LNG-Schiff mit vier großen runden Tanks liegt längsseits an einem gleich großen Schiff, das als schwimmendes Terminal dient.
Schwimmendes Flüssigerdgas-Terminal des norwegischen Unternehmens Höegh LNG, das auch in Wilhelmshaven unter Vertrag steht. (Foto: Höegh LNG)

Noch vor Weihnachten solle es die erste große Bescherung beim Flüssigerdgas geben. Am 17. Dezember wird nach jetzigen Planungen in Wilhelmshaven das erste deutsche LNG-Terminal den Betrieb aufnehmen.

Es handelt sich um ein schwimmendes Terminal. Ein Gastankschiff dient dabei als zeitweises Gaslager sowie als sogenannte Regasifizierungs-Einheit. Allein das Wilhelmshavener Terminal soll künftig mehr als acht Prozent des deutschen Gasbedarfs abdecken können. Bis Ende 2026 sollen sieben weitere schwimmende sowie drei feste LNG-Terminals dazukommen.

Alle elf Anlagen zusammen verfügen nach Angaben einer heute veröffentlichten Kurzstudie des Kölner New Climate Institute über eine Importkapazität von jährlich etwa 73 Milliarden Kubikmetern. Damit wäre Deutschland in der Lage, etwa 50 Prozent mehr Erdgas einzuführen, als ursprünglich mit 46 Milliarden Kubikmetern aus Russland bezogen wurden, heißt es weiter.

Die deutschen Pläne für LNG-Terminals seien deswegen "massiv überdimensioniert" und nicht – wie von der Bundesregierung dargestellt – unbedingt nötig, um nach Wegfall der russischen Importe den Gasbedarf zu decken, der gemäß den deutschen Klimazielen noch zulässig ist.

Die Studie begründet die Überdimensionierung vor allem mit dem sinkenden Gasverbrauch sowie den Importmöglichkeiten aus europäischen Nachbarländern. Nach den Angaben sinkt der Gasverbrauch in diesem Jahr durch Sparanstrengungen und milde Temperaturen um etwa zwölf Prozent auf geschätzt 83 Milliarden Kubikmeter.

Wegen der für 2045 angestrebten Klimaneutralität geht die Analyse von einem weiter sinkenden Gasverbrauch aus – bis 2030 um etwa ein Fünftel, bis 2035 um die Hälfte und bis 2045 auf fast null.

Würden die Gasimporte aus den Nachbarländern so hoch bleiben wie in den letzten Monaten, könnten nach Auffassung der Studienautor:innen bis zu 86 Milliarden Kubikmeter für den inländischen Verbrauch bereitgestellt werden. "Bei anhaltenden Einsparbemühungen wären also keine neuen LNG-Terminals nötig", schlussfolgert das Papier.

Unter der – realistischen – Annahme rückläufiger Erdgasimporte könnte laut der Studie die Gasnachfrage die verfügbaren Importe um bis zu 15 Milliarden Kubikmeter jährlich übersteigen. "Diese Lücke könnte entweder durch ambitioniertere Reduktionen oder durch drei schwimmende Terminals abgedeckt werden", heißt es weiter. Nach dem Jahr 2035 würden auch die drei Terminals nicht mehr benötigt.

Absehbare Fehlinvestitionen

Falls die LNG-Pläne vollständig umgesetzt werden, sind für die Autor:innen Fehlinvestitionen absehbar, sogenannte "Stranded Assets". Da ein Großteil der LNG-Terminals durch finanzielle Mittel des Bundes unterstützt werde, müssten die Steuerzahler:innen das Risiko mittragen.

Die Gesamtkapazität der über Terminals einlaufenden Importe könnte sich laut der Studie sogar noch erhöhen. Es seien zwei weitere, in der Berechnung nicht berücksichtigte Terminals in Planung, deren Realisierung aber noch nicht feststehe. Zudem sei unklar, ob die schwimmenden LNG-Terminals tatsächlich abgeschaltet werden, wenn am selben Standort feste Terminals bereitstehen. 

Kurven- und Balkendiagramm: Die bis 2045 geplanten LNG-Kapazitäten liegen zum Teil mehrfach über dem, was für das Klimaziel noch an Erdgas verbraucht werden darf.
Zu viel Erdgas für Deutschland: Importkapazitäten im Vergleich zum Verbrauch, der zum Erreichen der Klimaneutralität bis 2045 zulässig ist. (Grafik: aus der Kurzstudie; Quellen: AG Energiebilanzen, Bundesnetzagentur, Prognos u. a.)

Gegen eine Abschaltung der schwimmenden Anlagen sprechen aus Sicht der Autor:innen entsprechende Charterverträge und Genehmigungsanträge, die meist eine längere Nutzung vorsehen. Auch seien bereits langfristige Gaslieferverträge geschlossen worden, teils bis zum Jahr 2044 und darüber hinaus.

Rechnet man die beiden noch als unsicher geltenden Terminals hinzu und geht von einem Parallelbetrieb schwimmender und fest installierter Terminals aus, könnte die Importkapazität für Flüssigerdgas laut der Studie sogar bei über 100 Milliarden Kubikmetern liegen. Das wäre dann mehr als das Doppelte der einstigen Russland-Importe.

"Die Ergebnisse der Studie decken sich mit unseren Erkenntnissen, dass feste LNG-Terminals in Deutschland nicht notwendig sind, da der Gasverbrauch deutlich zurückgehen wird aufgrund hoher Gaspreise, Einsparbemühungen im Zuge der Energiewende und zur Erfüllung der Klimaziele", erklärt die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin auf Nachfrage.

Nehme Deutschland die Klimaziele und die Energiewende ernst, werde der Gasverbrauch deutlich sinken müssen. Dieser Bedarf könne vollständig durch existierende Gas-Infrastrukturen und auch ohne Gas aus Russland gedeckt werden, betont Kemfert. Vorrangig werde Deutschland dazu künftig Gas aus Norwegen importieren.

Redaktioneller Hinweis: Claudia Kemfert ist Mitglied im Herausgeberrat von Klimareporter°.

Ergänzung am 20. März 2023: Das neue RWE-Terminal vor Rügen würde Deutschlands Überkapazitäten weiter erhöhen

 

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