Politprominenz aus Bund, Land Niedersachsen und der Stadt sowie der Chef von Uniper stehen hinter einem Röhrenstück mit der Aufschrift: Energiedrehscheibe Wilhelmshaven.
Klimaschutz in der zweiten Reihe: Eröffnung des LNG-Terminals Wilhelmshaven mit Christian Lindner, Olaf Scholz, Robert Habeck und Politprominenz aus Niedersachsen. (Foto: Heide Pinkall/​Shutterstock)

Klimareporter°: Herr Latif, der Weltklimarat hält daran fest, dass das 1,5‑Grad-Limit der Erderwärmung noch gehalten werden kann. Wie realistisch ist das?

Mojib Latif: Das ist ein Selbstbetrug. Ich halte die Einhaltung der 1,5‑Grad-Marke für praktisch ausgeschlossen, weil die weltweiten CO2-Emissionen immer noch steigen, und nur diese sind für die anthropogene Klimaentwicklung relevant.

Es ist irrelevant, wo das CO2 ausgestoßen wird. Das Gas verweilt für fast eine Ewigkeit in der Atmosphäre, weswegen es sich um den Erdball verteilen kann.

Gerade die Anstrengungen der größten Emittenten sind völlig unzureichend. Im Übrigen ist kein Land auf 1,5‑Grad-Kurs.

Was müsste geschehen, um wenigstens unter zwei Grad zu bleiben?

Der weltweite CO2-Ausstoß müsste sofort beginnen deutlich zu sinken, sich um etwa 80 Prozent bis 2050 verringern und dann auf null bis 2100. Darüber hinaus müsste man noch nachhaltige Wege finden, CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen.

Im Moment steuert die Welt auf eine globale Erwärmung von etwa drei Grad zu, legt man die bisher beschlossenen Maßnahmen zugrunde.

UN-Generalsekretär António Guterres hat vor nicht langer Zeit gesagt: "Wir sind auf dem Weg zur Klimahölle." Warum verhallen solche Appelle, selbst wenn sie von Chef der Vereinten Nationen kommen?

Die Menschheit steht vor einer neuen Herausforderung: Alle Länder müssen gemeinsam handeln. Es dominieren jedoch die kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen der Länder. Klimaschutz ist angeblich zu teuer. Deswegen ist er in vielen Ländern so etwas wie "nice to have" und kann angeblich warten. Der Klimawandel wird schlicht nicht ernst genommen.

Zuletzt hat der Ukraine-Krieg die Aufmerksamkeit vom Thema Klimawandel abgezogen. Was sind die Folgen?

Der Krieg hat den Fokus wieder auf die konventionellen Energien gelenkt, auf die Atomkraft und die fossilen Energien. Die erneuerbaren Energien haben es im Moment schwer, wie immer in Krisenzeiten.

Es gibt eine bestimmte Menge CO2, die die Menschen ausstoßen dürfen, um eine definierte globale Erwärmung nicht zu überschreiten. Das Budget für die Einhaltung der Zwei-Grad-Marke ist schon zu großen Teilen aufgebraucht. Das Zeitfenster schließt sich, die Länder müssen endlich couragiert handeln.

Was muss geschehen, damit der aktuelle Boom von Kohle und Flüssigerdgas nur kurz ausfällt, der auch uns in Deutschland von den CO2-Zielen wegführt?

Die Subventionen für die fossilen Energien müssen schleunigst abgebaut werden. Es kann nicht sein, dass wir Umweltzerstörung subventionieren. Zudem sollte der Kohleausstieg auch in Ostdeutschland schon 2030 erfolgen. Das wäre ein wichtiges Signal.

Gleichzeitig muss es einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien geben, Speichermöglichkeiten etwa für Wasserstoff müssen erweitert werden und der Netzausbau muss schneller vorankommen. Und das alles mit einer ähnlichen Geschwindigkeit, mit der man die LNG-Terminals gebaut hat.

Auf wen setzen Sie international, um die Klimawende noch zu schaffen? Joe Biden? Ursula von der Leyen? Xi Jinping?

Porträt von Mojib Latif
Foto: GEOMAR

Mojib Latif

ist Professor für Ozean­zirkulation und Klima­dynamik am Helmholtz-Zentrum für Ozean­forschung Kiel (Geomar) und an der Universität Kiel, außerdem Präsident der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome und Vorstands­vorsitzender des Deutschen Klima-Konsortiums. Sein jüngstes Buch hat den Titel "Countdown. Unsere Zeit läuft ab – was wir der Klimakatastrophe noch entgegensetzen können".

 

Joe Biden hat zu Beginn seiner Amtszeit ehrgeizige Ziele formuliert. Es bleibt abzuwarten, was er davon durchsetzen kann und ob die Republikaner nach der nächsten Wahl an die Macht kommen werden, was für den Klimaschutz ein Desaster wäre.

Ursula von der Leyen hatte mit dem European Green Deal eine gute Idee. Der wird aber nach und nach verwässert.

Auf jeden Fall setze ich nicht auf Xi Jinping. China ist der größte Verursacher von CO2 mit einem weltweiten Anteil von ungefähr 30 Prozent und will den Höhepunkt seiner Emissionen erst 2030 erreichen.

Außerdem sollte man diktatorischen Regimen nicht vertrauen. China wird beim Klimaschutz nur mitmachen, wenn es wirtschaftlichen Druck durch die Länder verspürt, die es mit dem Klimaschutz erst meinen.

Und wie sieht es in Deutschland aus? Die Ampel-Bundesregierung schafft bisher ihre Klimaziele nicht ...

Deutschland muss aufpassen, dass es nicht vom Vorreiter zum Bremser wird. Es wäre ein verheerendes Signal an den Rest der Welt, wenn Deutschland seine Klimaziele verfehlen würde. Dann wäre die Glaubwürdigkeit des Landes auf der internationalen Bühne verspielt.

Müsste Kanzler Olaf Scholz nicht ein Machtwort gegen Bundesverkehrsminister Volker Wissing sprechen, der kaum etwas tut, um die CO2-Ziele im Verkehr zu erreichen?

Es wäre schade, wenn das notwendig sein sollte. Ein Grundproblem der Politik besteht aus meiner Sicht darin, dass die Interessen der Parteien im Vordergrund stehen und nicht die Interessen des Landes.

Noch einmal zurück zum globalen Thema. Viele Fachleute setzen auf Technologien, mit denen man überschüssiges CO2 wieder aus der Atmosphäre holen kann. Das soll die Temperaturen wieder senken. Welches Potenzial steckt darin?

Das würde meiner Meinung nach viel zu spät kommen. Man müsste eine neue Infrastruktur aufbauen, und das mit einem ungeheuren finanziellen Aufwand. Ob das dann wirklich funktioniert, um global einen nennenswerten Effekt zu erzielen, kann man heute noch gar nicht absehen.

Bleibt sonst nur noch das Geoengineering, um die Erde abzukühlen? Schwefel in die Atmosphäre, gigantische Sonnensegel, Düngung von Algen ...

Das wäre der helle Wahnsinn! Das Erdsystem ist so komplex, dass wir es nicht gut genug verstehen. Die negativen Folgen könnten unabsehbar sein.

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