Pacific Climate Warriors
Doppelter Heimatverlust: Klimaschützer:innen von pazifischen Inselstaaten besuchten 2017 den Tagebau Hambach im Rheinischen Braunkohlerevier. (Foto: Friederike Meier)

Freiburg im Breisgau ist bekannt für seine vielen Sonnenstunden, das gotische Münster, den urigen Bauernmarkt und seine einzigartigen Bächle. Die Freiburger Bächle fließen in der Altstadt durch die Gassen und sind seit dem Mittelalter urkundlich belegt.

Hindurch waten die Kinder im Winter mit Gummistiefeln und im Sommer barfuß, sie lassen Schiffchen und Badeenten schwimmen, ihr glückliches Jauchzen ist viele Straßen weit zu hören. So weit meine kindliche Erinnerung an den lebendigen historischen Stadtkern.

Als ich diesen Sommer Freiburg nochmal einen Besuch abstattete, waren die Bächle trocken, kein Kind spielte, kein Schiffchen dümpelte an mir vorbei. Es war heiß und die Menschen waren in den Schatten geflohen.

Ein drückendes Gefühl in der Magengegend machte sich bei mir breit – eine Mischung aus Trauer, Wut und Sehnsucht nach der mir bekannten heilen Welt, gepaart mit dem Bewusstsein, dass es diese wohl nicht mehr geben wird.

Bei dem Versuch, die Beziehung zur Natur, den Verlust unserer in Kindertagen ans Herz gewachsenen Landschaft und der sich schnell verändernden Erde um uns herum in Wort zu fassen, stoßen wir schnell an die Grenzen der Sprache. Das Wort "Angst" wird dem Gefühl, wenn Australien, Kalifornien oder Südeuropa in Flammen stehen, das Great Barrier Reef erbleicht, Inseln versinken und selbst Fische im Meer grau werden, nicht mehr gerecht.

"Heimweh, ohne die Heimat zu verlassen"

Diese Erfahrung machte auch der australische Umweltwissenschaftler Glenn Albrecht, als er Anfang der Nullerjahre die emotionalen Auswirkungen des Kohleabbaus im Hunter Valley im Bundesstaat New South Wales untersuchte. Wo es früher malerische Weingüter, Felder und Farmen gab, klafft nun ein großes Loch.

Die Anwohner:innen erzählen von Vibrationen im Boden, Stress durch Maschinenlärm und nächtliche Scheinwerfer. Obwohl viele von ihnen auf die Arbeitsplätze in der Grube angewiesen waren, bemerkte Albrecht einen Gefühlstenor von Kummer, Hilflosigkeit und Heimweh. Das war schwer in Worte zu fassen.

"Die physische Zerstörung des Tals zersetzte das Heimatgefühl, das die Menschen empfunden hatten", erinnert sich Albrecht. Aus den lateinischen Begriffen solacium (Trost) und solus (Einsamkeit) sowie dem griechischen algos (Schmerz) gab er der Empfindung den Namen: Solastalgie.

Der Forscher definierte den Begriff als Schmerz über den Verlust tröstlicher heimatlicher Geborgenheit. Es ist das chronische Heimweh über ein angegriffenes Zuhause, das Gefühl im Bauch, wenn die Dinge nie wieder so sein werden, wie sie waren, und man nie mehr den Trost spüren kann, den man einst an dem Ort empfand, den man am besten kennt.

Es ist das Gefühl, sich in seinem eigenen Zuhause nie mehr sicher und geborgen fühlen zu können. Oder in Albrechts Worten: "Umweltzerstörung macht es möglich, Heimweh zu bekommen, ohne die Heimat zu verlassen."

Er folgerte: "Wenn die Sprache nicht ausreicht, um die Dinge angemessen beschreiben und verstehen zu können, dann müssen wir eben einen Begriff dafür erfinden" – gerade dann, wenn das Gefühl so intensiv und unverwechselbar ist und weltweit in unterschiedlichsten Zusammenhängen erlebt wird.

2007 fasste Albrecht seine erste Forschung in einem Artikel zusammen: "Solastalgie: Das durch Umweltveränderungen hervorgerufene Leiden".

Seelische Folgen der Klimakrise wenig erforscht

Landschaften haben sich schon immer verändert, Menschen haben sie geformt und sich immer mehr untertan gemacht. Doch nie zuvor waren die Veränderungen so umfassend und zerstörerisch wie heute. Schon 2012 schätzte die National Wildlife Federation, dass 200 Millionen US-Amerikaner:innen durch die Klimakrise und die damit einhergehenden Ereignisse ernsthaften psychischen Belastungen ausgesetzt sind.

Wie genau sich die enormen, inzwischen allgegenwärtigen Umweltveränderungen auf unsere mentale Gesundheit auswirken, ist bislang noch nicht systematisch erforscht. Es wird erwartet, dass die seelischen Folgen des Klimawandels in Zukunft zu den häufigsten Nebenwirkungen der Klimakrise gehören.

Menschengemachte Umweltzerstörungen sind auf der ganzen Welt tägliche Realität. Momente der Solastalgie kennen wir alle: beim Waldspaziergang, wenn so viele Bäume im Sterben begriffen sind und weite Flächen nur noch staubig braun daliegen. Im Badesee, wenn man sich vor umherschwimmenden Plastikfetzen nicht retten kann, oder am Meer, wenn verendete Tiere an den Strand gespült werden.

Die psychische Not, zu wissen, dass der Kuckuck, dem man früher als Kind so gerne gelauscht hat, in vielen Teilen Deutschlands nur noch in geringer Zahl vorkommt und nicht mehr in der Nachbarschaft lebt. Das ungute Gefühl auf dem Weihnachtsmarkt, wenn man lustlos bei 21 Grad Mitte Dezember am viel zu heißen Glühwein nippt.

Oder auch das Wissen, dass vertraute Dinge nie mehr so werden wie früher, weil dort, wo immer das Haus stand, jetzt ein Tagebauloch in der Erde ist. Teilnehmer:innen der ersten Studie von Albrecht schilderten, dass sie mit dem Auto extra Umwege auf sich nahmen, um den Anblick der Kohlebagger nicht ertragen zu müssen. Auch in den deutschen Braunkohlerevieren sind die riesigen Gruben selbst auf Satellitenbildern nicht zu übersehen.

Verlustgefühle kommen langsam oder plötzlich

Die Psychotherapeutin Lea Dohm, Mitgründerin der Psychologists for Future, vergleicht die Gefühle in der Klimakrise mit ihrer Krebsdiagnose, als das Leben von einem Moment auf den anderen kopfstand.

Margaret Klein Salamon, Gründerin der Umweltorganisation The Climate Mobilization, vergleicht die Phasen der Solastalgie mit den Phasen, die die Psyche beim Tod eines nahen Menschen durchmacht. Dabei können die Verlustgefühle langsam entstehen wie ein schwelendes, immer heißer werdendes Feuer.

Sie können aber auch plötzlich auftauchen – bei Erkenntnisschockerlebnissen, etwa durch nicht mehr beherrschbare Umweltkatastrophen wie der Flut im Ahrtal. Das kann auch bei Nichtbetroffenen so sein.

Besonders hart trifft Solastalgie diejenigen, die von und mit der Natur leben und arbeiten. So war es während der Maul- und Klauenseuche in Großbritannien im Jahr 2001. Die Regierung ordnete die Tötung von bis zu zehn Millionen Rindern, Schafen und Schweinen an.

Laut einer Studie der Universität Lancaster hatten der Verlust der Tiere und ihr Verschwinden aus der Landschaft im ländlichen England weitreichende psychosoziale Auswirkungen: Landwirt:innen und Gemeindemitglieder, die direkt von der plötzlichen Umweltveränderung betroffen waren, empfanden Verzweiflung, Gefühle der Trauer, Angst vor einer neuen Katastrophe.

Viele litten unter Albträumen und unkontrollierbaren Emotionen. Die Highlands waren leer, die Menschen erkannten ihr Zuhause nicht wieder, sie empfanden Solastalgie.

Die gute Seite der Solastalgie

Die Psychotherapeutin und Psychologists-for-Future-Sprecherin Katharina van Bronswijk betont: Klimaangst, Klimadepression und Solastalgie sind mögliche natürliche Reaktionen auf ein strukturelles, nicht individuelles Problem. Den Betroffenen kann dabei helfen, sich immer wieder gezielt positive Gegenbeispiele vor Augen zu führen.

Die beste Prävention ist laut van Bronswijk, klimagerecht zu leben und sich zu engagieren. Gerade für Kinder und Jugendliche, die ein deutlich höheres Risiko für Klimaängste haben als Erwachsene, ist das wichtig. Denn es gibt nicht nur den persönlichen ökologischen Fußabdruck, sondern auch einen ökologischen Handabdruck: die Möglichkeit, durch politisches Handeln aktiv Einfluss zu nehmen.

Angst, Schmerz und Sehnsucht können dabei motivieren, sich für den Erhalt der Umwelt einzusetzen. Ganz konkret gelte es, sich die Frage zu stellen: Was kann ich tun, damit ich mich als wirksam, als selbstwirksam erlebe?

Auch Glenn Albrecht glaubt, dass Solastalgie eine zukunftsgerichtete Komponente hat. Man solle Solastalgie benennen, darüber sprechen und sich gegen Umweltzerstörung einsetzen. Nach seiner Überzeugung sind positive "Erdemotionen" in allen Menschen als Naturwesen tief verankert – sonst wären wir nicht in der Lage, Solastalgie zu empfinden.

Rund um den Globus ist Solastalgie nicht als Wort, aber als quälendes Gefühl bekannt. Menschen ringen mit den beängstigenden Herausforderungen, die der Verlust einer vertrauten Landschaft mit sich bringt, und mit der komplexen seelischen Belastung, ihr Heimatgefühl unwiderruflich zu verlieren.

Ein Wort dafür zu haben, macht die Lage nicht direkt besser – aber greifbarer. Vielleicht hilft es auch einfach zu wissen: Keiner von uns ist mit diesem Schmerz allein.

Anzeige