An einer Wand ist das chemische Zeichen für Kohlendioxid aufgemalt
Die Bundesregierung erkennt offenbar die Zeichen an der Wand nicht. (Foto: Albert Bridge/​geograph)

Kaum fünf Minuten hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in seiner Dankesrede bei der Verleihung des Karlspreise gebraucht – da war er schon beim Thema. "Wie können wir mit dem Klima umgehen?", fragte er in die honorige Runde, der auch Bundeskanzlerin Angela Merkel angehörte. Erneut warb Macron für seinen Vorschlag, einen europäischen CO2-Preis einzuführen.

"Eine nachhaltige Lösung kann nur zustande kommen, wenn wir uns auf europäischer Ebene organisieren und einen Mindestpreis für Kohlenstoff festschreiben", betonte der französische Präsident in Aachen. "Wir müssen eine neue Seite aufschlagen in der Energiepolitik und beim Klimawandel." Das müsse auf europäischer Ebene und nicht mehr allein national gemacht werden, verlangte Macron.

Die Bundeskanzlerin schaffte es in ihrer Laudatio an Macron, diese für ihn zur Herzensangelegenheit gewordene Sache einfach zu ignorieren. Zwar forderte Merkel, dass Europa konkrete Antworten auf die "großen Fragen der Gegenwart und der Zukunft" geben müsse.

Den Klimawandel meinte sie aber wohl nicht, zumindest sprach sie ihn in keinem Wort an, nicht einmal bei ihren vier Zukunftsthemen: einer Innovations- und Investitionsstrategie, der Asyl- und Migrationspolitik, der Wirtschafts- und Währungsunion sowie einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.

Gegenwind brachte ihr das unter anderem von den Grünen ein. Oliver Krischer, Fraktionsvize im Bundestag, fragte per Twitter, warum die Bundesregierung Macrons Vorlage nicht für eine europäische Politik zum Ersatz von Kohle und Atom durch erneuerbare Energien aufgreife.

Hilflos gegenüber steigendem Energiebedarf

Krischers grüne Bundestagsfraktion hatte sich kurz zuvor per Anfrage erkundigt, wie die Bundesregierung zu ihrem Ziel stehe, den Gesamt-Energieverbrauch von 2010 bis 2020 um 20 Prozent zu senken, gemessen an 2008.

Dem Ziel stehe die Realität im Weg, rechnen die Grünen darin vor: In den letzten drei Jahren sei der Kraftstoffverbrauch im Straßenverkehr um sechs Prozent gestiegen, der Flugverkehr sogar um zehn Prozent. 2017 habe der Stromverbrauch im Land bei fast 600 Milliarden Kilowattstunden gelegen, rund zehn Milliarden mehr als 2014.

Beim Energiebedarf im Luftverkehr schaue die Regierung wie das Kaninchen auf die Schlange, kritisiert die klimapolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion Lisa Badum. "Die Energiesteuerbefreiung für Kerosin im kommerziellen Flugverkehr gehört abgeschafft, genauso wie eine ökologisch ausgestaltete Abgabe auf Flugtickets sinnvoll wäre, die allerdings gerecht nach Economy- und Business-Class unterscheiden und auch den Frachtverkehr mit einschließen muss", verlangt sie.

In der Antwort an die Grünen räumt die Bundesregierung ein, dass der Energieverbrauch in Deutschland, statt zu sinken, zuletzt deutlich angestiegen ist – von rund 9.000 Petajoule im Jahr 2014 auf etwa 9.380 Petajoule 2016, ein Plus von mehr als vier Prozent. Endgültige Verbrauchszahlen für 2017 habe man aber noch nicht und auch eine "aktualisierte Schätzung der Bundesregierung zur Entwicklung der Treibhausgasemissionen", so die Antwort, "liegt nicht vor".

Im Weiteren lässt die Regierung aber durchblicken, dass sie bis 2020 mit einer weiteren Zunahme des Energieverbrauchs und dementsprechend der CO2-Emissionen rechnet. So gehe aus dem sogenannten Projektionsbericht 2017 für Deutschland hervor, dass ein höheres Wirtschaftswachstum bis 2020 "auch zu höheren Emissionen führen würde, ursächlich verbunden mit einer höheren Endenergienachfrage", heißt es in der Antwort an die Grünen.

Der Projektionsbericht selbst nimmt für 2020 einen Energieverbrauch von nur 9.086 Petajoule an, also auf dem Niveau von 2014. Die Bundesregierung mache sich, ist in der Antwort zu lesen, die Ergebnisse des Projektionsberichts aber "nicht zu eigen".

Grüne wollen Wachstum und Treibhausgase entkoppeln

Klimapolitisch wiederholt die Regierung in der Antwort – ein Vierteljahr nach Abschluss des Koalitionsvertrages – diesen nahezu wortgleich: So sollten das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 und der Klimaschutzplan 2050 "vollständig umgesetzt und Ergänzungen vorgenommen werden, um die Handlungslücke zur Erreichung des Klimaschutzziels 2020 so schnell wie möglich zu schließen. Das Minderungsziel 2030 soll auf jeden Fall erreicht werden".

Für die im Koalitionsvertrag für 2030 zugesagten 65 Prozent Erneuerbaren-Anteil am Strommarkt formuliert die Bundesregierung jedoch neuerdings eine Vorbedingung, die bei einer beschleunigten Energiewende erfüllt werden müsse, nämlich ein "weiterer zielstrebiger, effizienter, netzsynchroner und zunehmend marktorientierter Ausbau" der Erneuerbaren.

Für Lisa Badum gilt es vor allem, die fatale Logik "Wirtschaftswachstum gleich höherer Treibhausgasausstoß" zu durchbrechen. Eine Chance ist für die grüne Politikerin der durch die Bundesregierung behinderte Boom der Erneuerbaren.

"Ein Wachstum in solchen Branchen bedeutet eben nicht notwendigerweise auch höhere Treibhausgasemissionen", betont Badum gegenüber Klimareporter°. Auch bei einer steigenden Wirtschaftsleistung in "klassischen" Bereichen könne durch eine andere Verkehrs- und Agrarpolitik oder durch innovative Produktionsprozesse viel Treibhausgas eingespart werden.

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