Ein chronischer Krisenzustand ist erschöpfend. Damit müssen wir klarkommen. (Bild: Mike Haynes/​Pixabay)

Klimareporter°: Frau van Bronswijk, mit Ihrem Blick als Psychotherapeutin: Sind Sie manchmal verwundert darüber, wie Menschen aus Ihrem Umfeld, oder auch die Gesellschaft im Allgemeinen, mit dem Wissen der Klimakrise umgehen?

Katharina van Bronswijk: Verwundert nicht wirklich. Das ist psychologisch alles gut erklärbar. Auch wenn ich es vielleicht persönlich manchmal nicht nachvollziehbar finde, ich kann es mir erklären.

Und was ist die Erklärung? Seit den 1970er Jahren warnt die Wissenschaft vor dem menschengemachten Klimawandel. Spätestens seit Fridays for Future hat das auch in Deutschland den Letzten erreicht und trotzdem scheitert unsere Gesellschaft daran, adäquat auf die Krise zu reagieren.

Ein Teil der Erklärung ist, dass wir eine sehr rege Lobbytätigkeit haben. Die hat dazu beigetragen, dass viele Menschen die Krise nicht so wirklich ernst nehmen. Medienkampagnen, die die Klimawissenschaft in Zweifel gezogen haben, waren ziemlich erfolgreich.

Ich glaube, dass die Ernsthaftigkeit der Klimakrise vielen Menschen erst durch die zunehmenden Extremwetterereignisse bewusst geworden ist. Aber natürlich haben sich auch die Lobby-Narrative angepasst.

Heute werden vor allem die Nachteile der Nachhaltigkeits-Transformation betont. Sie sei viel zu teuer oder nicht sozial verträglich. Und ganz neu: Fossile Konzerne präsentieren sich selbst als Retter der Welt. Sie würden die Brückentechnologien liefern und hätten das Know-how, die Welt aus der Krise zu führen – die sie ja erst erzeugt haben.

All das sind mächtige Narrative, die verfangen und es Menschen schwer machen, adäquat auf die Krise zu reagieren.

Aber natürlich gibt es auch psychologische Gründe. Der Klimawandel und noch mehr die planetaren Grenzen sind komplex. Es fällt dem menschlichen Gehirn schwer, konkret darüber nachzudenken und konkrete Lösungen zu finden. Die psychische Distanz ist sehr groß.

Was meinen Sie mit psychischer Distanz?

Dinge sind dann psychisch nah an uns dran, wenn sie zeitlich, räumlich, sozial und mit hoher Wahrscheinlichkeit uns betreffen. Wenn heute noch etwas mit hoher Wahrscheinlichkeit auf mich zukommt, dann lässt mich das aktiv werden.

Bild: Arnaud Boehmann

Katharina van Bronswijk

ist Psychologin und Psycho­therapeutin mit eigener Praxis in Nieder­sachsen. Sie ist seit 2009 im Klima­schutz aktiv und als Sprecherin der Psychologists and Psycho­therapists for Future gut vertraut mit den komplexen Zusammen­hängen zwischen Umwelt­krisen und psychischer Gesundheit. Zudem ist sie als Dozentin und Autorin tätig.

Langfristige, chronische Probleme haben es einfach schwer, weil Menschen dann zu abstrakterem Denken neigen. Evolutionär sind Menschen nicht dafür ausgelegt, weiter als fünf Jahre in die Zukunft zu planen.

Wir können das zwar. Gerade in Deutschland gibt es eine Kultur, sich gegen alle möglichen mehr oder weniger abstrakten Risiken in der Zukunft zu versichern. Aber dafür braucht es gesellschaftliche Strukturen, die das normalisieren.

Bei klimafreundlichem Verhalten ist das anders. Die soziale Norm ist Fleischessen, Autofahren und anderes klimaschädliches Verhalten. Klimafreundlich zu leben, ist eine Art Pionierleistung.  Das macht nur ein kleiner Teil der Gesellschaft und nicht der Mainstream.

Zudem sind die Möglichkeiten für ein klimafreundliches Leben in dem gegenwärtigen gesellschaftlichen Kontext beschränkt.

Es fehlt an entsprechender Infrastruktur. Es gibt nicht für alles eine wirklich nachhaltige Alternative zur Auswahl.

Eine Grunderkenntnis aus der Umweltpsychologie ist, dass die nachhaltigste Option im besten Falle die einfachste und auch die billigste sein sollte. Dann ist es ein No-Brainer und Menschen machen das einfach.

Es gibt also auch kontextuelle und sozialpsychologische Aspekte, die dem krisenadäquaten Handeln im Weg stehen und nicht nur das individuelle Denken.

Welche Rolle spielt die eigene Ideologie dabei, wie man auf die Fakten des Klimawandels reagiert?

Unsere politische Einstellung beeinflusst unsere Informationsverarbeitung. Das ist bei allen politischen Richtungen so. Wir verarbeiten Informationen selektiv, und zwar so, dass sie in unser Weltbild passen.

Dadurch ist es schwieriger, umzudenken. Es ist nicht unmöglich, aber ein Bewusstseinswandel braucht Zeit.

In unserem aktuellen Modell von Demokratie bekommen Menschen außerdem den Eindruck vermittelt, dass ihre Teilhabe an gesellschaftlichen Entscheidungen mit der Wahl aufhört. Viele Menschen haben verlernt, sich als Teil der Gesellschaft oder von Politik zu denken.

Ein Großteil der deutschen Gesellschaft sieht sich als unpolitisch und nicht zuständig für die gesellschaftliche Transformation. Viele Menschen sehen die sozialen Strukturen, Gesellschaftspolitik, Wirtschaftsstrukturen als etwas, das sie erdulden müssen, und nicht als etwas, das sie gestalten können.

Wir müssen wieder lernen, uns als Teil von Kollektiven zu verstehen und in dem Erleben kollektiver Wirksamkeit diese Strukturen auch zu verändern.

Genau das versucht die Klimabewegung. Doch auch viele Aktivist:innen berichten über ein Ohnmachtsgefühl und Frustration. Muss man einfach akzeptieren, dass es in dem gegenwärtigen System sehr schwierig ist, Veränderungen zu bewirken?

Eine Sache muss ich erstmal klarstellen. Wir befinden uns in einer existenziellen Krise. Natürlich ist das erschöpfend und fühlt sich nicht gut an. Die Annahme, dass sich ein chronischer Krisenzustand gut anfühlt, ist absurd. Krise ist anstrengend und Punkt. Damit müssen wir leben.

Die zweite Sache ist: Es ist wichtig, realistische Erwartungen an sich und das, was man erreichen kann, zu stellen. Studien zeigen, dass Menschen unterschätzen, was sie als Teil einer Bewegung bewirken können. Natürlich ist das aber auch nicht wirklich messbar, beziehungsweise nicht möglich, den individuellen Beitrag zu benennen.

Eine gesellschaftliche Transformation braucht einfach ihre Zeit. Wir müssen mit der Einstellung rangehen, dass wir die Früchte unserer Arbeit erst in 15 bis 20 Jahren sehen werden. Deshalb sollten wir uns nicht so sehr an Zielen aufhängen, sondern Dinge tun, weil sie richtig sind.

Werteorientiert zu leben und das als Grundlage des eigenen Handelns zu sehen, ist nicht nur im Umweltbereich wichtig, sondern auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Alle Menschen können immer, in jeder Sekunde ihres Lebens, zu dem großen Ziel einer nachhaltigen Gesellschaft beitragen.

Viele Aktivist:innen, auch viele Wissenschaftler:innen verstehen die Klimakrise als eine Krise unseres Systems. Ist ein werteorientiertes Leben denn genug, um einen Systemwandel, also eine klimagerechte Transformation, zu erkämpfen?

Mir ist wichtig, dass jeder Mensch für sich Handlungsmöglichkeiten findet, die zu ihm oder ihr passen. Wenn ich nun nicht radikal-progressiv bin, sondern konservativ und heimatverbunden, dann liegt mein Engagement vielleicht nicht darin, zu irgendwelchen Aktionen zu gehen.

Aber das ist auch in Ordnung. Wir dürfen nicht erwarten, dass der gesellschaftliche Wandel allein durch progressiven Aktivismus erreicht wird.

Aktivismus kann Disruptionen erzeugen. Er kann gesellschaftliche Debatten auslösen. Aber er kann die Welt nicht allein retten. Dafür braucht es auch Politik, die Wirtschaft, eben die Gesamtgesellschaft.

Viele wissenschaftliche Erkenntnisse scheinen nach wie vor kaum in der Mehrheitsgesellschaft anzukommen. Woran liegt das?

Es gibt eine Minderheit, die der Wissenschaft wirklich so sehr misstraut, dass wissenschaftliche Fakten für sie keine Bedeutung mehr haben. Aber der Großteil der Bevölkerung teilt den Grundkonsens, dass Wissenschaft den bestmöglichen Erkenntnisgewinn bringt.

Ein Problem ist aber, dass Wissenschaftskommunikation manchmal nicht so super funktioniert. Mein Eindruck ist, dass Wissenschaftler:innen es häufig nicht als ihre Aufgabe erleben, Erkenntnisse an die Öffentlichkeit zu transportieren. Es gilt teilweise sogar als unprofessionell, Interviews zu geben und Wissen medial aufzubereiten.

Da hat sich in den letzten Jahren zwar viel verändert, aber es gibt sicherlich noch Luft nach oben. Besonders eine bessere Kommunikation der wissenschaftlichen Methodik ist wichtig.

In der Pandemie haben wir gelernt, wie wichtig es ist zu erklären, was zum Beispiel Inzidenzen sind.  So was wäre auch in der Klimakommunikation wichtig.

Einige Klimawissenschaftler:innen nutzen die Öffentlichkeit mittlerweile ziemlich intensiv. Aber ihnen wird, genauso wie Medienschaffenden und Aktivist:innen, immer wieder Alarmismus vorgeworfen. Ist an dem Vorwurf was dran und beobachten Sie Alarmstimmung in der Gesellschaft?

Eine Alarmstimmung kann ich nicht erkennen. Eine Studie aus dem letzten Jahr kam zu dem Ergebnis, dass die Mehrheit eher unter einer Krisenmüdigkeit leidet. Also eher Resignation statt Panik.

Viele Menschen erleben sich als handlungsunfähig und reagieren mit einer "Kopf in den Sand"-Strategie. Sie ziehen sich also eher ins Private zurück. Das ist für viele eine schwer erträgliche Gefühlslage. Sie sehen die Dringlichkeit der Situation, aber empfinden sich selbst als ohnmächtig. Eine gängige Reaktion ist, dass Menschen Nachrichten vermeiden.

Bezüglich der Kommunikation muss man ganz klar unterscheiden. Wenn Klimawissenschaftler:innen oder gute journalistische Artikel mit Fakten die Situation erklären, dann würde ich das nicht als Alarmismus bezeichnen.

Genauso wie man sich von einem Arzt wünschen würde, dass er einem Krebspatienten die Überlebenswahrscheinlichkeit mitteilt, so müssen uns Wissenschaftler:innen auch die Fakten darlegen dürfen. Die Beiträge von Klimaforschern wie Stefan Rahmstorf oder Hans Joachim Schellnhuber empfinde ich als sehr differenziert.

Wichtig ist allerdings, auch positive Entwicklungen zu kommunizieren. Es ist wichtig zu zeigen, dass wir dieser Krise nicht ausgeliefert sind. Wir sind nicht nur die letzte Generation, die noch was tun kann. Wir sind vielleicht auch die erste Generation, die eine nachhaltige Gesellschaft kreiert.