Ein Panzer mit zur Seite gerichtetem Rohr vor nächtlichem Feuerschein.
Waffen entscheiden Kriege, lösen aber keine Konflikte. (Foto: Ilkin Zeferli/​Shutterstock)

Wir sitzen abends in warmen Wohnzimmern und schauen Krieg. Wir sind empört und wollen helfen. Reflexartig wünschen wir uns die Ukraine wehrtüchtig und schicken Waffen, damit vor allen Dingen das eigene Gewissen beruhigt ist.

Morgens gehen wir aber wieder in die Garage und starten das Auto. Mit dem Geld für den Sprit finanzieren wir zu einem großen Teil Putins Krieg. Das wollen wir nicht wahrhaben und denken lieber über die Renaissance von Braunkohle und Atomkraft nach. Hauptsache, die Versorgung ist gesichert!

Krieg kann nie eine Option sein. Mit Panzern ein Land zu überfallen und Menschen zu erschießen, ist unter keinen Umständen ein Mittel der Wahl. Insofern ist Russland entschieden entgegenzutreten.

Aber mit welchen Mitteln? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir gerade in Zeiten leben, die an den Beginn des Ersten Weltkriegs erinnern. Das Böse bekämpfen und für Freiheit und Vaterland eintreten.

Da die Ukraine offenkundig mit Waffen unterversorgt ist, löst dies insbesondere in Deutschland den starken Wunsch aus, schnell zu liefern. Als ob durch Waffen schon jemals irgendwo in der Welt auch nur ein Problem gelöst worden wäre. Und was kommt noch alles?

Plötzlich wird klar, dass wir von russischen Gas- und Ölimporten abhängig sind. Allein die Staaten der EU überweisen täglich mehr als 183 Millionen Dollar an Russland. Keine neue Erkenntnis.

Auch hier wird schnell rückgeschlossen: Versorgungssicherheit ist wichtiger als der Klimawandel, das hat der deutsche Wirtschaftsminister verkündet und dabei offengelassen, ob für ihn eine Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken denkbar ist. Für diese Aussage hätte man nicht Grün wählen müssen. Das hätte selbst Armin Laschet authentischer geschafft.

Die Kollegen in den Kohlerevieren sind neu beseelt und fordern, dass die Braunkohle als Energiereserve neu zu bewerten ist und der vorzeitige Ausstieg vom Tisch muss, damit wir nicht länger auf Putins Öl- und Gaslieferungen angewiesen sind.

Rückfall in die bipolare Welt

Der Überfall Russlands auf die Ukraine scheint alle mühsam geschlossenen Schleusen wieder zu öffnen. Wir müssen in Deutschland die Streitkräfte aufrüsten und sogar die Wehrpflicht wieder in Kraft setzen und vor allen Dingen endlich unser Weltbild wieder geraderücken: Der Russe will die ganze Welt unterjochen, so wie es deutsche Intellektuelle nicht müde werden immer wieder zu verkünden. Wir waren viele Jahre zu dumm, haben naiv gelebt und geliebt! Wir müssen zurück in die bipolare Welt: hier der gute Westen und dort der böse Osten.

Porträtaufnahme von  Andreas Knie.
Foto: David Außerhofer

Andreas Knie

Der Sozial­wissen­schaftler mit den Schwer­punkten Wissen­schafts­forschung, Technik­forschung und Mobilitäts­forschung lehrt an der TU Berlin und leitet die Forschungs­gruppe Digitale Mobilität am Wissen­schafts­zentrum Berlin. Andreas Knie ist Mitglied im Herausgeberrat von Klimareporter°.

Gerade die aktuellen Regierungsparteien sind mächtig dabei, gemeinsam mit der Opposition die alte Weltordnung wiederherzustellen. Man fühlt sich an Kaiser Wilhelm am Vorabend des Ersten Weltkriegs erinnert: Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.

Allerdings mit dem kleinen Nachteil, dass wir uns selbst in die alte revanchistische deutsche Welt zurückbomben, aus der wir viele Jahrzehnte mühsam, aber doch erfolgreich herausgeklettert sind. Warum nutzen wir den Überfall nicht dazu, unsere Gesellschaft weiterzuentwickeln, statt in alte Reflexe des Kalten Krieges zu verfallen?

Die Erneuerbaren sind die heimische Energiequelle. Jeder Benzin- und Dieselkilometer finanziert dagegen Putins aggressive Politik. Wir selber haben Putins Russland so stark gemacht. Statt in das alte Weltbild zurückzufallen, wie es nun selbst die Regierungsgrünen tun, könnten wir die Weichen für eine grüne Modernisierung unseres Landes jetzt endlich und angesichts des Krieges mit neuer Radikalität stellen.

Die Rohstoffbasis mit Waffengewalt sichern?

Versorgungssicherheit um jeden Preis? Vielleicht könnten wir es uns als Wohlstandsgesellschaft durchaus leisten, eine oder zwei Stunden täglich auf den Strom zu verzichten, ohne dass wir uns wieder in Felle hüllen, auf Bäume klettern oder Wurzeln essen müssen.

Die größte Sanktion gegenüber Russland wäre nämlich, dort kein Öl und Gas mehr zu kaufen. Doch stattdessen ruft die deutsche Regierung zu den Waffen, und das mit dem wohl kalkulierten Ergebnis, dass die Waffenindustrie mächtig verdient.

Tacheles!

In unserer Kolumne "Tacheles!" kommentieren Mitglieder unseres Herausgeberrats in loser Folge aktuelle politische Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen.

Warum kann man der Ukraine nicht – statt sie in die Nato oder die EU zu holen – dabei helfen, zu einem modernen, digitalen, friedfertigen Staat zu werden, dessen Freiheiten so attraktiv sind, dass sie nicht mit Dieselpanzern totgeschossen werden können? Klar ist das schwierig. Aber mit mehr Waffen wurde noch nie etwas Gutes erreicht.

Wieder völlig naiv? Vietnam, Afghanistan, Libyen, Iran, Irak, so viele staatliche Ruinen, weil wir im Westen unseren Einflussbereich und die Rohstoffbasis mit Waffengewalt sichern wollten. Wir müssen nicht still zusehen. Wir müssen bei uns den Umbau in eine ökologische Wirtschaftsbasis vorantreiben und nicht unsere Waffen in die Welt exportieren.

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