Wärmebild eines ungedämmten und eines daneben stehenden gedämmten Hauses.
Nur gedämmt sind Häuser fit für das nächste Jahrzehnt. Die Technologien sind da, es fehlt die Politik. (Foto: Passivhaus Institut/​Wikimedia Commons)

Klimareporter°: Herr Pehnt, Sie sind Mitglied im "Fachrat Energieunabhängigkeit", der eine konkrete und umsetzbare Strategie zum Erdgas-Ausstieg in Deutschland erarbeiten soll. Für wann peilen Sie das Ende der fossilen Gasnutzung an?

Martin Pehnt: So früh wie möglich. In unseren Szenario-Berechnungen kann es gelingen, den fossilen Gasverbrauch in zehn Jahren zu halbieren und Anfang der 2040er Jahre vollständig auszusteigen, allerdings mit zum Teil sehr ambitionierten Geschwindigkeiten beim Einsatz von Wärmepumpen und Industrieanlagen. Im Fachrat soll geprüft werden, welche Hebel uns näher an dieses Szenario heranbringen.

Welche Hebel können das sein?

Klar ist, dass wir für den Erdgasausstieg, aber vor allem auch für einen ehrgeizigen Klimaschutz unsere Anstrengungen beim Energiesparen verstetigen müssen. 15 Prozent Gaseinsparung haben wir im letzten Jahr geschafft, und das müssen wir unabhängig von Witterung und Konjunktur steigern.

Zweitens müssen wir konsequent erneuerbare Energien ausbauen und die installierte Leistung von Wind- und Solaranlagen bis 2030 nahezu verdreifachen. Wenn wir außerdem ausreichend Kapazitäten für die Produktion von Wärmepumpen, für die Umschulung von Arbeitskräften und für Erzeugung und Import von Wasserstoff schaffen, kann der fossile Gasausstieg gelingen.

Das ist eine gewaltige Aufgabe. Heute wird noch die Hälfte der Wohnungen mit Erdgas beheizt, bei der Stromproduktion lag der Anteil 2021 bei 13,5 Prozent, und auch in der Industrie ist Erdgas wichtig als Prozessenergie und Rohstoff. Worauf legen Sie die Priorität?

Mein persönlicher Schwerpunkt liegt im Gebäudebereich. Dort haben wir nicht nur einen sehr hohen Gasbedarf, sondern auch besonders träge Prozesse. Noch voriges Jahr – im Jahr der Gaskrise – wurden über 600.000 Gasheizungen verkauft, von denen viele noch in 20 Jahren in Betrieb sein werden.

Portraitfoto von Martin Pehnt
Foto: Ifeu

Martin Pehnt

leitet das Institut für Energie- und Umwelt­forschung (Ifeu) in Heidel­berg. Der Physiker und Energie­techniker ist Mitglied im "Fachrat Energie­unabhängigkeit", der bis September eine umsetzbare Strategie zum Erdgas­ausstieg erarbeiten soll. Angesiedelt ist das Gremium am Institut für Zukunfts­fähige Ökonomien (ZOE), einem gemein­nützigen Thinktank für wirtschafts­politische Fragen einer grünen und gerechten Transformation. Der Fachrat hat acht Mitglieder aus verschiedenen Disziplinen, die sonst Bundes- und Landes­regierungen beraten.

Der Fachrat schaut aber auch auf die Industrie. Da geht es beispielsweise um die Elektrifizierung der Stahlindustrie, den Einsatz von Wasserstoff und letztlich auch um die schwierige Frage, welche Vorprodukte der Industrie wir langfristig in Deutschland herstellen werden.

Wir glauben: Die Bundesregierung kann mehr tun, um für diese Mega-Investitionen eine entsprechende Investitionsdynamik zu schaffen.

Das heißt konkret?

Studien errechnen für den Gebäudesektor einen Mehrbedarf von mindestens 175 Milliarden Euro und von 50 Milliarden für den der Industrie bis 2030, um sie auf die notwendigen Klimapfade zu bringen. Diese Investitionen sind notwendig, denn Nichthandeln wäre deutlich teurer. Aber sie müssen geschultert werden.

Daneben braucht es Produktionsstätten für viele neue "Transformationsprodukte". Das Ziel ist es, einen Plan vorzulegen, wie dieser Finanzierungsbedarf gedeckt werden kann und wo dafür öffentliche Mittel und wo privates Kapital erforderlich sind.

Haben Sie ein Beispiel?

Um die vielen Gas- und Ölkessel gerade auf dem Land und in kleineren Städten zu ersetzen, sind innovative Konzepte für Wärmenetze, beispielsweise Niedertemperaturnetze, eine vielversprechende Strategie. Wir müssen also Stadtwerke und andere Energieversorger, aber auch Kommunen oder Genossenschaften überzeugen, zu investieren.

Gerade habe ich eine Kommune besucht, die eine nicht gewinnorientierte grüne Wärme-Firma gegründet hat. Um solche Modelle auszuweiten, brauchen diese Projekte Richtungssicherheit, Anschubfinanzierung und Know-how. Wichtig ist dabei: Es darf keine neuen fossilen Investitionen geben, die wir später wirtschafts- und sicherheitspolitisch bereuen.

Sie spielen auf die Flüssigerdgas-Terminals an Nord- und Ostsee an? Umweltverbände warnen hier vor einem fossilen Lock-in.

Die mobilen LNG-Terminals waren aus meiner Sicht erforderlich, um die kurzfristige Versorgungssicherheit zu garantieren. Aber es werden ja weitere, dauerhafte Terminals gebaut, die Überkapazitäten schaffen. Hier besteht tatsächlich die Gefahr, dass fossile Bezugsstrukturen zementiert und Investitionen versenkt werden, wenn wir nicht direkt auf Wasserstoff gehen.

Was muss im Wohnungssektor genau geschehen, um das Gas herunterzudrehen?

Zum einen müssen wir den Verbrauch deutlich runterfahren. Es ist bedauerlich, dass die Wärmesanierung von Gebäuden seit einem Jahrzehnt als deutscher Dämmwahn ins Lächerliche gezogen wurde. Eine effiziente Gebäudehülle ist wichtig, um uns vor winterlichen Stromlastspitzen zu schützen und das Gebäude als Speicher zu nutzen. Hier brauchen wir auch architektonisch pfiffige und kostengünstige Ansätze – und eine doppelt so hohe Sanierungsquote.

 

Daneben muss die Wärmeversorgung umgekrempelt werden. Statt der 600.000 Gasheizungen pro Jahr brauchen wir 600.000 Wärmepumpen – und Solarenergie auf den Dächern.

Tut die Bundesregierung denn im Bereich Wärmewende genug?

Der erste Schritt ist die "65 Prozent-Regel": Ab 2024 sollen nach Minister Habecks Plänen nur noch Heizungen neu eingebaut werden, die zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden.

Aber genauso wichtig ist: Kommunen, aber auch Eigentümerinnen und Eigentümer müssen sich auf die Wärmewende vorbereiten. Sonst verfallen sie in Schockstarre, wenn der alte Kessel kaputtgeht.

Das bedeutet, heute schon – zum Beispiel mit einem Sanierungsfahrplan – Gebäude zu optimieren und die Vorlauftemperaturen der Heizungen abzusenken, denn dann kann man Wärmepumpen auch in Bestandsgebäuden gut einsetzen. Und es bedeutet auf kommunaler Ebene eine systematische Planung der Wärmeinfrastrukturen.

Wärmepumpen oder Pelletheizungen sind drei- bis fünfmal teurer als die einfache Erneuerung einer Gastherme. Kann man das den Hausbesitzern zumuten?

Das gilt für die Investitionskosten, die Erneuerbaren-Heizungen werden aber gut durch den Bund gefördert. Nimmt man zudem die Betriebs- und Energiekosten dazu, ist eine Wärmepumpe heute oft günstiger als eine Gasheizung.

Aber richtig ist: Einkommensschwächeren Hausbesitzern muss man unter die Arme greifen und auch die energetische Sanierung von Sozialwohnungen besonders unterstützen. Ich empfehle eine Zusatzförderung für ärmere Haushalte, aber auch eine Absicherung von Krediten für solche Haushalte, die derzeit keinen Kredit bekommen.

Zugleich müssen wir uns klarmachen: Energie – auch Heizen – wird nie wieder so günstig werden wie vor dem Ukraine-Krieg.

Der Gasausstieg funktioniert nur, wenn schnell deutlich mehr Ökostrom produziert wird. Ist das überhaupt möglich?

Zum Glück hat die Bundesregierung hier im letzten Jahr viele neue Weichen gestellt. Technisch machbar ist das, Potenzial, Flächen und Projekte sind da. Gehakt hat es bei den langen Planungsprozessen und den vielen kleinen Barrieren, die gerade Schritt für Schritt abgeschafft werden.

Dennoch: 2022 sind die CO2-Emissionen der Stromerzeugung gegenüber dem Vorjahr durch den Kohleeinsatz gestiegen. Wir müssen daher noch schneller werden.

 

Erdgaskraftwerke werden aber weiter gebraucht, um Zeiten mit wenig Solar- und Windenergie auszugleichen. Wie kann der Ausstieg hier geschehen?

Noch immer werden Erdgas-Heizkraftwerke staatlich gefördert! Um davon wegzukommen, brauchen wir dreierlei. Erstens mehr und günstige Speicher. Zweitens flexible Verbraucher, also zum Beispiel Elektroautos, Kupferschmelzen oder Wärmepumpen, die dann betrieben oder geladen werden, wenn ein großes Stromangebot da ist.

Und drittens auch flexible Kraftwerke, die mit grünen Gasen, etwa nachhaltig hergestelltem Biogas oder grünem Wasserstoff, betrieben werden. Dann können wir auf Erdgas auch im Stromsektor verzichten.

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