Eisenbahnbaustelle mit Baufahrzeugen und gestapeltem Material.
Eisenbahnbaustelle in Berlin: "Die Bahn hat die Erhaltung der Infrastruktur unter dem laufenden Rad verlernt." (Bild: Michaela Bechinie/​Shutterstock)

Das Bündnis "Bürgerbahn", das von kritischen Eisenbahn-Fachleuten getragen wird, hat am Mittwoch seinen neuen "Alternativen Geschäftsbericht" zur Deutschen Bahn vorgelegt. Darin warnt es vor einer weiteren Verschlechterung der Situation auf der Schiene und fordert "zukunftsweisende Weichenstellungen für eine attraktive, verkehrswendetaugliche Bahn".

Die mehrfachen Lokführerstreiks, die drohenden Kürzungen der Bundesmittel für Schienenausbau-Projekte und der bevorstehende Beginn der Generalsanierung wichtiger Streckenteile machten es dringend erforderlich, "die deutsche Bahnpolitik wieder aufs richtige Gleis zu bringen".

Ähnliche Kritik äußerte der Zusammenschluss "Bahn für alle". Für den heutigen Donnerstag hat die DB AG ihre Bilanzpressekonferenz angekündigt.

Speziell befürchtet das Bürgerbahn-Bündnis, dass die Generalsanierung wichtiger Bahnkorridore ein "Fiasko" wird, das der Verkehrswende schadet. "Durch die geplanten Totalsperrungen werden den Fahrgästen große Umwege, Zeitverluste und Unbequemlichkeiten mit Schienenersatzverkehr zugemutet", wird kritisiert.

Der frühere Chef der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), Benedikt Weibel, bezeichnet die Totalsperrung wichtiger Strecken in dem alternativen Bericht als "Selbstmord mit Ansage", da sie viele Fahrgäste zum Umsteigen auf das Auto bringen werde.

"Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die fortlaufenden Generalsanierungen zu einem sprunghaften Anstieg des Autoverkehrs führen", warnt Weibel. "Die hehren Absichten, den CO2-Ausstoß im Verkehr endlich zu reduzieren, werden ins Gegenteil verkehrt."

Bahn soll aus Stuttgart 21 lernen

Der Experte fordert als Alternative eine Sanierung "unter rollendem Rad", wie sie sich bei der SBB und anderen Bahnen in europäischen Nachbarländern als machbar und sinnvoll erwiesen habe.

Grund für die radikalen DB-Pläne ist eine jahrzehntelange Vernachlässigung bei der Unterhaltung und Modernisierung des Schienennetzes. Bis zum Jahr 2030 sollen 40 Hauptkorridore des Netzes jeweils über Monate für den Verkehr geschlossen und von Grund auf saniert werden, beginnend mit der Riedbahn zwischen Frankfurt am Main und Mannheim, die ab Juli für fünf Monate stillgelegt wird.

Es gebe "eigentlich nur eine Erklärung, weshalb sich die DB in ein derartiges Abenteuer stürzt", meint Weibel. "Sie hat die Kunst der Erhaltung der Infrastruktur unter dem laufenden Rad verlernt." Auch "Bahn für alle" bezeichnete die Vollsperrungen für Pendler, aber auch Güterverkehrsunternehmen als "unzumutbar".

Bürgerbahn kritisiert weiterhin, die DB-Führung lenke die "ohnehin viel zu knappen Investitionen" auf wenige Großprojekte für den Schnellverkehr und vernachlässige die ländlichen Regionen.

"Die Bahn muss endlich aus dem von Anfang an vermurksten Projekt Stuttgart 21 lernen. Bei solchen Tunnelorgien explodieren immer die Kosten und Bauzeiten, auch wird extrem viel CO2 freigesetzt", argumentiert das Bündnis. "S 21" mache aus einem gut funktionierenden Bahnknoten einen schlimmen Kapazitätsengpass, wobei auch die geplante Digitalisierung fehlende Gleise und Weichen nicht ersetzen könne.

Das umstrittene Stuttgarter Projekt, bei dem der Hauptbahnhof der Stadt unter die Erde verlegt wird, wird statt geplanter 4,5 mindestens elf Milliarden Euro kosten und statt 2019 frühestens 2025 fertig werden.

"Den ländlichen Raum nicht dem Auto überlassen"

Bürgerbahn verweist darauf, dass bundesweit Hunderte von Streckenreaktivierungen nicht vorankämen. Grund sei, dass die Bahn ihre Investitionen und ihr Planungspersonal auf die wenigen Großprojekte konzentriere, während sie die vielen, für die Verkehrswende relevanten kleinen Projekte in der Fläche vernachlässige.

Auch der ländliche Raum brauche kleine, an den Bedarf angepasste S‑Bahn-Systeme, um die dortigen 2.700 Klein- und Mittelstädte gut mit ihrem Umland zu verbinden. "Der ländliche Raum darf nicht dem Auto und dem Lkw überlassen bleiben, Verkehrswende ohne ländlichen Raum geht nicht", so die NGO.

Um die Klein- und Mittelstädte wieder gut dem Gesamtnetz zu verbinden, schlägt Bürgerbahn eine Neuauflage des "Interregio" vor, der das ganze Land mit vielen neuen Linien bedienen könne. Dafür sei ein Großauftrag an die Bahnindustrie für neue Zuggarnituren nötig.

Der alternative Bahnbericht spricht auch den chronischen Personalmangel bei der DB an, der immer mehr einen verlässlichen Betrieb gefährde. Es seien familienfreundliche Tarifregelungen nötig, um die Jobs bei der Bahn auch für jungen Nachwuchs, für Frauen und für Teilzeitbeschäftigte attraktiv zu machen.

Dieser Aspekt sei in den aktuellen Debatten zum Tarifkonflikt mit der Gewerkschaft GDL viel zu kurz gekommen. Die Bürgerbahn-Fachleute warnen: "Wenn sich die Bahn diesbezüglich nicht bewegt, droht ihr eine weitere Zunahme der ohnehin katastrophalen Verspätungsprobleme und Zugausfälle."

 

Bürgerbahn-Sprecher Heiner Monheim resümierte: "Eine gute Bahn setzt nicht auf teure Prestigeprojekte, sondern auf maximale Kundennähe. Sie reaktiviert Bahnhöfe und Gütergleise, baut wieder viel mehr Weichen ins Netz und orientiert sich an einem bundesweiten Taktsystem, in dem schnelle Anschlüsse viel wichtiger sind als die Höchstgeschwindigkeit."

Nur so könne Deutschland seine klimapolitischen Hausaufgaben im Verkehrssektor erfüllen.

Lesen Sie dazu unseren Kommentar: Entgleiste Bahn 

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