Klimareporter°: Herr Rahmstorf, Sie stehen seit Jahren an vorderster Front bei der Kommunikation zum Klimawandel, schreiben Kolumnen im Spiegel, haben einen eigenen Blog. Was treibt Sie an, sich so intensiv an die Öffentlichkeit zu wenden?
Stefan Rahmstorf: Letztlich schlicht die drohende Gefahr durch den Klimawandel, die in Öffentlichkeit und Politik eigentlich immer noch nicht wirklich voll verstanden worden ist.
Wirklich nicht? Der Klimawandel ist doch inzwischen fast überall in den Medien präsent.
Das stimmt, die Fridays-for-Future-Bewegung hat da tatsächlich einen Riesenfortschritt gebracht. Immer mehr Menschen, auch in Politik und Wirtschaft, wachen allmählich auf und nehmen die Realität wahr.
Liegt das nur an Fridays for Future?
Nicht nur, die zunehmend unübersehbaren Extremwetterereignisse, etwa die schweren Brände in Australien, Kalifornien und Sibirien in den letzten Jahren oder solche Überschwemmungen, wie wir sie im vergangenen Sommer im Ahrtal erlebt haben, tragen auch dazu bei. Die Elbeflut 2002 oder der tödliche Rekordsommer 2003 hatten aber damals noch nicht zu diesem allgemeinen Aufwachen geführt. Deshalb glaube ich, dass die Schülerbewegung einen besonders großen Einfluss hat.
Redet auch die Wissenschaft heute anders über den Klimawandel? Haben sich beispielsweise der Ton oder die Darstellungsweise verändert?
Die klassische Darstellungsform der Berichte des Weltklimarats IPCC hat sich nicht wesentlich verändert. Der IPCC hat sich zuletzt zwar bemüht, ein bisschen klarer in der Sprache und verständlicher in den Grafiken zu werden. Aber letztlich sind die IPCC-Texte nach wie vor für den Laien eigentlich nur schwer verdaulich. Insofern hat sich das Hauptkommunikationsinstrument vonseiten der Klimaforschung nicht stark gewandelt.
Neu ist jedoch, dass sich jetzt mehr Wissenschaftler in den sozialen Medien zu Wort melden, mit den Scientists for Future gibt es beispielsweise eine ganze Gruppe, die auf Twitter sehr aktiv ist.
Halten Sie es für sinnvoll, dass sich Klimawissenschaftler aus dem Elfenbeinturm wagen und sich an der Kommunikation ihres Fachgebiets beteiligen?
Auf jeden Fall. Die Menschen, die die entsprechende Expertise haben, sollten unbedingt auch an der öffentlichen Diskussion zu dem Thema mitwirken.
Früher haben Wissenschaftler eher die Nase gerümpft, wenn sich ihre Kollegen mit der Öffentlichkeit oder der Presse abgegeben haben. Hat sich das geändert?
Ja. Das hat sich auf jeden Fall geändert. Als ich ein junger Postdoc war, wurde mir noch von einem Professor erklärt: "Nur schlechte Wissenschaftler reden mit Journalisten." Heute bemühen sich alle Institute, oft mit eigenen Pressestellen, aktiv den Dialog mit den Medien und mit der Öffentlichkeit zu suchen. Und man hört jetzt tatsächlich mehr Stimmen in der öffentlichen Debatte, auch aus der Klimaforschung.
Schenkt man diesen Experten aus Ihrer Sicht genug Gehör?
Stefan Rahmstorf
ist Abteilungsleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Für sein Engagement in der Klimakommunikation erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Medienpreis der Deutschen Umwelthilfe und den Climate Communication Prize der American Geophysical Union.
Das kommt auf das jeweilige Land an. In dieser Frage muss man zum Beispiel zwischen den USA und Deutschland differenzieren. In den Vereinigten Staaten ist es nach wie vor schwierig für Klimaforscher, mit ihren Themen durchzudringen, weil die Gesellschaft sehr gespalten ist und die Anhänger der Republikaner mehrheitlich immer noch nicht glauben, dass es ein ernsthaftes Klimaproblem gibt.
Da sind wir in Deutschland inzwischen weiter. Ich habe auch den Eindruck, dass die Wissenschaft bei der neuen Regierung deutlich mehr Gehör findet. Es ist natürlich ein bisschen früh, das umfassend zu beurteilen, aber mir ist aufgefallen, dass unser neuer Wirtschaftsminister Robert Habeck zum ersten Mal tatsächlich von einem Emissionsbudget für Kohlendioxid redet, was die Wissenschaft schon seit vielen Jahren für das entscheidende Maß hält, um mit dem globalen CO2-Ausstoß zu kalkulieren.
Auch die Resonanz, die Klimaforscher in den sozialen Medien bekommen, ist hoch. Die deutschen Scientists for Future etwa haben auf Twitter weit über 100.000 Follower, vor fünf Jahren wäre so etwas für mich noch undenkbar gewesen.
Ist die hohe Resonanz gleichbedeutend mit großer Zustimmung, oder schlägt Ihnen auch viel Ablehnung entgegen?
Mittlerweile sind die Anfeindungen stark zurückgegangen, selbst in den sozialen Medien. Ich erfahre in letzter Zeit dort eher einen breiten Rückhalt. Das war früher anders. Als ich angefangen habe zu bloggen, haben sich hauptsächlich Leute zu Wort gemeldet, die sich irgendwie durch die schlechten Nachrichten über das Klima provoziert gefühlt haben, das nicht wahrhaben wollten und daher alles in Zweifel gezogen haben. Das beobachte ich jetzt zumindest auf meinem Twitter-Account in dieser Form nicht mehr.
Auch in der Presse werden heute nicht mehr so kritiklos irgendwelche Klimaskeptikerbehauptungen übernommen und salonfähig gemacht, wie das vor fünf oder zehn Jahren noch der Fall war.
Also ist die Stimme der Klimawandelleugner leiser geworden?
Ich glaube, die Leugnerdebatte hat sich verlagert, weg von den Grundfakten, die sich schon längst nicht mehr glaubwürdig bestreiten lassen, hin zu den Lösungen. Jetzt wird die Skepsis gegenüber den erneuerbaren Energien oder der Elektromobilität lauter. Es zirkulieren heute viele Fehlinformationen, die diese Lösungskonzepte madig machen sollen.
Die Falschinformationen zum Infraschall von Windrädern sind so ein Beispiel. Die Berechnungen, die vermeintlich eine hohe Infraschallbelastung ergaben, stammten von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, einer Behörde, deren Vertreter vor 20 Jahren auch Klimaleugnerthesen verbreitet haben.
Sind die Klimaleugner von einst also die Lösungsskeptiker von heute?
Ob das genau dieselben sind, kann ich schlecht beurteilen. Aber zumindest gibt es da eine erhebliche Überschneidung. Das sehe ich an den Posts im Netz.
Und es gibt auch einen großen Überlapp mit der Corona-Querdenkerszene. Diese Gruppe ist natürlich ein bisschen komplexer, weil zu ihr auch manche aus der anthroposophischen, esoterischen oder alternativmedizinischen Richtung gehören, die zwar impfskeptisch, aber für Klimaschutz sind. Der eher AfD-nahe Teil der Querdenker möchte jedoch weder den Klimawandel noch Corona ernst nehmen.
Frustrieren Sie der fortwährende Widerstand und die Langsamkeit beim Kampf gegen den Klimawandel nicht manchmal?
Doch, das ist schon sehr frustrierend. Ich habe über viele Jahre bitter gelernt, dass man schönen Ankündigungen und Sonntagsreden aus der Politik wenig Glauben schenken sollte. Am Ende kommt es allein darauf an, wie viel CO2 tatsächlich aus den Schornsteinen und Auspuffen kommt.
Und was hält Sie trotzdem bei der Stange, Ihre Nachrichten in die Welt zu schicken?
Mir war von Anfang an klar, dass so ein gesellschaftliches Umdenken ein sehr langer Prozess ist, dass ich also gewissermaßen bis ins Grab weitermachen muss, weil das Problem so schnell nicht gelöst sein wird.
Das war Ihnen tatsächlich von Beginn an klar?
Na ja, sagen wir mal, fast von Beginn an. Als Jungwissenschaftler war ich schon so naiv zu glauben, dass die Öffentlichkeit, wenn sie die Fakten zur Erderwärmung erst einmal erfahren hat, auch reagieren und gegensteuern wird. Aber ich habe dann relativ bald gemerkt, dass das leider nicht der Fall ist.
Wenn Sie einen Wunsch äußern dürften, wie würden Sie sich dann die Klimakommunikation in den Medien idealerweise vorstellen?
Das Wichtigste ist erstens, dass das Thema wirklich ernst genommen wird und nicht irgendwo in einer kleinen Nische auf den Umweltseiten behandelt wird. Anders als in den USA haben wir in dieser Hinsicht hier in Deutschland auch schon viel erreicht, glaube ich.
Und das Zweite ist, dass die Fakten auf jeden Fall stimmen müssen. Das heißt auch, dass man kompetente Fachjournalisten braucht, die das Thema über viele Jahre hinweg verfolgen und so den nötigen Durchblick und das Urteilsvermögen bekommen, um einordnen zu können, was wirklich wichtig und was einfach nur von irgendwelchen Interessengruppen vorgeschoben ist.
Aber genügt es tatsächlich, ein Thema wie den Klimawandel sachlich richtig zu kommunizieren? Braucht es nicht auch ein gewisses Maß an Emotion, um die Leute von der Dringlichkeit des Problems zu überzeugen?
Da haben Sie völlig recht. Aber das ist nicht mein Metier. Als Wissenschaftler muss ich einfach nüchtern und sachlich die Fakten darlegen. Trotzdem würde ich mir natürlich wünschen, dass sich auch mehr Romanautoren, Filmemacher oder Theaterregisseure des Klimathemas annehmen, um die menschliche, emotionale Seite des Problems zu behandeln.
Neuerdings gibt es besonders in der Literatur vermehrt Stimmen, die den Kampf gegen den Klimawandel schon verloren glauben und die Menschen zur Vorbereitung auf den Zusammenbruch unserer Welt aufrufen. Was halten Sie davon?
Das halte ich für absolut kontraproduktiv. Dieses Weltuntergangsgehabe führt nur dazu, dass die Leute passiv sind und eine gute Ausrede haben, wieder nichts gegen den Klimawandel zu unternehmen. Dabei geht es ja darum, die Katastrophe zu verhindern.
Spielt dieser etwas fatalistische Umgang mit dem Klimawandel den Leugnern in die Hände?
Ja, leugnen und die Katastrophe als gegeben hinnehmen sind zwei unterschiedliche Arten, die Verantwortung von sich wegzuschieben. Wenn man davon ausgeht, dass die Welt sowieso untergeht, dann kann man auch jetzt noch schnell auf die Malediven fliegen, bevor es zu spät ist. Aus meiner Sicht ist das keine erwachsene und verantwortungsvolle Haltung. Es gibt aber im Übrigen auch Literatur, die sich anders mit dem Klimawandel auseinandersetzt.
Zum Beispiel?
Ich mag den Roman "Das Ministerium für die Zukunft" von Kim Stanley Robinson. Darin beschreibt der Autor, wie die Klimakrise in einer zukünftigen Welt erst immer schlimmer wird, die Gesellschaft dann aber nach und nach das Problem in den Griff kriegt. Der Roman schildert sehr konkret und realistisch, wie die Zukunft ablaufen und ein positiver Ausgang aussehen könnte.
Wie optimistisch sind Sie denn, dass wir tatsächlich noch das Schlimmste abwenden können?
Das kann ich schlecht quantifizieren. Ich bin aber heute deutlich optimistischer als vor fünf Jahren. Und ein Hauptgrund dafür ist eben das erwähnte weltweite Aufstehen der Schülerinnen und Studenten in der Fridays-for-Future-Bewegung. Diese jungen Menschen vermitteln mir den Eindruck, dass wir jetzt nahe an einem gesellschaftlichen Kipppunkt sind, an dem die Weltgesellschaft das Thema endlich ernst zu nehmen beginnt.
Schwingt bei Ihrer Einschätzung vielleicht auch ein bisschen Zweckoptimismus mit? Gerade die Vertreter der Untergangstheorien werfen Klimaforschern oft vor, dass sie ihre schlechten Nachrichten zur Entwicklung der Erderwärmung zu positiv verkaufen ...
Na ja, also ich glaube nicht, dass in irgendeinem IPCC-Report steht: Wir sind optimistisch. Die Berichte geben vielmehr ganz klar an: Mit den und den Maßnahmen können wir die Katastrophe gerade noch abwenden. Und genau das ist ja die Aufgabe der Wissenschaft, alle Optionen aufzuzeigen, sowohl die negativen – was passiert, wenn wir weiter sehr viel fossile Energie nutzen und hohe Treibhausgasemissionen haben – als auch die positiven, die möglichen Auswege. Welchen Pfad wir tatsächlich einschlagen, ist dann Sache der Gesellschaft und der Politik.
Und wie soll die Wissenschaftskommunikation am besten mit den möglichen Risiken des Klimawandels umgehen? Soll sie eher aufrütteln oder lieber abwiegeln, damit die Menschen nicht in die von Ihnen vorhin angedeutete Gleichgültigkeit verfallen?
Man darf nicht übertreiben. Aber sich irgendwelche beruhigenden Märchen auszudenken, das kommt für mich als Wissenschaftler auch nicht infrage. Ich bin der Meinung, man muss den Menschen die Wahrheit erzählen. Und die müssen dann lernen, damit umzugehen und ihre Konsequenzen daraus zu ziehen.