Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Aysel Osmanoglu, Vorstandssprecherin der GLS Bank.
Klimareporter°: Frau Osmanoglu, die Ampel-Koalition streitet weiter um den Bundeshaushalt 2025. Darin sollen Ausgaben von etwa 40 Milliarden Euro noch nicht gedeckt sein. Immer mehr Stimmen fordern, die Schuldenbremse auch 2025 aufzuheben. In der SPD ist ein Mitgliederbegehren zum Haushalt beantragt. Was wäre Ihr Vorschlag, um die Haushaltskrise zu bewältigen?
Aysel Osmanoglu: Für die Transformation zu einer sozial gerechten und ökologisch zukunftsfähigen Gesellschaft benötigen wir finanzielle Mittel. Mit einer Finanztransaktionssteuer und einer höheren Besteuerung von Vermögen, wie das auch Initiativen wie Taxmenow fordern, könnten wir zusätzliche Einnahmen generieren.
Außerdem schätzt das Umweltbundesamt die fossilen Subventionen in Deutschland auf jährlich über 60 Milliarden Euro. Es gibt also Stellschrauben zur Kapitalbeschaffung, die funktionieren würden.
Gleichzeitig hinterfragen immer mehr Politiker:innen die Ausgestaltung der Schuldenbremse. Investitionen in Klimaschutz, Bildung und zukunftsfähige Infrastruktur sollten als Sonderregelung betrachtet werden.
Der geltende Mechanismus, dass die Notsituation erst eintreten muss, um dann gesondertes Vermögen bereitgestellt zu bekommen, führt zu unnötigen Mehrkosten. Unterlassen wir beispielsweise heutige Investitionen für den öffentlichen Sektor, werden diese für nachkommende Generationen umso teurer. Aktuell beobachten wir das bei der Sanierung der Bahninfrastruktur.
Die EU hat diese Woche überraschend das "Nature Restoration Law" verabschiedet, das Naturwiederherstellungsgesetz. Die EU-Länder sind nun verpflichtet, bis 2030 ein Fünftel der Land- und Meeresflächen ökologisch wiederherzustellen. Für manche ist Biodiversität schon der nächste Megatrend an der Börse. Gibt es Finanzinstrumente, die Wälder erhalten, Moore vernässen oder Biotope retten und dann noch Rendite abwerfen?
Ich freue mich sehr über die Verabschiedung dieses Gesetzes. Die Biodiversitätskrise steht noch oft im Schatten der Klimakrise. Sie erhält auch in der Finanzwelt nicht die nötige Aufmerksamkeit. Der Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung hat jedoch die Bedeutung der Biodiversität erkannt und in sein Zukunftsbild eines nachhaltigen Finanzsystems integriert.
Es gibt durchaus Potenzial für Finanzinstrumente, die Biodiversität fördern. Ein möglicher Ansatz wäre ein Fonds, der in biodiversitätsfreundliche Unternehmen und Projekte investiert und einen Teil seiner Einnahmen in den Biodiversitätsschutz fließen lässt.
Bei der GLS Bank haben wir mit unserem Klimafonds einen ähnlichen Weg eingeschlagen, mit dem Fokus auf klimaorientierte Projekte. Blaupausen existieren also bereits.
Wichtig ist auch, dass Banken sorgfältig prüfen, welche Projekte sie finanzieren. Der Verzicht auf Pestizide und Überdüngung trägt direkt zum Schutz der Biodiversität bei. Zudem fördern die extensive Grünlandbewirtschaftung und Weidehaltung die Schaffung von biodiversen Lebensräumen.
Die Umweltstiftung WWF hat ein "Rahmenwerk" entwickeln lassen, das großen Firmen bei der Transformation zur Nachhaltigkeit helfen soll. Analysiert wird der "Fußabdruck" in vier zentralen Bereichen: Klima, Biodiversität, Süßwasser und Menschenrechte. Muss Unternehmen wirklich noch erzählt werden, was Nachhaltigkeit bedeutet?
Nachhaltigkeit verstehe ich als Wellenbewegung. Kriege und innenpolitische Debatten sorgen dafür, dass dieses wichtige Thema auch unternehmerisch mal mehr, mal weniger Aufmerksamkeit bekommt.
Die Menschen haben dieses Bewusstsein durchgehend. Die Vereinten Nationen haben gerade die bislang größte Umfrage zum Thema Klima veröffentlicht: Vier von fünf Menschen fordern mehr Klimaschutz.
Unternehmen haben jetzt die Chance, den Wandel aktiv mitzugestalten, statt nur auf regulatorische Vorgaben zu reagieren. Wir erleben Regulatorik häufig als Antwort, wenn wir unsere unternehmerische Freiheit nicht nutzen.
So sehe ich das Rahmenwerk des WWF als eine weitere Möglichkeit für Unternehmen, in das Feld experimentell einzusteigen. Es kann eine Chance sein, genauso wie Zukunftsbilder des Sustainable-Finance-Beirats Impulse für die Finanzbranche sein können. Wenn wir die Offenheit mitbringen, das zu integrieren, was zu unserem Kerngeschäft, zum Unternehmen passt, bin ich zuversichtlich.
Bei der GLS Bank arbeiten wir seit 50 Jahren mit individuellen Lösungen unserer Kunden aus ganz unterschiedlichen Branchen. Dazu braucht es ehrlichen Willen und das Auseinandersetzen mit inhaltlichen Fragen, über einen rein monetären Rendite-Gedanken hinweg.
Tun wir das nicht, dürfen wir uns nicht über strenge, "überfordernde" Regulatorik wundern. Die kommt nämlich nur dann, wenn wir unternehmerisch keine eigenen Lösungen gefunden haben.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Meine Überraschung der Woche ist, dass Union Investment als erster großer deutscher Fondsanbieter einen Plan für den Ausstieg aus Investitionen in die Öl- und Gasförderung vorgelegt hat. Ab 2025 sollen fossile Energieträger aus seinen nachhaltigen Fonds ausgeschlossen und in herkömmlichen Fonds schrittweise reduziert werden.
Das ist ein bedeutender Schritt, den ich sehr begrüße. Es freut mich zu sehen, dass Union Investment beim Thema Engagement – also bei Dialogen mit Unternehmen zu Nachhaltigkeitsfragen und Abstimmungen auf Hauptversammlungen – inzwischen besser aufgestellt ist als viele seiner Konkurrenten.
Mit der Aussage, dass fossile Brennstoffe nicht in nachhaltige Fonds gehören, hat Union Investment der konventionellen Branche einen Rest Glaubwürdigkeit erhalten. Jetzt müssen andere Branchenführer wie die DWS und die Allianz nachziehen und ihre Ambitionen erhöhen.
Fragen: Jörg Staude