Weizenfeld
Weizenfeld im Südharz: Sparsamer Stickstoffeinsatz wird hierzulande noch nicht mit Gutschriften honoriert. (Foto: Olli Henze/​Flickr)

Zehn Jahre ist es mittlerweile her: Ein internationales Forscherteam um den renommierten schwedischen Klimaforscher Johan Rockström stellte das Konzept der planetaren Belastungsgrenzen vor. Danach geht von einem zu hohen Stickstoffeintrag die zweitgrößte Umweltbedrohung für die Welt aus, nach dem Verlust der Biodiversität.

Die vom Menschen zusätzlich aktivierten Mengen an Stickstoff seien inzwischen so groß, dass die natürlichen Kreisläufe des Elements gestört und die Belastungsgrenzen überschritten seien.

Das Problem ist bekannt – und dennoch sinkt der Stickstoffeintrag nicht in dem Maße, wie es erforderlich wäre.

Mit welchen Maßnahmen Regierungen und Landwirte den Eintrag verringern können, hat der Wissenschaftler Clemens Scheer vom KIT-Institut für Meteorologie und Klimaforschung in Garmisch-Partenkirchen nun mit einer internationalen Expertengruppe und Unterstützung der OECD zusammengetragen. Die Schlussfolgerung ist eindeutig: Der weltweite Einsatz von Stickstoffdünger muss sinken und viel effizienter werden.

Stickstoff ist unentbehrlich für das Wachstum von Pflanzen. Jahrhundertelang setzen die Menschen in der Landwirtschaft auf natürliche stickstoffhaltige Dünger wie Gülle und Mist. Als es den Chemikern Fritz Haber und Carl Bosch Anfang des vergangenen Jahrhunderts gelang, Stickstoff aus der Luft in einer stabilen Verbindung zu fixieren, kam das einer Revolution gleich. Bis heute sichert das Haber-Bosch-Verfahren die Ernährung der ständig wachsenden Erdbevölkerung.

Pflanzen nehmen weniger als die Hälfte auf

Doch durch die Überdüngung wird das Segen bringende Verfahren zum Problem. Nur etwa 40 Prozent des heute weltweit durch Kunstdünger in die Natur eingebrachten Stickstoffs werden von den Nutzpflanzen tatsächlich aufgenommen. Der Rest landet in der Umwelt – im Wasser, in der Atmosphäre oder im Boden.

Ein Überschuss an Stickstoff führt deshalb nicht zu höheren Erträgen. "Die Beziehung zwischen dem Einsatz von Stickstoff und der Steigerung von Ernteerträgen ist nicht linear", sagt Scheer gegenüber Klimareporter°. Es gebe einen optimalen Bereich für die Düngung, den die Landwirte nicht überschreiten sollten.

SRU-Sondergutachten zum Stickstoff

"Der Mensch greift drastisch in den natürlichen Stickstoffkreislauf ein", stellte der Sachverständigenrat für Umweltfragen in seinem Sondergutachten zum Stickstoff 2015 fest. Das gelte vor allem, "seit vor etwa einhundert Jahren ein industrielles Verfahren zur Herstellung von Düngemitteln entwickelt wurde, das nicht-reaktiven Luftstickstoff in reaktive Stickstoffverbindungen umwandelt".

Außerdem sei es sinnvoller, natürlichen Dünger statt synthetischer Düngemittel zu verwenden. Der Anbau von Hülsenfrüchten sowie Zwischenfrüchte könnten ebenfalls überschüssigen Stickstoff binden. Zudem sollten sich die Staaten ein Minderungsziel für das massiv klimaschädliche Lachgas geben, das bei hohem Stickstoffeintrag in die Atmosphäre entweicht.

Dem jetzt veröffentlichten Papier zufolge ist die Stickstoffdüngung vor allem in Industriestaaten ineffizient. "Die Stickstoff-Zufuhr in Deutschland beträgt ungefähr 200 Kilogramm je Hektar", sagt der Agrarökologe Friedhelm Taube von der Universität Kiel. Davon komme die eine Hälfte aus Mineraldünger, die andere stamme aus Gülle, Gärresten und weiteren organischen Düngern wie Hülsenfrüchten.

In der öffentlichen Diskussion geht es zumeist um die Überdüngung durch Gülle. Vor allem im Nordwesten Niedersachsens, aber auch in Gegenden von Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Bayern sind die Tierbestände zu hoch, dort fällt dann viel zu viel Gülle an.

"Bis zu zwei Tiere pro Hektar gelten bei Kühen als umweltverträglich", sagt Christian Rehmer, Agrarexperte beim Umweltverband BUND. Die Obergrenze gilt Ökologen als Indiz für ein gutes Verhältnis von Tierbeständen und Böden. Häufig ist sie überschritten.

In den Zentren der Tierhaltung gibt es aber auch ein Problem mit zu hoher Zufuhr von Mineraldüngern. "Dort wird noch zu viel Mineraldünger zusätzlich eingesetzt, weil leider viele Landwirte den Nährstoffwirkungen aus der Gülle nicht ausreichend vertrauen", sagt Agrarökologe Taube.

Eine ausgewogene Gülledüngung sei kein Problem, aber zu hohe Dosierung, falsche Ausbringungszeitpunkte und unsachgemäße Ausbringungstechniken, die hohe Ammoniakverluste zur Folge hätten, führten dazu, dass die Pflanzen den Nährstoff nicht ausreichend aufnehmen können.

Australien belohnt seine Landwirte

Wenn australische Bauern nachweisen können, dass sie ihre Böden so bewirtschaften, dass die Stickstoffraten sinken – zum Beispiel durch den Anbau von Hülsenfrüchten, der die Bodenqualität verbessert –, können sie dafür sogenannte "Carbon Credits" erhalten. Diese können sie an Unternehmen oder Einzelpersonen verkaufen, die ihre Emissionen kompensieren wollen.

Der Meteorologe Clemens Scheer vom KIT findet das Anreizsystem sinnvoll: "Mit elf Prozent trägt die Landwirtschaft in Australien erheblich zum Treibhausgasausstoß des Landes bei."

Aus Sicht des Klimaforschers gibt es aber noch Verbesserungsbedarf: Der Aufwand, um die "Carbon Credits" zu erhalten, sei viel zu bürokratisch und lohne sich oft nicht für die Landwirte. Deren Interesse an den Gutschriften sei deshalb ausgesprochen gering.

Zudem gibt es die Gutschriften bislang nur für die Baumwollindustrie.

Fleischreduzierte Ernährung nötig

Mit angepasster Düngung, wie die Forschung es vorschlägt, will der Deutsche Bauernverband (DBV) das Problem in Griff bekommen. "Eine präzise und bedarfsgerechte Düngung mit einer effizienten, emissionsarmen Ausbringungstechnik für Wirtschaftsdünger ist der Schlüssel, um die Einträge entsprechend der gesetzlichen Vorgaben anzupassen", sagt DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken. Damit seien seit 1990 die Stickstoffeinträge um 21 Prozent gesunken.

Taube von der Uni Kiel fordert Nährstoffbilanzen für die Agrarbetriebe. "Wir müssen die Nährstoffflüsse in den Betrieb hinein und aus dem Betrieb heraus bilanzieren und scharfe Grenzwerte für erlaubte Überschüsse ziehen."

Hochertragsstandorte können durchaus mehr als 200 Kilogramm Stickstoffeinsatz je Hektar in Erträge umsetzen, schwächere Standorte wie Sandböden jedoch nicht. Deshalb sei vor allem die Vermeidung von Überschüssen entscheidend, so der Wissenschaftler. Die maximal erlaubten Überschüsse müssten dann aber auch konsequent kontrolliert werden – daran mangele es bislang.

BUND-Experte Rehmer regt an, mehr mit Mist zu düngen. Tierställe mit Stroh auszulegen sei zudem artgerechter als Spaltböden, bei denen Kot und Urin abfließen. Das hat noch einen weiteren Vorteil: "Im Festmist ist der Stickstoff besser gebunden", sagt Rehmer. Zudem müssten die Tierbestände sinken, fordert der Agrarexperte, damit weniger Gülle anfällt.

Und auch die Bürgerinnen und Bürger sind gefordert, weniger Produkte tierischer Herkunft zu verzehren, sind sich die Wissenschaftler Clemens Scheer und Friedhelm Taube einig. Eine fleischreduzierte Ernährung könne dazu beitragen, dass weniger Futterpflanzen angebaut und gedüngt werden müssen.

Der Beitrag wurde am 11. August erweitert und aktualisiert.

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