Steinkohletagebau, in dem selbst Monster-Lkws klein aussehen.
Nicht alles so düster und negativ sehen? Nicht selten hieße das, die Unwahrheit zu sagen. (Bild: Leard State Forest/​Flickr)

Wer in den Medien mit der Klimakrise zu tun hat, dem wird stets geraten: Male nicht alles so düster aus, teile mindestens eine "gute Nachricht" mit.

Eine einzige "gute Nachricht" – und zwar zum Ozonabbau – enthält die jetzt in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlichte Studie internationaler Forscher zu den planetaren Belastungsgrenzen.

Derzeit erholt sich die Ozonschicht weiter, dank internationaler Abkommen und Maßnahmen, die vor allem die Nutzung der FCKW beendeten. "Allerdings wird der kritische Wert noch immer saisonal in der Antarktis überschritten. Dort besteht nach wie vor ein Ozonloch-Problem", schränkt Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) ein.

Für Lucht, Mitautor der Studie, ist der Schutz der Ozonschicht dennoch ein Beispiel dafür, wie gezieltes Handeln und der Umstieg auf Alternativen die katastrophale Überschreitung einer planetaren Belastungsgrenze verhindert haben.

Die News zum Ozonloch bleibt allerdings die einzige Ausnahme. Kernbotschaft der Studie ist: Von insgesamt neun untersuchten Belastungsgrenzen sind heute sechs planetary boundaries überschritten. Das betrifft das Klimasystem, den Zustand der Biosphäre, die Landnutzungsänderungen vor allem durch Entwaldung sowie die Verfügbarkeit und den Zustand von Frischwasser für Böden, Vegetation und in Gewässern.

 

Auch bei den biogeochemischen Einträgen, darunter von Stickstoff und Phosphor, sowie bei den novel entities, den neuartigen Substanzen wie Giften, Plastik, Arzneimittelrückständen und Radionukliden, werden die Grenzen des Planeten derzeit nicht eingehalten, stellt die Studie fest.

Noch nicht gerissen – wenn auch zum Teil nur knapp – sind laut den Forscher:innen die Limits bei der Ozeanversauerung und der Verbreitung von Aerosolen in der Atmosphäre. Und beim Ozonabbau wird es langsam besser.

Neu aufgenommen ins Konzept der planetaren Grenzen wurde eine Kenngröße, die die Grenze der Funktionsfähigkeit der Biosphäre im Erdsystem erfasst. Auch hier gebe es eine Überschreitung, und das schon seit dem späten 19. Jahrhundert, als die Land- und Forstwirtschaft weltweit stark ausgeweitet wurde, erläutert Wolfgang Lucht gegenüber Klimareporter°.

Biosphäre als Gesamtsystem muss funktionsfähig bleiben

In Bezug auf das Klima ergibt die Studie: Um das Klimasystem sicher zu stabilisieren, hätte die CO2-Konzentration in der Luft unter 350 ppm (Millionsteln) bleiben müssen. Vor der Industrialisierung hatte der Wert 280 ppm betragen. 2022 erreichte er 417 ppm.

Der noch sichere Wert von 350 sei um das Jahr 1990 überschritten worden, so Lucht. "Seither leben wir beim Klima in der Zone erhöhten Risikos." Richtig gefährlich werde es aus heutiger Sicht bei 450 ppm, so der Wissenschaftler. Das entspreche etwa einer Erderwärmung um zwei Grad Celsius.

Die Widerstandsfähigkeit des Planeten gegen die Übernutzung sei jedoch von weit mehr als nur vom Klimawandel abhängig, erklärt der Erdsystemforscher. Der entscheidende Punkt sei die Funktionsfähigkeit der Biosphäre als Gesamtsystems des Lebens. "Von ihr hängt nicht nur der Zustand der Erde ab, sondern auch derjenige der Gesellschaften und der Zivilisation insgesamt", betont der PIK-Experte.

Grafik: Die neun planetaren Grenzen, nur drei davon sind nicht überschritten.
Die planetaren Grenzen in ihrem aktuellen Zustand der Überschreitung. (Bild: aus der Studie)

"Natürlich kann die Erde genutzt werden, sie beschenkt uns reichlich", so der Forscher weiter. Dass die Menschheit, vor allem ihr industrialisierter, reicher Teil, ständig in Naturkreisläufe und damit ins Erdsystem eingreife, könne der Planet bis zu einem gewissen Punkt verkraften.

Nehme man aber ständig mehr, als nachwachsen kann, betreibe man also Raubbau, dann verliere die Erde ihre Fähigkeit, diesen Nutzungsdruck zu ertragen und beginne sich zu verändern, beschreibt Lucht den sich gerade abzeichnenden Prozess.

Zum Beispiel beim Klima: Bisher mindert die Erde den menschlichen Nutzungsdruck, indem ungefähr die Hälfte der CO2-Emissionen in den Ozeanen und in Biomasse wieder gebunden wird. Diese natürliche CO2-Senke verlangsame die Klimaerhitzung, doch diese Fähigkeit gehe verloren, wenn der Druck zu groß wird, erklärt Lucht. "Wird es zu heiß, geht CO2 aus der Biosphäre auch wieder verloren: durch Waldbrände, absterbende Wälder, die beschleunigte Zersetzung von organischen Böden und anderes mehr."

Weiter warnt der Forscher: Viele Modelle zeigten, dass die Vegetation und die Böden der Erde, die beiden großen Kohlenstoffspeicher, von CO2-Senken zu CO2-Quellen werden, wenn die Erwärmung zu stark wird. Dann verliere die Erde ihre Resilienz.

Durchbruch und Warnung

Das Konzept der globalen Belastungsgrenzen geht auf den Klimaforscher Johan Rockström zurück. Er entwickelte es 2009 am Stockholm Resilience Centre.

Angesichts der Ergebnisse der neuen Studie zeigt sich Rockström äußerst besorgt über die zunehmenden Anzeichen, dass die Widerstandsfähigkeit des Planeten schwindet. "Dies bringt mögliche Kipppunkte näher und verringert die Chance, die wir noch haben, die planetare Klimagrenze von 1,5 Grad Celsius einzuhalten", bilanziert Rockström, seit 2018 Co-Direktor des PIK.

Rockström hält es zugleich für einen echten Durchbruch, dass der sichere Handlungsraum auf der Erde für die Menschheit nunmehr wissenschaftlich quantifiziert ist. "Dies gibt uns einen Leitfaden in die Hand für notwendige Maßnahmen und liefert das erste vollständige Bild der Kapazitäten unseres Planeten, den von uns erzeugten Druck abzufedern", erklärt der PIK-Direktor.

Wolfgang Lucht verweist hier auch auf die Verantwortung Deutschlands. In ihrer Nachhaltigkeitsstrategie von 2016 habe die Bundesregierung klar das Leitziel formuliert, gesellschaftliche und wirtschaftliche Aktivitäten zum Wohle der Menschen müssten sich innerhalb der planetaren Grenzen vollziehen. "In der Realität sind wir davon weit entfernt", kritisiert der PIK-Forscher.

Gleiches gilt aus seiner Sicht für die jüngste Abschlusserklärung der G20-Staaten. Das Papier der Industrie- und Schwellenländer enthalte viele gute Formulierungen zur Notwendigkeit einer ökologisch verträglichen planetaren Entwicklung, aber auch hier klaffe eine große Lücke zwischen Realität und Anspruch, kritisiert Lucht.

Gut klingende Worte sind eben nicht immer "gute Nachrichten."