Menschenmenge im Gegenlicht
Die Klimakrise wird zur Gesundheitskrise. (Foto: Mario Purišić/​Unsplash)

Dass durch den Klimawandel nicht nur Inseln untergehen sowie Hitzewellen, Dürren, Überflutungen und Waldbrände zunehmen, sondern auch die menschliche Gesundheit leidet – diese Erkenntnis beginnt sich langsam durchzusetzen.

Vor zwei Wochen warnten Ärzte, Wissenschaftler und Politiker auf dem Weltgesundheitsgipfel in Berlin, die Erderhitzung sei "eine der größten gesundheitspolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts".

Am heutigen Donnerstag nun veröffentlichte die renommierte medizinische Fachzeitschrift The Lancet ihren diesjährigen Forschungsbericht zum Thema Gesundheit und Klimawandel. An der Studie, die den aktuellen Wissensstand wiedergibt, waren 120 Experten von 35 Institutionen beteiligt, darunter die Weltgesundheitsorganisation, die Weltorganisation für Meteorologie und die Weltbank.

"Der Klimawandel stellt ein hohes und inakzeptables Risiko für die gegenwärtige und zukünftige Gesundheit der Bevölkerung auf der ganzen Welt dar", heißt es in dem Bericht. Es handle sich um "eine nie dagewesene Herausforderung". Diese verlange "eine nie dagewesene Reaktion" in puncto Schutz und Vorsorge.

Auswirkungen auf Kinder

Anhand von 41 Indikatoren machen die Autoren und Autorinnen der Studie die Gesundheitsrisiken der Klimakrise begreiflich. Ein Schwerpunkt sind dabei die Auswirkungen des Klimawandels auf Kinder. Einige der wichtigsten Ergebnisse:

  • Werden die Treibhausgasemissionen nicht gesenkt, werden Kinder, die heute geboren werden, an ihrem 71. Geburtstag  in einer um durchschnittlich vier Grad wärmeren Welt leben – und ihr ganzes Leben lang "tief greifend vom Klimawandel beeinträchtigt werden".
  • Wenn die Paris-Ziele dagegen eingehalten und die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad begrenzt werden kann, könnten Kinder, die heute geboren werden, an ihrem 31. Geburtstag in einer klimaneutralen – und somit deutlich gesünderen – Welt leben.

Ausbreitung von Infektionskrankheiten

  • Steigende Temperaturen ermöglichen die Ausbreitung von Mücken und Zecken, die Infektionskrankheiten übertragen. In diesem Jahr beispielsweise infizierten sich in Deutschland zum ersten Mal Menschen mit dem West-Nil-Virus.
  • Auch das Dengue-Fieber breitet sich weiter nach Norden aus. Neun der zehn klimatisch günstigsten Jahre für die Übertragung der gefährlichen tropischen Viruserkrankung lagen in diesem Jahrtausend. Fast die halbe Weltbevölkerung muss inzwischen mit dem Risiko leben, an Dengue zu erkranken.
  • Seit den 1980er Jahren hat sich aufgrund höherer Wassertemperaturen die Anzahl der Tage verdoppelt, an denen man sich beim Schwimmen in der Ostsee mit Vibrionen anstecken kann, zu denen auch der Cholera-Erreger gehört. 2018 waren es 107 Tage. Dieses Jahr sind zwei Personen in Deutschland an Vibrionen-Infekten gestorben.
  • Auch Allergien nehmen zu, da sich die Blütezeiten von Pflanzen bei höheren Temperaturen verlängern.

Risiken durch Luftverschmutzung

  • Ein heute geborenes Kind muss in seinem Leben mehr "vergiftete" Luft einatmen, falls die Nutzung fossiler Energien nicht heruntergefahren wird. Verschmutzte Luft ist ein enormes Gesundheitsrisiko. Sie beeinträchtigt die Funktion der Lunge, verschlimmert Asthma und macht Herzinfarkte oder Schlaganfälle wahrscheinlicher.
  • Die Belastung mit Feinstaub trug im Jahr 2016 zu über 44.800 frühzeitigen Todesfällen allein in Deutschland bei, davon waren 8.000 auf die Verbrennung von Kohle zurückzuführen.
  • 2016 verlor Deutschland durch Feinstaub 20 Milliarden Euro – durch ökonomische Einbußen sowie durch Gesundheitskosten.

Ernährung gefährdet

  • Steigende Temperaturen mindern die Ernteerträge, Dürren führen zu Ernteausfällen, sodass die Ernährungssicherheit in Gefahr ist.
  • Besonders bei Kindern sind die gesundheitlichen Folgen drastisch, da ihr Körper und ihr Immunsystem sich noch entwickeln. Verringertes Wachstum, ein geschwächtes Abwehrsystem gegenüber Krankheitserregern, Entwicklungsstörungen sowie psychische Probleme können die Folge sein.

Herzinfarkte durch Hitzewellen

  • "Die Auswirkungen von Hitze sind viel weitreichender, als dies gegenwärtig durch Studien dokumentiert ist", sagt die Epidemiologin Annette Peters vom Helmholtz-Zentrum München, einem der Kooperationspartner des Lancet-Countdown-Projekts. In einer Studie konnte Peters für die Region Augsburg zeigen, dass Hitze-Herzinfarkte erst ab der Jahrtausendwende auftraten.
  • Im Jahr 2018 waren 13 Millionen mehr Menschen über 65 Jahren in Deutschland Hitzewellen ausgesetzt als im Schnitt der Jahre 1986 bis 2005 – und auch sechs Millionen mehr als noch 2015.
  • Weltweit waren 2018 mehr Menschen über 65 Hitzewellen ausgesetzt als je zuvor, nämlich insgesamt 220 Millionen.
  • 2018 gingen durch Hitze weltweit 45 Milliarden potenzielle Arbeitsstunden verloren.
  • Die Hitzesterblichkeit konnte weltweit zwar durch Klimaanlagen um 23 Prozent gesenkt werden. Allerdings verschlimmern Klimaanlagen das Problem: 2016 machten sie bereits zehn Prozent des globalen Stromverbrauchs aus, 2050 werden es laut Internationaler Energieagentur IEA bereits 16 Prozent sein. Auch Feinstaub aus Klimaanlagen ist ein Problem: An den Folgen sind 2016 in der EU statistisch gesehen etwa 1.000 Menschen vorzeitig gestorben.

Kosten von Waldbränden

  • In 77 Prozent aller Länder haben zwischen 2015 und 2018 im Schnitt mehr Menschen Waldbrände erlebt als zwischen 2001 und 2004.
  • Die ökonomischen Kosten von Waldbränden sind 48-mal so hoch wie die von Überflutungen.

Deutschland ist nicht gut vorbereitet

Somit droht der Klimawandel viele der Errungenschaften des Gesundheitswesens zunichtezumachen, warnen die Studienautoren, etwa die Bekämpfung von Unterernährung sowie die Eindämmung ansteckender Krankheiten.

Klimaschutz ist deshalb auch Gesundheitsschutz, so das Fazit. Oder anders gesagt: Klimaschutzmaßnahmen gehen mit vielen gesundheitlichen Vorteilen einher.

Weniger fossile Brennstoffe zu verfeuern senkt die Luftverschmutzung. Die Förderung des Radverkehrs sorgt für mehr Bewegung und kann so Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder auch Diabetes verringern helfen.

Erstmals gibt es neben dem globalen Lancet-Bericht auch Empfehlungen für Deutschland, die von der Bundesärztekammer, der Charité, dem Helmholtz-Zentrum München, dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sowie der Hertie School zusammengestellt wurden.

Demnach müsste Deutschland deutlich mehr Vorsorge treffen, etwa über Hitzeaktionspläne. Dafür müssten "die nötigen personellen und räumlichen Ressourcen geschaffen und auch langfristig vorgehalten" werden, fordert der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt.

Zudem müsste auch der deutsche Gesundheitssektor seinen CO2-Fußabdruck senken. Dieser liegt laut Sabine Gabrysch vom PIK heute schon bei fünf Prozent der deutschen Emissionen.

Und zum Dritten sei mehr Bildung und Aufklärung in den Gesundheitsberufen nötig. Der Klimawandel und "Planetary Health" – also die globale Gesundheit – müssten in die Lehrpläne aller Gesundheits- und medizinischen Fakultäten sowie in die Aus-, Fort- und Weiterbildung aller Gesundheitsberufe einbezogen werden.

Mit dem Thema Klimawandel  will sich im Mai 2020 auch der nächste Deutsche Ärztetag befassen.

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