Mit mehr Windrädern, neuen Technologien und einem beschleunigten Wasserstoffhochlauf lässt sich die Klimakrise schon bewältigen? Das allein wird nicht genügen, hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) in dieser Woche klargestellt.

Auch die Bürger:innen müssen mitziehen und ihr tagtägliches Verhalten ändern, schreibt das Beratergremium der Bundesregierung in einem Sondergutachten. Der Umweltrat sieht die Politik in der Pflicht, die Rahmenbedingungen entsprechend zu gestalten – um umweltfreundliches Verhalten zu fördern, aber auch einzufordern.

Solche Vorschläge werden schnell als "Bevormundung" und "Freiheitseinschränkung" kritisiert. Doch umwelt- und klimafreundliches Verhalten fällt nicht einfach vom Himmel. Wenn nur Freiwilligkeit zählt und Klimaschutz zur Privatsache erklärt wird, werden sich CO2-intensive Lebensstile bestenfalls sehr langsam verändern, wenn überhaupt.

Das illustriert eine britische Studie, die kürzlich im Fachmagazin Energy Research & Social Science veröffentlicht wurde. Forschende der Universität Leeds haben Tiefeninterviews und Diskussionsrunden mit "High Energy Consumers" durchgeführt, also mit wohlhabenden Menschen, die sich einen "exzessiven" Energieverbrauch leisten können und dadurch besonders stark zur Klimakrise beitragen.

 

Ihre Forschungsfrage: Wie rechtfertigen Menschen mit großem CO2-Fußabdruck ihren privilegierten, energieintensiven Lebensstil?

Die Frage ist hochrelevant. Reiche Menschen gehören zu den Hauptverursachern der Erderhitzung. Laut den Daten des World Inequality Lab, einer Denkfabrik um den französischen Ökonomen Thomas Piketty, sind die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung für die Hälfte aller globalen Treibhausgase verantwortlich. Das reichste Hundertstel kommt sogar auf 17 Prozent aller Emissionen und damit deutlich mehr als die ärmste Hälfte der Menschheit zusammen.

Bei der Gruppe der Wohlhabenden liegt damit ein besonders großes Potenzial für Einsparungen, wie ein einfaches Gedankenexperiment zeigt: Würden die reichsten zehn Prozent ihren CO2-Ausstoß halbieren, würden die globalen Emissionen um fast ein Viertel sinken.

Das reichste Zehntel würde damit nicht einmal seine privilegierte Stellung verlieren. Sein Pro-Kopf-Ausstoß von jetzt 29 Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr wäre bei einer Halbierung immer noch mehr als doppelt so groß wie der globale Durchschnitt, der bei sechs Tonnen liegt.

Bekannte Argumentationsmuster

Wie blicken die Reichen selber auf ihren klimaschädlichen Lebensstil? Ist bei ihnen ein Problembewusstsein vorhanden, das freiwillige Verhaltensänderungen erwarten ließe?

Nein, lautet das Ergebnis der Leeds-Studie. Weder aus den Interviews noch aus den Diskussionsrunden mit insgesamt 30 Personen lässt sich die Hoffnung ableiten, die Wohlhabenden würden von sich aus zur Einsicht kommen und ihre Privilegien weniger in Anspruch nehmen. Einen Zusammenhang mit dem Klimawandel stellte niemand her.

Zwar ist den Befragten sehr wohl bewusst, dass ihr Energieverbrauch besonders hoch ist. Doch sie sprechen darüber, als sei ein solcher Lebensstil völlig normal, und wehren jede Infragestellung ab.

Privatflugzeug über den Wolken.
Von Privatjets und Vielfliegerei ist beim Klimaschutz selten die Rede – zu Unrecht. (Bild: Ivan Cholakov/​Shutterstock)

Das Studienteam stellte eine ganze Reihe von Argumentationsmustern fest, die in der Forschung als "Diskurse des Nichtstuns" und "Diskurse der Verzögerung" bekannt sind. Beispielsweise:

Whataboutism. Man verweist auf andere, die noch weniger tun und noch mehr emittieren. Im Interview hieß es: "Wir produzieren nur etwa ein Prozent der weltweiten Umweltverschmutzung. Also, es funktioniert nur, wenn alle Länder der Welt das Gleiche tun."

Die Ausrede vom Trittbrettfahrer. Vor allem Befragte, die in der Wirtschaft tätig sind, verwiesen auf Risiken für die Wettbewerbsfähigkeit durch Klimaschutzmaßnahmen: "Ich denke, wir müssen sehr vorsichtig sein, dass wir uns nicht in eine benachteiligte Position bringen."

Perfektionismus. Man fordert perfekt ausgearbeitete Lösungen, die von allen mitgetragen werden: "Was immer wir planen, es wird andere unvorhergesehene Konsequenzen geben, an die niemand von uns gedacht hat."

Appell an das Wohlergehen. Man betont mögliche unerwünschte Folgen durch Veränderungen: "Wenn die Zahl der Flüge in der Welt um, sagen wir, 80 Prozent zurückgeht, wird es eine massive Arbeitslosigkeit geben."

Scheinlösungen hervorheben: "Es gibt einige interessante Technologien, die sich abzeichnen, etwa um die Plastikabfälle in saubereren Flugzeugtreibstoff zu verwandeln."

Viel reden, wenig handeln: "Ich denke, die meisten Regierungen der Welt haben sich jetzt ziemlich aggressiv verpflichtet, die CO2-Emissionen zu reduzieren."

Fossile Brennstoffe als Teil der Lösung: "Wir sind sozusagen umweltfreundlich, denn wir haben zwar einen großen Spritfresser, aber ich habe auch ein Hybridauto, also trage ich auch dazu bei."

Zuckerbrot statt Peitsche: "Die Leute müssen auf eine positive Art und Weise angeregt werden."

Neuartige "Anspruchsdiskurse"

Das Team um den Soziologen Noel Cass fand aber auch neuartige "Anspruchsdiskurse", die zur Rechtfertigung der eigenen Untätigkeit verwendet wurden.

Die Befragten deuten ihre Privilegien zu einem schlichten "wir haben Glück" um oder zu einer Belohnung, die man sich gönnt und auch verdient hat. Dass der eigene Wohlstand oftmals ererbt ist, wird nicht erwähnt.

Ein Teilnehmer formuliert es so: "Ich habe wirklich Glück, das bedeutet, dass ich mein Leben bequem leben kann, ohne mir darüber Gedanken machen zu müssen. Wie sich das auf die Umwelt auswirkt – das ist eine andere Sache."

Wünsche und Sehnsüchte werden als Bedürfnisse umgedeutet, als etwas, das man unbedingt braucht. Etwa einen Geländewagen, "weil mein Rücken nicht so toll ist". Oder viele Flüge: "Für die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden müssen manche Leute wirklich, wirklich in den Urlaub fliegen."

Häufig setzten die Befragten auch Selbstironie und Humor ein, um die eigene hohe Umweltbelastung "wegzulachen". Ein Teilnehmer beispielsweise berichtete von vielen exotischen Fernreisezielen und kommentierte lachend: "Also, ja, ja, ich hasse es, an meinen ökologischen Fußabdruck zu denken."

Ein befragtes Ehepaar erzählte von Urlaubsreisen um die ganze Welt und räumte ein, dass ihr "Fußabdruck riesig ist", um dann ironisch zu ergänzen: "Wir sind wahrscheinlich die schlimmsten Menschen auf dem Planeten, zumindest was den Energieverbrauch betrifft. Aber wenigstens hinterlassen wir keine Kinder, die in Zukunft Energie verbrauchen werden."

 

Das Fazit der Studie ist eindeutig. Wird die Verantwortung für umwelt- und klimafreundliches Verhalten allein den Einzelnen zugeschoben, wird sich nichts ändern: "Menschen mit hohem Energieverbrauch werden möglicherweise niemals freiwillig auf Informationen, Ermahnungen und Appelle an das Eigeninteresse reagieren."

Das britische Forschungsteam fordert deshalb – genauso wie der Umweltrat in Deutschland – stärkere staatliche Maßnahmen, "auch solche, die in die 'Wahlfreiheit' der Verbraucher eingreifen".

Nicht losgelöst von sozialen Normen

Dafür spricht auch ein weiterer Befund der Studie. Die befragten "High Energy Consumers" orientieren sich nämlich überraschenderweise sehr viel stärker an den sozialen Normen, als man vermuten würde.

Ihr Verhalten ist keineswegs völlig losgelöst von den gesellschaftlichen Diskursen, auch wenn 70 Flüge pro Jahr, ein privater Fuhrpark von sechs Autos und vier Gefriertruhen im Keller noch so abgehoben erscheinen mögen.

In den Gesprächen verwiesen die Teilnehmenden immer wieder auf ihre Bemühungen um mehr Energieeffizienz und nutzten dies zur Selbstdarstellung als umweltbewusste Menschen. Ihre gleichzeitige Vielfliegerei blendeten sie aus.

"Wir haben ziemlich viele von diesen Energiesparlampen", hieß es beispielsweise in einem Interview. Auch der Kauf von Gemüse ohne Plastikverpackung wurde in diesem Zusammenhang genannt. "Wir tun alles, was wir können", nennt die Studie diese Rechtfertigungsstrategie, die kleine Effizienzgewinne als große Taten darstellt.

Damit griffen die Befragten genau den Effizienzdiskurs auf, der in Großbritannien genauso wie in Deutschland bislang vorherrscht. Appelle, sich energieeffizienter zu verhalten, genießen Akzeptanz, Kritik an hohen Energieverbräuchen steht jedoch schnell unter dem Verdacht, Verbotspolitik betreiben zu wollen.

Schon vor zwei Jahren kritisierte ein parlamentarischer Bericht die britische Regierung für ihre "Zurückhaltung, sich mit Schlüsselbereichen zu befassen, wie der Frage, was wir essen, wie wir unsere Häuser heizen, was wir kaufen und wie wir reisen". Dies untergrabe die Bereitschaft und Fähigkeit der Einzelnen, Maßnahmen zu ergreifen, warnte das Papier.

Das gilt ganz besonders für Menschen mit hohem Energieverbrauch. Sie profitieren am meisten, wenn es keine aktivere Umweltpolitik gibt, die ihnen eine Verhaltensänderung abverlangt.

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