Flugzeug fliegt in die Abendsonne.
Eine Flugreise – und die CO2-Bilanz ist im Eimer. (Foto: Gerhard Gellinger/​Pixabay)

Können wir unser Verkehrsverhalten ändern? Mit etwa 20 Prozent der Treibhausgasemissionen ist der Verkehrssektor seit Jahren das Sorgenkind der Klimapolitik. Die Bundesregierung setzt massiv auf Entlastungspakete, denn auf eine Änderung des Verhaltens vertraut der Staat offenbar nicht.

Was aber kann durch eine Verhaltensänderung der Bevölkerung eingespart werden? Während Mülltrennung eingeübt ist und der Fleischkonsum zurückgeht, steckt die Mobilität fest. Berliner Haushalte haben über ein Jahr lang in einem Experiment versucht, ihren CO2-Fußabdruck zu senken.

Ob und unter welchen Umständen Menschen bereit und willig sind, ihr Verhalten umzustellen, wird in der Wissenschaft immer wieder untersucht. Konkrete Handlungen von Einzelnen oder ganzen Haushalten können aber kaum überprüft werden. Es bleibt unklar, ob das, was man so denkt und glaubt zu tun, auch wirklich umgesetzt wird.

2018 versuchten – im Rahmen des Experiments "Klimaneutral leben in Berlin" (Klib) unter der Regie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung – 100 Berliner Haushalte ein Jahr lang, ihren CO2-Fußabdruck in allen Bereichen von Haushaltskonsum und -aktivitäten zu reduzieren. Die Auswahl der Haushalte für dieses "Reallabor" war nicht repräsentativ, die Teilnahme war völlig freiwillig und erfolgte ohne irgendeine Form von Anreiz oder Belohnung.

Dies zog Haushalte mit überdurchschnittlich hohem Interesse an Klimawandel, Klimapolitik und persönlichem Aktivismus an. Also die "üblichen Verdächtigen", überwiegend aus dem "grünen" Milieu umweltbewusster Haushalte mit überdurchschnittlich hohem Einkommen und einem formal sehr hohen Bildungsniveau.

Über die Hälfte der teilnehmenden Haushalte aus dem Ballungsraum Berlin verfügte über kein Auto. Die Haushalte erfassten auf wöchentlicher Basis mittels eines CO2-Rechners ihr komplettes Konsum- und Mobilitätsverhalten, führten also Buch über zurückgelegte Strecken und genutzte Verkehrsmittel. Die damit verbundenen CO2-Emissionen wurden erfasst und überprüft. Um mögliche Änderungen bewerten zu können, haben die Haushalte ihre Aktivitäten für das Vorjahr 2017 geschätzt.

Die Ergebnisse dieses Experiments für den Bereich Verkehr liegen nun in einem Discussion Paper des Wissenschaftszentrums Berlin vor.

Erfolge in der Alltagsmobilität – Problem Flugreisen

Bei der Alltagsmobilität konnten die Teilnehmenden durchweg Erfolge verbuchen. Die Mehrzahl der Haushalte reduzierte den CO2-Ausstoß um 21 bis 45 Prozent durch ein verändertes Mobilitätsverhalten.

Besonders in Haushalten mit Pkw fiel die Emissionsreduktion sehr stark aus. Statt mit dem Auto wurden die Wege mit Fahrrad, Bus und Bahn absolviert. In der Alltagsmobilität dieser Haushalte wurde im Schnitt mindestens ein Drittel der CO2-Emissionen allein durch eine Verkehrsverlagerung und Änderung der Alltagsroutinen eingespart – und zwar, ohne dass die Kostenstrukturen sich veränderten.

Porträtaufnahme von Max Bäuerle.
Foto: privat

Max Juri Bäuerle

befasst sich mit sozialen Trans­formations­prozessen und der Verkehrs- und Energie­wende. In seiner Master­arbeit am Potsdam-Institut für Klima­folgen­forschung unter­suchte er CO2-Fuß­abdrücke von Lebens­stilen sowie Strategien zur Dekarbonisierung im Verkehr durch verändertes Mobilitäts­verhalten. Die Arbeit wurde kürzlich als Diskussions­papier am Wissenschafts­zentrum Berlin für Sozial­forschung (WZB) veröffentlicht.

Allerdings belastete bei diesen Haushalten das Fliegen die CO2-Bilanz deutlich gravierender als der bodengebundene Verkehr. Ein Pkw emittiert durchschnittlich 2,4 Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr.

Bei einem Hin- und Rückflug Berlin–Mallorca werden 0,72 Tonnen CO2-Äquivalent pro Person ausgestoßen, nach New York und zurück sind es bereits 3,16 Tonnen, Berlin–Sydney verursacht 10,71 Tonnen. So viel, wie eine Person durchschnittlich in einem Jahr emittiert.

Trotz der Motivation, den CO2-Fußabdruck zu reduzieren, und dem Wissen über die Klimaauswirkungen des Flugverkehrs flogen die Klib-Teilnehmenden sehr viel. Je nach Haushaltstyp entfielen mindestens 70 Prozent der Verkehrsemissionen auf das Fliegen.

Insbesondere die Single- und Paarhaushalte mit Pkw verursachten trotz aller Einsparungs- und Verlagerungsversuche einen doppelt so hohen CO2-Fußabdruck im Verkehr wie der bundesdeutsche Durchschnitt.

Im Jahr 2018 betrug dieser Verkehrs-Fußabdruck im Schnitt rund 2,18 Tonnen CO2-Äquivalent pro Kopf. Davon hatte 73 Prozent die Mobilität am Boden zu verantworten und 27 Prozent der Flugverkehr.

In der Klib-Stichprobe mit den 100 Haushalten war dies genau umgekehrt: Bis zu 80 Prozent der Verkehrsemissionen entfielen auf den Flugverkehr.

Auf Basis repräsentativer Umfragen wird davon ausgegangen, dass rund 65 Prozent der Deutschen generell nicht fliegen. In der Klib-Stichprobe sind es dagegen nur knapp 35 Prozent.

Selbst während des Reallabors, als sich die Haushalte bewusst um klimaschonende Verhaltensänderungen bemühten und ihren CO2-Fußabdruck reduzieren wollten, stiegen die Emissionen der Flugreisen – zum Beispiel in den Urlaub – teilweise sogar um bis zu 35 Prozent gegenüber dem Referenzjahr. Und dies bei Kenntnis der Klimawirkung des Fliegens in diesen Bildungsschichten.

70 Prozent der Emissionen werden im Kopf wegdefiniert

Offenbar fallen die Änderung des Mobilitätsverhaltens und der Umstieg auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel schwerer als gedacht. Vor allem die Klib-Haushalte, die über ein Auto verfügten, taten sich mit der Veränderung von Routinen schwer. Flugreisen werden gar nicht als Teil des Alltagshandelns begriffen, sondern aus dem Kopf wegdelegiert, aus der Berichtspflicht aussortiert.

Porträtaufnahme von  Andreas Knie.
Foto: David Außerhofer

Andreas Knie

Der Verkehrsforscher Andreas Knie leitet am WZB die Forschungs­gruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung. Er ist Professor für Soziologie an der TU Berlin, außerdem gehört er dem Heraus­geber­rat von Klima­reporter° an. Dieser Beitrag erscheint ebenfalls im WZB-Blog der Forschungsgruppe. 

Damit werden aber mehr als 70 Prozent des Emissionsproblems praktisch als nicht relevant definiert. Aus umwelt- und verkehrspolitischen Gründen müssen folglich deutlich höhere Steuern auf Flugreisen erhoben werden. Grundsätzlich wird man auch nicht um Verbote oder zumindest um Deckelungen oder Einschränkungen der Mengengerüste des Flugverkehrs herumkommen.

Denn bei Flugreisen in den Urlaub werden freiwillige Verhaltensänderungen kaum zu erwarten sein. Haushalte mit deutlich niedrigerem Einkommen und geringerer Bildung erreichen unter anderem durch den weitgehenden Verzicht auf Flugreisen deutlich bessere CO2-Bilanzen.

Würde man beispielsweise die Zahl der Flugbewegungen pro Kopf auf maximal drei Hin- und Rückflüge im Jahr begrenzen und damit eine Art Optionshandel einführen, könnten Menschen mit niedrigerem Einkommen ihren Verzicht auf das Fliegen zu Geld machen: eine neue Dimension sozialer Gerechtigkeit.

Gerade die Klientel, die sich gern als besonders umweltsensibel und klimabewusst sieht und in ihrem Alltagsverhalten auch die Autonutzung reduziert, gehört am Ende durch die Flugreisen doch zu den größten CO2-Emittenten.

Dementsprechend dürfen zukünftige Entlastungspakete nicht mehr die Einkommenssteuer als zentrale Referenz nutzen. Stattdessen müssen hohe Kosten durch direkte Transferzahlungen an untere Einkommensschichten kompensiert werden.

Die wirklichen Klimasünder können sich die hohen Preise, Umlagen und Abgaben leisten. Und sie sind in der Lage, sich durch einfachen Verzicht oder Reduktion selbst zu entlasten.
 

Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem

Wie kommen wir in Zukunft von A nach B? Fest steht: Es geht nur radikal anders als bisher. Aber wie? Die Gruppe "Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem" entwickelt Ideen für die Mobilität von morgen. Hier schreiben Wissenschaftler:innen und Expert:innen über Wege in ein neues Verkehrssystem, das flüssig, bequem, gerecht und klimafreundlich ist – jenseits von Allgemeinplätzen und Floskeln. Das Dossier erscheint in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

 

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