Aufnahme aus einem Einkaufswagen heraus durch eine Regalstraße in einem Drogerie-Supermarkt.
Nicht der Beginn des erneuerbaren Zeitalters sorgt für hohe Preise, sondern das Ende des fossilen. (Foto: Marco Pomella/​Pixabay)

Die Preise steigen. In Deutschland im vergangenen Jahr zum Beispiel um mehr als drei Prozent, so stark wie seit 30 Jahren nicht mehr. Im Wesentlichen ging das auf höhere Energiepreise zurück. Ein neuer Begriff schwirrt durch die Medienlandschaft: "grüne Inflation". Ist wirklich die Energiewende Ursache des Ungemachs?

Fatih Birol, Chef der Internationalen Energieagentur IEA, widerspricht vehement: "Es handelt sich nicht um eine Krise der erneuerbaren oder sauberen Energien, sondern um eine Krise des Erdgasmarktes."

Und für diese Krise gebe es einen Hauptgrund: "Wir sehen auf den europäischen Gasmärkten starke Elemente einer 'künstlichen Verknappung', die offenbar auf das Verhalten des staatlich kontrollierten russischen Gasversorgers zurückzuführen ist." Trotz der hohen Preise habe Gazprom im vierten Quartal 2021 ein Viertel weniger Gas geliefert als ein Jahr zuvor.

Aber auch wenn die aktuell hohen Energiepreise wenig mit der Energiewende zu tun haben, könnte diese dennoch preistreibend wirken. Davor warnte Isabel Schnabel, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank (EZB), vorletzte Woche in einer Rede: "Die Energiewende birgt messbare Risiken für unsere Basisprojektion der mittelfristigen Inflation."

Dafür gebe es drei Gründe: "Die Kombination aus kurzfristig unzureichenden Produktionskapazitäten für erneuerbare Energien, zurückhaltenden Investitionen in fossile Brennstoffe und steigenden CO2-Preisen bedeutet, dass wir möglicherweise vor einer langwierigen Übergangszeit stehen, in der die Energierechnung steigen wird." Kurz, schuld seien der Umstellungsprozess selbst sowie der CO2-Preis.

Fossile Energien werden teurer

Der Anstieg von letzterem ist schnell erklärt. Der CO2-Preis hat sich auf EU-Ebene vergangenes Jahr mehr als verdoppelt und liegt jetzt über 80 Euro pro Tonne. Das liegt primär daran, dass Jahr für Jahr weniger CO2-Zertifikate für große Emittenten wie Kraftwerke oder Stahl- und Zementhersteller zur Verfügung stehen.

Hinzu kommt, dass wegen der hohen Gaspreise die Kohlekraftwerke in der EU wieder stärker laufen. Das führt dazu, dass der Stromsektor zurzeit besonders hohe Emissionen verursacht und daher auch besonders viele CO2-Zertifikate nachfragt.

Anders gesagt: Nach langen Jahren mit einem CO2-Preis im einstelligen Bereich wegen eines Überangebots an CO2-Zertifikaten funktioniert das EU-Emissionshandelssystem nun so wie ursprünglich geplant.

In Deutschland wurde zudem Anfang 2021 eine CO2-Steuer für Benzin, Diesel und Heizöl eingeführt. Sie liegt zunächst bei 25 Euro pro Tonne CO2 und steigt bis zum Jahr 2025 auf 55 Euro an. Rudolf Hickel, Leiter des gewerkschaftsnahen Instituts Arbeit und Wirtschaft an der Uni Bremen, schreibt daher: "Der Inflationseffekt ist vorprogrammiert." Hickel schätzt, dass die Klimapolitik letztes Jahr insgesamt 1,1 Prozentpunkte zur Inflationsrate in Deutschland beigetragen hat.

Aus Sicht von Marcel Fratzscher, dem Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), ist das nur folgerichtig: "Ein gewisses Maß an 'grüner Inflation' ist richtig und notwendig. Sie spiegelt eine Anpassung relativer Preise wider – die Preise für klimaschädliches Verhalten müssen steigen, um Anreize für Innovationen und alternative, ultimativ klimaneutrale Wirtschaftsprozesse zu setzen."

Transformation bringt zunächst Knappheiten

Die preistreibende Wirkung der Energiewende ist allerdings nicht allein Folge der Klimapolitik, sondern auch dem Umstellungsprozess selbst geschuldet. Dafür gibt es wiederum drei Gründe:

Investoren ziehen ihr Geld aus der Förderung von fossilen Energien ab. Daher steigen die Kapitalkosten fossiler Energiekonzerne und es werden weniger neue Vorkommen erschlossen. Solange die Nachfrage nach Öl, Kohle und Gas aber noch nicht deutlich zurückgegangen ist, sind diese Produkte daher knapper und somit teurer.

Aber auch der Ausbau der Erneuerbaren kann preistreibend wirken. Plötzlich werden bestimmte Rohstoffe wie Kupfer oder Lithium in deutlich größeren Mengen gebraucht als zuvor. Doch auch hier benötigt der Ausbau der Förderkapazitäten Zeit. Bis dahin sind die Preise relativ hoch, was letztlich die Investitionen in die Erweiterung eben dieser Förderkapazitäten treibt.

Schließlich sind einige klimafreundliche Produkte zumindest anfangs tatsächlich teurer als herkömmliche. Das gilt etwa für grünen Stahl, der mit Wasserstoff anstelle von Kokskohle hergestellt wird. Die Beratungsfirma Boston Consulting Group hat für acht besonders rohstoffintensive Branchen untersucht, was das für die Preise bedeutet: "Eine durchgängige Dekarbonisierung dieser Lieferketten würde mittelfristig die Kosten für die Endverbraucher nur um ein bis vier Prozent erhöhen."

Grund für diese geringe Preissteigerung über den jahrelangen Umstellungsprozess sei der letztlich geringe Anteil der Rohstoffe am Endpreis. Ein Auto, das aus grünem Stahl hergestellt wird, sei nur zwei Prozent teurer als eines aus herkömmlichem Stahl.

Die meisten dieser Effekte sind allerdings vorübergehend. Öl und Gas sind nur knapp und relativ teuer, solange die Nachfrage noch da ist, und Lithium und Kupfer, bis das Angebot erhöht wurde. Edward Lees von der Großbank BNP Paribas sagt über die Energiewende: "Mittelfristig ist sie immer noch deflationär, und darauf sollten sich die Menschen konzentrieren. Der Wind kostet nichts, die Sonne kostet nichts."

Erneuerbare sind massiv billiger geworden

Hinzu kommt, dass die Energiewende auch aus der Perspektive der Preisstabilität nicht aufgeschoben werden sollte. Die britische Zentralbank hat untersucht, welche Folgen zu erwarten sind, wenn die Energiewende sofort oder erst in zehn Jahren beginnt.

Beim sofortigen Beginn kann der Umstellungsprozess nach und nach erfolgen. Wenn der Prozess zehn Jahre aufgeschoben wird, müssen die Emissionen in einer Hauruckaktion gesenkt werden, was nicht nur zu einer Rezession, sondern auch zu einem um zwei Prozentpunkte höheren Inflationsniveau führt.

Obwohl die Energiewende vorübergehend preistreibend wirkt, stellt sich schließlich die Frage, ob der Ausdruck "grüne Inflation" oder englisch greenflation richtig ist. Solar- und Windstrom sind in den letzten Jahren massiv billiger geworden und werden weiter billiger. Was hingegen in der Energiewende teurer wird, sind vor allem CO2-Emissionen.

Der Greenpeace-Finanzexperte Mauricio Vargas schreibt daher auf Twitter: "Richtig ist, dass eine adäquate CO2-Bepreisung die Inflation erhöhen kann. Allerdings handelt es sich hier nicht um eine 'grüne' Inflation, sondern um die transparente Internalisierung der wahren Kosten der Nutzung von fossiler Energie – letztlich also um 'fossile Inflation'."

Das Gleiche gilt für die mögliche Verteuerung fossiler Energieträger, aus denen sich die Investoren zurückziehen. Einzig eine mögliche Verteuerung von Rohstoffen für die Erneuerbaren wie Kupfer wäre dann noch "grün" – und der eigentlich preistreibende Faktor wären die fossilen Brennstoffe.

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