Michael Bloss steht mit verschränkten Armen auf einem überdachten Übergang im Europäischen Parlament in Straßburg.
Michael Bloss im Europäischen Parlament in Straßburg. (Foto: Patrick Haermeyer)

Klimareporter°: Herr Bloss, die jetzige vierte Handelsperiode des EU-Emissionshandels startete schon 2021 und reicht bis 2030. Die EU-Staaten, die Europäische Kommission und das EU-Parlament verhandeln gerade im sogenannten Trilog-Format, wie der CO2-Emissionshandel bis 2030 ausgestaltet werden soll. Ist das nicht ein bisschen spät, wo der Handel schon läuft?

Michael Bloss: Tatsächlich wurde der EU-Emissionshandel bereits 2018 reformiert, sodass zum Anfang der vierten Handelsperiode alles fertig ausgehandelt war.

Diese Reform war zwar ein Schritt nach vorn, reichte allerdings bei Weitem nicht aus für das Einhalten des Pariser Klimaabkommens. Erst der Druck von Fridays for Future schob in der Folge eine grüne Welle durch die EU. Die CDU und ihre Fraktion im EU-Parlament, die EVP, mussten sich bewegen.

Deshalb ging kein Weg an einer Neuausrichtung der Klimaziele vorbei. Die jetzige Reform zielt also darauf ab, den Emissionshandel fit für das Pariser Klimaabkommen zu machen.

Bislang sollten die CO2-Emissionen in den vom EU-Emissionshandel erfassten Bereichen, also vor allem Energiewirtschaft und Industrie, von 2021 bis 2030 um 43 Prozent zurückgehen. Weil die EU wegen des Paris-Ziels 2050 klimaneutral sein will, sollen diese Emissionen jetzt um 61 Prozent sinken. Das wollen jedenfalls Mitgliedsstaaten und Kommission, das Parlament fordert 63 Prozent. Ist der Unterschied so groß, dass es zur Einigung einen Trilog braucht?

Jede Tonne weniger CO2 zählt im Kampf gegen die Klimakrise. Wir Grünen wollten mindestens eine Reduktion um 67 Prozent, konnten aber nur unter schwersten Bemühungen eine fossile Allianz zwischen dem zuständigen Verhandlungsführer Peter Liese von der EVP-Fraktion und rechten Parteien verhindern.

Lieses Fraktion wollte bei der finalen Abstimmung gemeinsame Sache mit den Rechtskonservativen und Rechtsextremen machen und die Ambitionen sogar noch unter das Ziel der Kommission drücken. Dabei hatten sie mächtige Verbündete aus der Industrie, die ihre klimaverschmutzende Wirtschaftsweise durchdrücken wollen. Das konnten wir gemeinsam mit den Sozialdemokrat:innen und Liberalen verhindern.

Als Parlament konnten wir auch einige Dinge durchsetzen. Die Industrie muss zeigen, dass sie dekarbonisiert, sonst gibt es keine freien Zuteilungen von Emissionszertifikaten mehr. Außerdem wollen wir die Bürgerinnen und Bürger Europas mit dem Klima-Sozialfonds schützen. Der Ministerrat, also die Vertretung der EU-Staaten, muss sich hier bewegen und darf nicht mauern.

Sie beklagen, dass die jüngste Runde des Trilogs mehr oder weniger ein nettes Kaffeekränzchen war und es keine Fortschritte gab. Worüber hätte Ihrer Ansicht nach denn verhandelt werden sollen?

Wenn ich Zeit habe, freue ich mich persönlich über einen Kaffeekranz und guten Austausch, aber wir haben eine Klimakrise zu lösen und die Weltklimakonferenz steht vor der Tür.

Wir hätten uns deshalb beim Trilog auf ein oder zwei strittige Punkte konzentrieren müssen, statt über alles auf einmal zu sprechen. Das würde den Prozess beschleunigen und ließe uns wirklich zielorientiert arbeiten.

Die Ratspräsidentschaft, aber auch Peter Liese als Verhandlungsführer des Parlaments haben hier nicht gut kommuniziert und sich keine Mandate geholt, um wirklich schnell voranzukommen.

Michael Bloss

ist Verhandlungsführer der Grünen im Europäischen Parlament zum EU-Emissionshandel. 2019 wurde Bloss ins Europaparlament gewählt. Sein Feld ist die Klimapolitik, unter anderem als Mitglied im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie. Zuvor war der Stuttgarter nach einem entsprechenden Studium in der internationalen Entwicklungspolitik tätig, unter anderem für die UN.

Ein Punkt steht für die vierte Handelsperiode schon fest: Vor allem die Industrie soll weiter mit kostenlosen Emissionszertifikaten bedacht werden. Teilweise decken diese Gratiszuteilungen 80 Prozent der Emissionen einzelner Unternehmen ab. Ist dieser klimapolitische Nachlass nicht langsam überholt?

Natürlich ist das überholt, und wenn es nach mir ginge, gäbe es ab 2030 überhaupt keine freien Zuteilungen mehr. Aber eine starke fossile Allianz aus Konservativen, Rechten und Liberalen hat das vor dem Sommer verhindert.

Wir konnten nur das Schlimmste abwenden, auch wenn meine Zustimmung am Ende wirklich schmerzhaft war. Aber wir müssen konstruktiv sein, und das bedeutet: Die freien Zuteilungen müssen spätestens 2032 vollends entfallen.

Das ist die Position des Parlaments, die Peter Liese nicht verraten darf. Und bis 2032 gilt, dass nur diejenigen freie Zuteilungen bekommen, die einen glaubwürdigen Plan zur Dekarbonisierung vorlegen. Die kostenlose CO2-Party muss ein Ende haben.

In Deutschland werden wegen der Gaskrise jetzt auch stillgelegte fossile Kraftwerke wieder ans Netz genommen. Schätzungen sprechen von 20 bis 30 Millionen Tonnen zusätzlicher CO2-Emissionen. Die Bundesregierung sagt, das sei kein großes Problem, weil durch den Emissionshandel die maximalen Emissionen in der EU ja gedeckelt sind. Wie kann sie zu dieser Einschätzung kommen, wenn noch gar nicht klar ist, wie das Handelssystem bis 2030 aussieht?

Das sind Ausflüchte der Bundesregierung. Denn der sogenannte Cap, der Deckel für die Emissionen, ist eigentlich viel zu hoch. Die jährlichen CO2-Emissionen in der EU liegen weit unter dieser Obergrenze.

Genau deswegen haben wir Grünen im EU-Parlament eine deutliche Absenkung dieses Deckels gefordert, aber auch hier hat sich die fossile Allianz quergestellt.

Das Ergebnis ist: Kohle zu verfeuern schmerzt die Energieunternehmen momentan nicht ernsthaft genug, weil der CO2-Preis in der EU zu niedrig ist. Das ist richtig bitter.

Es gibt aber Möglichkeiten, das zu ändern, zum Beispiel durch die Marktstabilitätsreserve. Dieser Mechanismus funktioniert wie ein Staubsauger, der überschüssige CO2-Zertifikate vom Markt saugt. Hier können wir rasch ansetzen, ohne das Gesamtpaket des EU-Emissionshandels komplett neu aufzubrechen.

Sie kritisieren, dass die EU jetzt nach dem ergebnislosen Trilog mit leeren Händen zum Weltklimagipfel fährt. Ist das nicht ein wenig übertrieben? Muss sich die europäische Politik im Moment nicht eher auf die Energiekrise konzentrieren?

Europa hat gerade die schlimmste Dürre seit 500 Jahren hinter sich, Tausende Hitzetote, verdorrte Felder und ausgetrocknete Flüsse inklusive – und das schon bei einer Klimaerwärmung um 1,2 Grad. Wir steuern aber auf weit über zwei Grad zu. Eine Lösung der Klimakrise kann also gar nicht übertrieben sein.

Die derzeitige Energiekrise ist dabei eine zusätzliche Herausforderung. Kurzfristig geht es um die Senkung der Kosten für Europas Bürgerinnen und Bürger. Die Abschöpfung der Übergewinne fossiler Unternehmen ist ein erster richtiger Schritt. Das Geld muss über ein Energiegeld direkt an die Bürgerinnen und Bürger gehen.

Ein weiterer Schritt ist ein neuer Aufbaufonds für die EU. Wir fordern einen Energiefonds, der die Erneuerbaren finanziert, die Gebäude dämmt und der Wirtschaft beim Umbau hilft – gerade für die Länder, die sich keinen 200 Milliarden Euro schweren "Doppel-Wumms" leisten können.

Wir brauchen einen europäischen Doppel-Wumms, der das Klima aber nicht weiter anheizt, sondern gleichzeitig die Klima- und Energiekrise löst. Finanzierbar ist das ohne Probleme, wir müssen es nur wollen.