Echte Weltrettung geht nur mit echter Umverteilung von oben nach unten, sagt der Club of Rome. Ob die Institutionalisierung und Kommunikation dieses Ziels gelingt? (Foto: Jacob Lund/​Shutterstock)

Im Jahr 1972 veröffentlichte der Club of Rome sein erstes Buch. "Die Grenzen des Wachstums" erschütterte auf gerade mal 200 Seiten die damals vorherrschende Fortschrittsgläubigkeit und machte Millionen Menschen auf die drohende Überlastung des Planeten Erde aufmerksam.

Methodisch beruhte das Buch auf dem systemdynamischen Modell "World 3", das Jay Forrester vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelt hatte.

Es stellte fünf Variablen in Beziehung zueinander: Weltbevölkerung, Nahrungsmittel pro Kopf, Industrieerzeugnisse, verfügbare Ressourcen und Verschmutzung der Umwelt, wobei deren gegenseitige Beeinflussung aus den Erfahrungen der Vergangenheit und Annahmen über die Zukunft abgeleitet wurde. In kurzer Zeit ermittelte der schon hoch entwickelte MIT-Computer daraus Entwicklungsszenarien für ein Jahrhundert.

Die zweite, revidierte und erweiterte Fassung des Buches aus dem Jahr 1992 signalisierte mit dem Titel "Die neuen Grenzen des Wachstums" eine ernste Warnung: In Teilbereichen des globalen Systems waren relevante Grenzen überschritten worden, vor allem bei der Belastbarkeit der Senkenfunktion von Luft, Wäldern, Mooren und Meeren.

"Wir haben das Ziel unserer Arbeit nicht erreicht"

2004 erschien dann die dritte, erneut erweiterte und revidierte Fassung mit dem Untertitel "Das 30‑Jahre-Update". Diese 350 Seiten lange Fassung ist weiterhin sehr gefragt, auf Deutsch ist sie vor Kurzem in der zehnten Auflage erschienen.

In zehn Szenarien zeigten die Autoren mögliche Zukünfte anhand der wichtigsten Systemparameter. Die Szenarien eins bis acht endeten alle in Grenzüberschreitung (overshoot) beziehungsweise Zusammenbruch (collapse).

Szenario neun illustrierte dagegen das Leitbild Nachhaltigkeit (sustainability) und Szenario zehn zeigte, was möglich gewesen wäre, hätte man schon vor 30 Jahren auf dieses Leitbild hingearbeitet: niedrigere Weltbevölkerung, weniger Umweltverschmutzung, höherer Anteil erneuerbarer Ressourcen, kleinerer ökologischer Fußabdruck, höheres Wohlbefinden der Erdbewohner.

Die Autoren dieser drei Bücher waren als Wissenschaftler äußerst erfolgreich. Sie haben den globalen "Nachhaltigkeitsdiskurs" befruchtet, die "De-Karbonisierung" und die "De-Materialisierung" der Wirtschaft und die "Re-Naturierung" der Gesellschaft zu strategischen globalen Konzepten gemacht.

Doch all dies hat die weitere Belastung und Zerstörung der natürlichen Umwelt nicht verhindert.

Die Autoren litten darunter und bekannten sich dazu: "Wir haben das Ziel unserer Arbeit nicht erreicht. Wir haben weiterhin große Sorge, dass die gegenwärtigen politischen Trends zu planetarer Grenzüberschreitung und Zusammenbruch führen werden. Wir haben dabei versagt, das Phänomen der Grenzüberschreitung (overshoot) und des Zusammenbruchs (collapse) in der öffentlichen Debatte zu verankern."

Ein ganz anderes Buch

50 Jahre nach dem ersten Buch über die Grenzen des Wachstums erschien nun ein ähnlich begründetes Buch des Club of Rome mit dem spektakulären Titel "Earth for All", in dem ein "Survivalguide", ein Überlebensratgeber für den Planeten Erde präsentiert wird.

Es erinnert ausführlich an die Vorläufer-Studien und lobt sie auch – doch es ist ein ganz anderes Buch geworden, sowohl in der Methodologie als auch bei den zugrunde liegenden Zielen.

Ähnlich wie beim Vorläufer von 1972 basiert aber auch dieses Buch auf einem systemdynamischen Computermodell zur Untersuchung der Dynamik des Wirkens des Menschen auf den Planeten Erde – dem "Earth-For-All-Modell".

Foto: privat

Udo Ernst Simonis

ist Professor emeritus für Umwelt­politik am Wissen­schafts­zentrum Berlin (WZB). Der Volk­swirt war Mitglied des Wissen­schaft­lichen Beirats der Bundes­regierung für Globale Umwelt­veränderungen (WBGU). Von 1991 bis 2016 war er Chef­redakteur und Mit­heraus­geber des Jahr­buchs Ökologie.

Dies ist eine Weiterentwicklung des World‑3-Modells und zweier anderer globaler Modelle. Es bezieht Schätzungen über den Investitionsbedarf existenzieller Herausforderungen ein, besonders die Ausgaben, die zur Behandlung des inzwischen eingetretenen Klimanotstands erforderlich geworden sind und in Zukunft erforderlich werden.

Von den Szenarien, die auf Basis des neuen Modells und mit Hilfe der Vielfalt der Mitarbeiter hätten beschrieben werden können, wurden für das Buch nur zwei Extreme ausgewählt: Too Little, Too Late (Zu wenig, zu spät) und Giant Leap (Riesensprung).

Das erste Szenario unterstellt, dass die Regionen und Gesellschaften der Welt auch in Zukunft Entscheidungen treffen und auf Herausforderungen so reagieren, wie sie es schon in der Vergangenheit getan haben – mit einer "Politik der kleinen Schritte".

Giant Leap bedeutet dagegen, dass die Regionen und Gesellschaften die miteinander verknüpften ökonomischen, sozialen und ökologischen Krisen besser erkennen und den Kurs durch ambitionierte Konzepte und Maßnahmen ändern – hin zu einer "Politik der großen Schritte".

Fünf "außerordentliche Kehrtwenden" 

Für das Szenario Giant Leap werden fünf "außerordentliche Kehrtwenden" als Grundvoraussetzung postuliert – außerordentlich, weil sie mit den Trends der Vergangenheit brechen und das Potenzial für weitreichende Systemwechsel haben:

  • Armutskehrtwende: die Wirtschaft der Ärmsten darf wachsen
  • Ungleichheitskehrtwende: Dividenden teilen
  • Ermächtigungskehrtwende: Geschlechtergerechtigkeit herstellen
  • Ernährungskehrtwende: gesunde Ernährung für Menschen und Ökosysteme
  • Energiekehrtwende: Umstieg auf erneuerbare Energien
    (mehr dazu im Kasten ganz unten)

Die Autoren animieren die Leserschaft, auch andere Kehrtwenden auszuloten, ohne selber aber weitere Themen zu verfolgen. Immerhin stellen sie die Frage: Wie steht es mit der Governance? Sprich: Wie soll das alles durchgesetzt werden?

Sie hätten, als global orientierte Wissenschaftler, aber auch fragen können – oder müssen –, wie eine Reform des UN-Systems betrieben werden sollte oder wie eine "Wissenschaft der Kehrtwende" global entwickelt werden könnte.

Die Notwendigkeit der "Armutskehrtwende" wird mit der aktuellen Entwicklung begründet. Die Corona-Pandemie hat die globale Armutsbekämpfung enorm zurückgeworfen. Neue Schätzungen gehen davon aus, dass im Jahr 2030 bis zu zehn Prozent der Weltbevölkerung von extremer Armut betroffen sein könnten.

 

Die Autoren fordern dazu auf, drei bis vier Milliarden Menschen den Weg aus der Armut zu ebnen. Konkret wird dazu vorgeschlagen: Erweiterung der politischen Optionen der einkommensschwachen Länder, Bewältigung der durch Verschuldung und Finanzinfrastruktur entstehenden Probleme, Umgestaltung der globalen Handelsarchitektur, besserer Zugang zu Technologien, mit denen Klimawandel und Armut bekämpft werden können.

Was die notwendige "Energiekehrtwende" angeht, zielen die Autoren auf die komplette weltweite Umstrukturierung der Energiegewinnung und Energieanwendung. Das Ziel des Pariser Klimaabkommens, die menschengemachte Erderwärmung deutlich unter zwei Grad zu halten, erfordert die drastische Steigerung der Energieeffizienz und den schnellstmöglichen Ausbau der erneuerbaren Energien.

Mit deutlichen Worten werden hier die Hürden und Hindernisse beschrieben: Die meisten Regierungen hätten es bisher versäumt, sich zu einer massiven Reduzierung der CO2-Emissionen zu verpflichten, enorme Subventionen flössen weiterhin in die fossile Brennstoffindustrie. Dem müsse das Prinzip der systemischen Effizienz entgegengestellt werden, die Elektrifizierung von (fast) allem und ein exponentielles Wachstum neuer erneuerbarer Energien.

Das Kapitel endet mit einer visionären Schlussfolgerung: Der notwendige Rückgang der CO2-intensiven Industriebranchen in den Bereichen Energie, Verkehr und Lebensmittel werde den enormen Bedarf an globaler Logistik und globalem Transport rapide verringern. Er werde Milliarden Hektar Land frei verfügbar machen, die Regeneration der Ozeane ermöglichen und die Luftverschmutzung drastisch reduzieren.

Die schnellste Transformation der Geschichte

Das Buch schließt mit einem fulminanten Aufruf zum Handeln. Dazu heißt es: "Die Aufgaben sind gewaltig. Die Hindernisse sind riesig. Die Gefahren sind enorm. Die Zeit, die uns bleibt, ist kurz. Wir haben vorgeschlagen, die schnellste sozial-ökonomische Transformation der Geschichte in Gang zu setzen. Und die schwersten Aufgaben müssen im ersten Jahrzehnt angepackt werden. Jetzt!"

Das Buch

Sandrine Dixson-Declève, Jørgen Randers, Johan Rockström u. a.: Earth for All. Ein Survivalguide für unseren Planeten. Oekom Verlag, München 2022, 256 Seiten, 25 Euro

Im neuen Buch des Club of Rome geht es ohne Zweifel um entscheidende globale Fragen. Aber wird es auch ein wirkungsvolles Buch sein?

Der Rezensent möchte die Antwort auf diese Frage den Lesern und Leserinnen überlassen. Doch eine Einschätzung muss erlaubt sein: Es ist ein wichtiges und zugleich ein besonderes Buch, ein Buch, das in einem großen und komplexen internationalen Netzwerk entstand – von einem multidisziplinären, internationalen Team von Wissenschaftlern, die sich als Botschafter des Giant Leap, des "Riesensprungs", und als Überlebensratgeber verstehen.

So könnte sich ein großer Teil der Weltbevölkerung angesprochen fühlen, wenn die Institutionalisierung und Kommunikation der fünf präsentierten außerordentlichen Kehrtwenden gut gelingt.

Die wichtigsten politischen Forderungen zu den fünf "außerordentlichen Kehrtwenden"
 

Armut

  1. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sollte die Möglichkeit erhalten, armen Ländern mehr als eine Billion US-Dollar für Investitionen in grüne Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen.
  2. Streichung aller Schulden in Ländern mit niedrigem Durchschnittseinkommen (weniger als 10.000 Dollar pro Person).
  3. Neu entstehende Industrien sollten in Ländern mit niedrigem Einkommen geschützt, die Handelsbeziehungen dieser Länder untereinander gestärkt werden. Technologien für erneuerbare Energien sollten sich schneller verbreiten, wozu die vielen Hindernisse für sinnvollen Technologietransfer beseitigt werden müssen.

Ungleichheit

  1. Die Steuern für die reichsten zehn Prozent einer Gesellschaft sollten so lange erhöht werden, bis den Wohlhabendsten in Summe weniger als 40 Prozent des nationalen Einkommens bleiben. Um die Einkommens-Ungleichheit, wie auch die hohen CO2-Emissionen zu bekämpfen, müssten generell progressive Besteuerungsverfahren eingeführt werden.
  2. Gesetzgebung durchsetzen zur Stärkung der Arbeitnehmerrechte und für den Beschäftigungsschutz.
  3. Einführung von "Bürgerfonds", um den Bürgern und Bürgerinnen einen gerechten Anteil am Reichtum des Landes und an den globalen Gemeingütern zukommen zu lassen.

Gleichberechtigung der Geschlechter

  1. Zugang zu Bildung für alle Mädchen und Frauen weltweit.
  2. Parität der Geschlechter in der Unternehmensführung.
  3. Angemessene Renten für alle.

Ernährung

  1. Drastische Maßnahmen zur Verringerung der Lebensmittelverschwendung.
  2. Verstärkung der Anreize für regenerative und nachhaltige Landwirtschaft.
  3. Garantie ausreichender und Förderung gesunder Ernährung weltweit.

Energie

  1. Schnellstmöglicher Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und gleichzeitiger Ausbau erneuerbarer Energien. Die Investitionen in erneuerbare Energien und in Energieeffizienz sollten auf über eine Billion Dollar pro Jahr gesteigert werden.
  2. Was elektrifiziert werden kann, muss elektrifiziert werden.
  3. Investitionen in die Energiespeicherung in großem Maßstab.
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