Man wolle auf ein bisher vernachlässigtes Thema aufmerksam machen. So begann Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) Mitte April eine Pressekonferenz in Berlin. Dem renommierten Biologen zur Seite saßen Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sowie Wolfgang Köck, ebenfalls UFZ-Forscher und wie Settele Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU).
Das vernachlässigte Thema lautete: Renaturierung und Wiederherstellung der Natur. Settele und Köck hatten dazu eine sehr dicke Stellungnahme mitgebracht. Ihr Titel: "Renaturierung: Biodiversität stärken, Flächen zukunftsfähig bewirtschaften".
Auf 90 Seiten hatte der SRU zusammen mit zwei weiteren Sachverständigengremien für Biodiversität (WBBGR) und für Waldpolitik (WBW) aufgeschrieben, wie die verbliebene Natur nicht nur erhalten, sondern der Zustand geschädigter Ökosysteme stärker als bisher verbessert werden kann. Dazu gehöre es, bestehende Schutzgebiete aufzuwerten und mehr landwirtschaftliche Flächen sowie Wälder naturnäher und zukunftsfähiger zu bewirtschaften, empfiehlt der geballte Sachverstand.
Das Timing von Gutachten und Presseauftritt ging davon aus, dass die EU zuvor die europäische Rechtsgrundlage, das Naturwiederherstellungsgesetz verabschieden würde. Leider machte dabei Ungarn Ende März im Umweltministerrat nicht mit, dem letztlich entscheidenden Gremium. Die Magyaren enthielten sich und so kam keine qualifizierte Mehrheit für das "Nature Restoration Law" zustande.
Seitdem gab es mehrere Initiativen, um das praktisch auf Eis liegende Gesetz doch noch zu verabschieden. Am Ende sorgten vor allem Belgien und Österreich dafür, dass die Vorlage am Montag überraschend doch noch eine Mehrheit fand. Der belgische Ratsvorsitz setzte das Wiederherstellungsgesetz kurz vor Ablauf seiner EU-Präsidentschaft auf die Tagesordnung.
Und die österreichische Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) stimmte schließlich für das Renaturierungsgesetz und verhalf diesem zur qualifizierten Mehrheit. Nun steckt Österreich allerdings in einer Regierungskrise, denn der konservative Koalitionspartner ÖVP hatte sich gegen die Zustimmung ausgesprochen und will Gewessler verklagen.
Klimaschutz und -anpassung erfordern Renaturierung
Zunächst sind die EU-Länder aber nun verpflichtet, schon bis 2030 ein Fünftel der Land- und Meeresflächen ökologisch wiederherzustellen und den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen. Es geht um die Wiedervernässung von Mooren, die Renaturierung von Flussauen, den Umbau zu Mischwäldern, die Einrichtung von Biotopzonen, um weniger Agrarchemie und um die sogenannte gute fachliche Praxis in der Landwirtschaft.
Es spricht für die deutschen Sachverständigenräte, dass Settele und Köck im April gegenüber den Medien nicht viel über die Zukunft des Nature Restoration Law spekulierten. Komme es durch, müsse ein nationales Wiederherstellungsgesetz beschlossen werden, komme es nicht, dann müssten Bund und Länder einen Renaturierungsplan erarbeiten, stellte Köck trocken fest.
Der Umweltrechtler wies bei dem vernachlässigten Thema schon damals auf den Zusammenhang von Renaturierung und Klima hin. Klimaschutz könne nicht gelingen ohne die Wiederherstellung der Natur, und Klimaanpassung könne nicht gelingen, ohne dass Renaturierung ernst genommen werde, betonte er.
Entsprechende Regelungen sollten zusammen mit Landnutzern, Organisationen und Öffentlichkeit entwickelt und umgesetzt werden, betonte Köck. Nur so ließen sich Lösungen finden, die vor Ort akzeptiert werden und sowohl dem Naturschutz als auch der Land- und Waldwirtschaft langfristig Vorteile bringen.
Auch dürften die Renaturierungskosten Landnutzende nicht überfordern. Diese Kosten seien durch öffentliche Gelder abzufedern, forderte der Umweltsachverständige. Dafür gebe es eine Reihe europäischer wie nationaler Finanzierungsinstrumente, etwa das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz oder auch die Städtebauförderung. Köck: "Die Förderung des Umbaus ist essenziell für den Erfolg der Renaturierung."
"So bekommen wir einen Flickenteppich"
Neben der Förderung gilt die Freiwilligkeit als zweite Säule deutscher Naturschutzpolitik. Ob man mit den beiden Prinzipien bei der Renaturierung wirklich vorankommt, daran haben Köck und Settele aber ihre Zweifel.
Aus Sicht des Umweltrechtlers Köck erfordert die "Transformationsaufgabe" Renaturierung einen rechtlichen Rahmen, der ihre Erfüllung ermöglicht und nicht "ausschließlich vom Konsens aller abhängig macht". Bleibe man beim Ansatz der Freiwilligkeit, gebe es keinen Rechtsrahmen, der es ermögliche, Landschaft auch neu zu gestalten, erklärte Köck eindringlich. "Dann werden wir einen Flickenteppich bekommen."
Mit dem Flickenteppich kämpfen seit Jahren Initiativen, die zum Beispiel Moore wiedervernässen wollen. Einzelne Eigentümer von Wald-, Grünland- oder Ackerflächen blockieren eine Renaturierung teilweise auf Jahre hin.
Anders verhält es sich in Deutschland beim Bergbau oder bei Infrastrukturprojekten wie neuen Straßen oder Stromtrassen. Widerspenstige werden hier meist schnell mit der Drohung einer Enteignung zur Räson gebracht.
Wenn sich dagegen bei Moorprojekten die unterschiedlichen Eigentümer nicht einigen, kann die Wiedervernässung der gesamten Fläche scheitern, darauf weisen auch die drei Sachverständigenräte in ihrer Stellungnahme hin. Daher sei fraglich, ob die bislang rein freiwilligen Ansätze der Moorschutzstrategie mittelfristig ausreichten, heißt es in dem Gutachten.
Darauf deute auch die auf Freiwilligkeit basierende Umsetzung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie hin, deren Ziele nicht zuletzt aufgrund dieses Ansatzes deutlich verfehlt werden, wird der Vergleich mit einem früheren Gesetzeswerk gezogen.
Hinter dem Gesetz verbergen sich grundsätzliche Fragen
Auch nach Ansicht der Umwelt-Sachverständigen gibt das Recht dem Staat die Möglichkeit, private Grundeigentümer aus Gründen des Allgemeinwohls dazu zu verpflichten, zum Beispiel Wiedervernässungsmaßnahmen zu dulden. Als ultima ratio seien auch Enteignungen rechtlich möglich, räumt die Stellungnahme ausdrücklich ein. Dann müssten die Eigentümer Ausgleichs- beziehungsweise Entschädigungszahlungen erhalten.
Die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür sollten nach Auffassung der drei Sachverständigenräte bundesweit einheitlich geregelt und rechtssicher ausgestaltet werden. Anderenfalls bestehe die Gefahr, dass unter großem Aufwand vorbereitete Projekte vor Gerichten an verfassungsrechtlichen Voraussetzungen scheitern.
Dass sich hinter dem Renaturierungsgesetz grundsätzliche Fragen verbergen, wissen auch dessen Kritiker genau. Das Gesetz stehe für Überregulierung und Bürokratie und sei eine weitere "Bürde für eine nachhaltige multifunktionale Forstwirtschaft", beschwerte sich noch am Montag die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände (AGDW).
"Leider geht Brüssel mit diesem Gesetz erneut den Weg von immer mehr Auflagen und Verboten, statt auf Kooperation mit der Forstwirtschaft, Freiwilligkeit und Anreize zu setzen", kritisierte Carl Anton Prinz zu Waldeck und Pyrmont vom AGDW-Präsidium.
Bleibt nur das Problem: Kooperation, Freiwilligkeit und Anreize, also Förderung, haben bisher nicht verhindert, dass rund 80 Prozent der geschützten natürlichen Lebensräume in Europa geschädigt sind. Das Thema scheint bisher wirklich sehr vernachlässigt worden zu sein.