Die Klimakrise hatte mit dem Aufkommen von Fridays for Future eine Hochzeit in den Medien. Die ist schon länger wieder vorbei. (Bild: John Wu/​Pexels)

Klimapolitik steht in den Leitmedien momentan nicht hoch im Kurs. Den Weltklimagipfel in Dubai hakten viele Zeitungen mit ein paar Artikeln ab und berichteten lieber über ein wegen Schneefall abgesagtes Fußballspiel zwischen Bayern München und Union Berlin.

Und so schaffen es auch klimawissenschaftliche Studien nur in seltensten Fällen auf die Titelseite. Doch es gibt Ausnahmen.

Das britische Klimaportal Carbon Brief stellt jährlich die 25 meistdiskutierten Klimastudien des vergangenen Jahres vor. Die Autor:innen nutzten dafür Zahlen des Analysedienstes Altmetric.

Altmetric ermittelt, wie häufig Forschungsarbeiten in Online-Artikeln, Blogs und sozialen Medien erwähnt werden. Jeder Arbeit wird entsprechend der ihr geschenkten Aufmerksamkeit eine Punktzahl verliehen.

Am besten schneiden bei Altmetric auch dieses Jahr wieder Corona-Studien ab. Doch schon die viertmeisten Erwähnungen ergatterte eine Klimastudie und belegt damit Platz eins der Liste von Carbon Brief.

Antarktisches Schelfeis wächst und schrumpft

Die im Fachjournal The Cryosphere erschienene Studie untersuchte anhand von Satellitendaten, wie sich die Fläche des Schelfeises um die Antarktis zwischen 2009 und 2019 verändert hat. Insgesamt ist die Fläche in der Zeit um rund 5.300 Quadratkilometer gewachsen – mit jedoch deutlichen regionalen Unterschieden.

Während es in der Ostantarktis und auf der Antarktischen Halbinsel eine Flächenzunahme gab, schrumpfte das Schelfeis in der kleineren Westantarktis. Der Schwund trägt zur weiteren Destabilisierung des Westantarktischen Eisschildes bei.

Jüngste Prognosen ergaben, dass das Schelfeis der Westantarktis unter jedem angenommenen Emissionsszenario schmilzt und sein kompletter Verlust wohl nicht mehr aufzuhalten ist.

Die Studie wurde in nur sieben Artikeln aufgegriffen. Ihre hohe Punktzahl basiert vor allem auf Erwähnungen in über 63.000 Twitter-Posts. Überraschenderweise waren es vor allem Accounts prominenter Klimaskeptiker:innen, die sich auf die Studie bezogen.

Sie benutzten die Erkenntnis des insgesamt wachsenden Schelfeises als scheinbar entkräftendes Argument gegen den Klimawandel.

Eine der Autor:innen, die Klimawissenschaftlerin Anna Hogg von der Universität Leeds, erklärte im Gespräch mit Carbon Brief, wie verwundert sie über die irreführende Art und Weise gewesen sei, in der die Studie in den sozialen Medien wiedergegeben wurde. Die Studie biete keinerlei Belege, die gegen den Klimawandel sprechen würden, so Hogg.

Zwar nimmt das antarktische Schelfeis zu, aber das Landeis schwindet – und das ist für den Meeresspiegelanstieg von Bedeutung. Das Schelfeis schwimmt auf dem Meer, sodass Veränderungen der Eisfläche kaum Einfluss auf den Meeresspiegel haben.

Exxon wusste alles

Auf dem zweiten Platz liegt eine Studie, die in der Fachzeitschrift Science erschienen ist. Darin analysieren die Autor:innen die Klimaprognosen, die Wissenschaftler:innen des US-amerikanischen Mineralölunternehmens Exxon Mobil zwischen 1977 und 2003 errechnet hatten.

Die Veröffentlichung zeigt eindrücklich, dass der Konzern schon lange sehr gut über die Erderwärmung Bescheid wusste. Die Modelle von Exxon standen denen unabhängiger und staatlicher Forschungsinstitute in nichts nach.

Dieses Wissen nutzte das Unternehmen allerdings nicht, um die Öffentlichkeit aufzuklären, sondern finanzierte im Gegenteil Klima-Desinformationskampagnen, und das bis heute.

"Was Exxon Mobil erstaunlich genau wusste und was Exxon Mobil dann bekanntlich leider tat, steht in scharfem Kontrast", kommentierte Stefan Rahmstorf, Koautor der Studie und Klimaforscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, die Erkenntnisse.

60.000 Hitzetote in Europa

Die dritthöchste Aufmerksamkeit erfuhr eine Untersuchung über hitzebedingte Sterblichkeit in Europa während des Sommers 2022. Die in Nature Medicine erschienene Studie zeigt, dass über 60.000 Todesfälle in den Sommermonaten im Zusammenhang mit Hitze standen. In 943 Artikeln berichteten über 650 Nachrichtenportale über die Studie.

Zu den höchsten Todeszahlen führte die Hitze in Italien (rund 18.000), gefolgt von Spanien (11.300) und Deutschland (8.200). Die höchsten Mortalitätsraten – also Hitzetote in Relation zur Bevölkerungsgröße – wiesen Italien, Griechenland und Spanien auf.

Die große Aufmerksamkeit lässt sich vermutlich auch mit dem Veröffentlichungszeitpunkt erklären. Die Studie erschien im Juli, während besonders Südeuropa unter der Hitzewelle "Cerberus" ächzte.

Der Sommer 2022 war in Europa der heißeste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Die hitzebedingte Sterblichkeit lag bei Frauen etwas höher als bei Männern, ergab die Studie. Daraus schließen die Autor:innen, dass Präventionspläne nicht nur Alters-, sondern auch Geschlechtsunterschiede berücksichtigen sollen.

Gerade in Städten wird die Wirkung von Hitzewellen auf Menschen auch von deren Einkommen bestimmt. So zeigte eine Untersuchung am Beispiel von Los Angeles, dass die Hitzebelastung in ärmeren Vierteln wesentlich höher war. Weniger Parks, Wasserflächen und Bäume in einkommensschwachen Stadtteilen sind hauptsächlich dafür verantwortlich.

Ein ähnliches Muster beobachten Forscher:innen auch in Deutschland. Auch hier leben ärmere Bevölkerungsgruppen unter schlechteren Wohnbedingungen, bei schlechterer Dämmung und ohne Ausweichräume, wie etwa ein Ferienhaus im Grünen.

Golfstrom, planetare Grenzen, Kosten des Klimawandels

Vielfach medial aufgegriffen wurde außerdem eine Studie, die davor warnte, dass der Golfstrom bereits Mitte dieses Jahrhunderts zusammenbrechen könnte. Allerdings äußerten einige Wissenschaftler:innen Zweifel an der Verlässlichkeit des in der Studie verwendeten Modells.

Eine Mehrzahl der Veröffentlichungen in der Carbon-Brief-Liste setzte sich mit den planetaren Belastungsgrenzen der Erde oder mit vergleichbaren Ansätzen auseinander. So zeigte eine Studie, dass bereits sechs der neun planetaren Grenzen überschritten sind.

Auf Platz acht untersuchten Forscher:innen, welche "menschlichen Kosten" der Klimawandel hat. Dabei verwenden sie Prognosen, wie viele Menschen sich bei steigenden Temperaturen außerhalb der "menschlichen Klimanische" befinden werden.

Für Tier- und Pflanzenarten ist das Konzept der Klimanische etabliert, nicht so für den Menschen. Die Autor:innen verstehen darunter die Bedingungen, unter denen Gesellschaften in den vergangenen Jahrhunderten gedeihen konnten.

Die meisten Zivilisationen lebten in einem Klima mit Jahresdurchschnittstemperaturen zwischen 13 und 25 Grad.

Schon heute leben neun Prozent der Menschheit außerhalb dieser Nische. Diese Zahl würde sich bei einer Erwärmung um 2,7 Grad bis Ende des Jahrhunderts auf 22 bis 39 Prozent erhöhen. Rund zwei Milliarden Menschen wären dann betroffen.

 

Auffällig ist, dass es ausschließlich naturwissenschaftliche Studien auf die Liste geschafft haben. Aber Klimaforschung umfasst natürlich mehr. Wie funktionieren soziale Kipppunkte? Mit welcher Klimakommunikation lassen sich Menschen am besten erreichen? Wie kann Gerechtigkeit besser in Klimapolitik integriert werden?

Diese gesellschaftlichen Aspekte sind von großer Bedeutung. Das versteht auch die Wissenschaft und langsam aber sicher wächst die Zahl der Forschungsprojekte. Nun müssen auch die Medien nachziehen und diesen Studien die gebührende Aufmerksamkeit schenken.