgeschlüsselt.

Er kommt zu dem Ergebnis, dass etwa 13 Prozent der Kosten auf "grüne und andere Abgaben" entfallen. Eine völlige Abschaffung aller klimapolitischen Maßnahmen hätte also nur eine begrenzte Wirkung auf die Eindämmung des Energiepreisanstiegs.

 

Die zweite Option böte größere und länger anhaltende Vorteile. Es wäre nicht das erste Mal, dass Maßnahmen zur Überwindung einer Krise der Umwelt zugutekommen. Die pandemiebedingten grünen "Build back better"-Konjunkturpakete sind Beispiele aus jüngster Zeit.

In der gegenwärtigen wirtschaftlichen und politischen Situation stellt sich die Frage, welches jetzt das richtige politische Instrument ist, um die Dekarbonisierung zu fördern und gleichzeitig sicherzustellen, dass jene, die unter schwierigen sozioökonomischen Bedingungen leben, nicht übermäßig belastet werden.

Hier muss das Rad nicht neu erfunden werden: Etwa ein Drittel der Weltbevölkerung lebt bereits im Wirkungsbereich von Maßnahmen, die sowohl finanziellen Schocks standhalten können als auch Anreize für die angestrebte Dekarbonisierung bieten – und zwar von Emissionshandelssystemen.

Krisenfest die Dekarbonisierung verfolgen

Ein aktueller Bericht der International Carbon Action Partnership (ICAP), eines Netzwerks von Regierungen, die an der Umsetzung des Emissionshandels arbeiten, zeigt: Weltweit existieren bereits 25 solcher Systeme, während weitere 22 in der Entwicklung oder Planung sind.

Einige dieser Systeme bestehen bereits seit fast zwei Jahrzehnten und haben schon größere Krisen überstanden. Der älteste Emissionsmarkt der Welt, das EU‑Emissionshandelssystem, hat der globalen Finanzkrise von 2008 und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Problemen standgehalten.

Als unmittelbare Folge stürzten die CO2-Preise ab – aber genau so sollte ein solcher Markt funktionieren: Eine geringere Nachfrage aufgrund geringerer Emissionen führt zu niedrigeren Preisen. Auf diese Weise werden die Unternehmen kurzfristig entlastet, während das langfristige Umweltziel erhalten bleibt. Das wäre bei einer festen CO2-Steuer nicht der Fall. 

Porträtaufnahme von Stefano de Clara.
Foto: H. Schild-Vogel/​Adelphi

Stefano De Clara

Der studierte Umwelt­wissenschaftler Stefano De Clara leitet das Sekretariat der Inter­national Carbon Action Partnership (ICAP) in Berlin in Projekt­trägerschaft der Beratungs­firma Adelphi.

Durch seither durchgeführte Reformen ist das EU‑Emissionshandelssystem sogar noch widerstandsfähiger geworden. Auch andere Märkte auf der ganzen Welt – von Kalifornien bis Neuseeland – haben ähnliche Regelungen eingeführt. 

Ihre Resilienz wurde auch im Zuge der Covid‑19-Pandemie auf die Probe gestellt. Doch die Emissionshandelssysteme haben sich erneut als robust erwiesen und wie erwartet reagiert. Da mehrere Regierungen versuchen, ein "grünes" Wachstumsmodell voranzutreiben und ehrgeizige Ziele für Klimaneutralität zu verfolgen, bleibt der Emissionshandel eine attraktive Option.

So hat China im vergangenen Jahr einen nationalen CO2-Markt eingeführt, der – obwohl er vorerst nur einen Sektor abdeckt – mit vier Milliarden Tonnen erfasster Kohlendioxidemissionen den EU‑Markt als größtes System der Welt abgelöst hat. 

Künftige Energiekrisen vermeiden

Trotz der erwiesenen Resilienz der CO2-Märkte sowie der weltweiten Bestrebungen, den CO2-Ausstoß schneller zu reduzieren, nutzen die Gegner ehrgeiziger Klimaschutzziele die derzeitige Situation, um die Abschaffung aller "grünen Abgaben" und die Aufgabe entsprechender Pläne zu fordern. Dies wäre jedoch ein Fehler. 

Erstens haben sich Emissionshandelssysteme in der Vergangenheit als flexible Instrumente erwiesen, die von ihrer Anlage her in der Lage sind, auch auf starke externe Schocks zu reagieren.

Zweitens bieten Emissionshandelssysteme eine Reihe von zusätzlichen Vorteilen, nicht zuletzt die Möglichkeit, die Auswirkungen hoher Energiepreise abzumildern. Die Einnahmen aus dem staatlichen Verkauf von Emissionszertifikaten können in Initiativen zur weiteren Reduzierung der Emissionen und damit der langfristigen Kosten für die Verbraucher, vor allem verletzlicher Gruppen, reinvestiert werden.

Energieeffizienzverbesserungen an Wohngebäuden, Zuschüsse und finanzielle Unterstützung für neue Technologien wie Energiespeicherung und CO2-Abscheidung, Projekte für erneuerbare Energien auf kommunaler Ebene, Umstellung der staatlichen Fahrzeugflotten auf Elektrofahrzeuge – all das trägt dazu bei, die Gesellschaft vor den Auswirkungen der Klimakrise und hoher Energiepreise zu schützen.

Wenn es den Regierungen ernst damit ist, die Klimaneutralität zu erreichen, kommen sie am Emissionshandel nicht vorbei.

Dabei geht es nicht nur um das Ziel für 2050, sondern auch um den Weg dorthin. Emissionshandelssysteme helfen dabei, einen Pfad für Reduktionen und Meilensteine auf dem Weg zur Klimaneutralität festzulegen – wichtige Signale für Unternehmen und Investoren. 

Die Notwendigkeit des Verzichts auf fossile Brennstoffe ist seit Jahren bekannt, ebenso die Lösungen. Wir können eine Wiederholung der Energiekrise in Zukunft vermeiden, wenn wir heute kluge Entscheidungen treffen und schnell handeln. Die Bepreisung von CO2 trägt dazu bei, Anreize für diesen Schritt zu schaffen.

Jetzt ist nicht die Zeit, beim Klimaschutz auf die Bremse zu treten, sondern ihn mit neuem Elan und den richtigen Instrumenten zu intensivieren.

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