Klimareporter°: Herr Rogelj, am Montag ist der erste Teil des neuen Weltklimaberichts erschienen. Sie verantworten dort das Kapitel über CO2-Budgets. Warum ist es möglich, ein CO2-Budget zu berechnen?
Joeri Rogelj: Wir wissen schon lange, dass die globale Erwärmung linear mit der Menge der kumulierten Treibhausgasemissionen zunimmt. Jetzt wissen wir auch, was passiert, wenn wir die Emissionen stoppen. In diesem Fall stoppt – mit einer bestimmten Verzögerung – auch die Erwärmung. Damit können wir ausrechnen, wie viel CO2 wir noch emittieren dürfen, wenn ein bestimmtes Temperaturziel eingehalten werden soll.
Das CO2-Budget wurde vor drei Jahren das letzte Mal berechnet, im Rahmen des IPCC-Berichts zum 1,5-Grad-Ziel. Was hat sich seitdem verändert?
Die CO2-Budgets sind ungefähr gleich geblieben. Natürlich haben sich einzelne Zahlen ein wenig verändert – weil wir daran gearbeitet haben. Obwohl wir jeden Faktor von Grund auf neu überarbeitet haben, kommen wir fast zum selben Resultat.
Die gute Nachricht ist: Unser wissenschaftliches Verständnis ist robust. Und die schlechte ist: Diese Budgets waren schon vor drei Jahren sehr klein und mit den Emissionen seither haben wir einen weiteren großen Teil der Budgets verbraucht.
Vor drei Jahren blieb eine Klimahypothek von 100 Milliarden Tonnen CO2 unberücksichtigt. Sie stammte aus Rückkopplungseffekten des Erdsystems wie dem Tauen des Permafrostbodens. Um ein bestimmtes Temperaturziel zu erreichen, hätte man diese Menge an CO2 der Atmosphäre zusätzlich entziehen müssen. Gibt es diese Hypothek immer noch?
Nein, diese Hypothek gibt es nicht mehr. Wir haben alle Rückkopplungseffekte überprüft, und diese sind nun in den neuen CO2-Budgets enthalten. Zum Teil gleichen sich die Effekte gegenseitig aus.
Für die verschiedenen Temperaturziele geben Sie an, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie erreicht werden, wenn noch eine bestimmte Menge CO2 emittiert wird.
Wahrscheinlichkeit, das Temperaturziel einzuhalten | Budget für 1,5-Grad-Ziel (Gt CO2) |
Budget für 1,8-Grad-Ziel (Gt CO2) |
Budget für Zwei-Grad-Ziel (Gt CO2) |
17 Prozent | 900 | 1.450 | 2.300 |
33 Prozent | 650 | 1.050 | 1.700 |
50 Prozent | 500 | 850 | 1.350 |
67 Prozent | 400 | 700 | 1.150 |
83 Prozent | 300 | 550 | 900 |
Es ist wichtig, das zu verstehen. Wenn man das Budget für 1,5 Grad mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent nimmt, dann heißt das: In einem von zwei Fällen erreicht man das Ziel und in einem von zwei Fällen ist die Erwärmung stärker. Das könnte nur wenig sein, das könnte aber auch nennenswert viel mehr sein.
Wann müssen wir klimaneutral sein, um die Erwärmung bei 1,5 Grad zu stoppen?
Wenn man die Emissionen linear reduziert, dann haben wir 20 Jahre Zeit, um die Erwärmung mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 Prozent bei 1,5 Grad zu stoppen. Mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit sind es 25 Jahre. Die Emissionen müssen also schon in diesem Jahrzehnt deutlich sinken. Jedes Jahr des Abwartens reduziert unser CO2-Budget massiv.
Was ist mit den anderen Treibhausgasen wie Methan oder Lachgas?
Wir gehen davon aus, dass auch die Emissionen dieser Gase sehr schnell sinken. Es gibt sehr günstige Methoden, um etwa die Methanemissionen zu reduzieren. Sollten diese Emissionen aber nicht so schnell sinken wie angenommen, dann muss man von den CO2-Budgets bis zu 220 Milliarden Tonnen abziehen.
Wenn die CO2-Emissionen sinken, gibt es auch weniger Luftverschmutzung. Diese kühlt bisher den Planeten ...
Diese Budgets berücksichtigen, dass der kühlende Effekt von Aerosolen verschwindet, wenn wir die CO2-Emissionen reduzieren.
Gehen diese Budgets davon aus, dass es in Zukunft negative Emissionen geben wird?
Nein, diese Budgets gehen davon aus, dass man bei null Emissionen bleibt, wenn man diesen Punkt einmal erreicht hat. Wenn dann aber die Erwärmung unerwünscht hoch ist, könnten wir überlegen, die Erwärmung langsam zu reduzieren. Aber das ist ein zweiter Schritt. Der erste ist, zu netto null Emissionen zu kommen.
Ist es möglich, das globale CO2-Budget auf die einzelnen Länder zu verteilen?
Das ist möglich, aber das ist keine exakte Wissenschaft. Dazu muss man wertebasierte Entscheidungen treffen: Welches Temperaturniveau will man mit welcher Wahrscheinlichkeit erreichen? Das entscheiden nicht wir Wissenschaftler, und darum haben wir eine Tabelle mit den verschiedenen Optionen gemacht.
Joeri Rogelj
ist Forschungsdirektor am Grantham Institute der Universität Imperial College London. Zuvor forschte der belgische Klimawissenschaftler unter anderem am Potsdam-Institut und an der ETH Zürich. Rogelj war als Leitautor für das Kapitel über CO2-Budgets im neuen IPCC-Bericht verantwortlich.
Wenn man nun eines der Globalbudgets auf die Länder verteilen will, muss man erneut wertebasierte Entscheidungen treffen. Es gibt viele verschiedene Arten der Verteilung, aber was ist fair?
Eine Option ist, dass man die Budgets so verteilt, dass jeder Mensch das gleiche CO2-Budget hat. Man kann aber auch die historischen Emissionen mitberücksichtigen. Länder, die bereits viel emittiert haben, bekommen weniger.
Wenn diese ethischen Fragen beantwortet sind, dann können wir Wissenschaftler die Länderbudgets berechnen.
Sie waren auch bei den Verhandlungen über die Zusammenfassung für Entscheidungsträger dabei. Was wurde da eigentlich verhandelt? Was waren die kontroversen Punkte?
Umstritten waren Begriffe, die auch in der Politik oder bei den UN-Klimaverhandlungen benutzt werden und die in diesen Zusammenhängen andere Bedeutungen haben. Das sind Begriffe wie "netto null", "Senken" oder die exakte Bedeutung des Paris-Abkommens.
Hier sind die Delegationen natürlich sehr empfindlich, weil sie nicht nur an die Wissenschaft denken, sondern auch berücksichtigen, wie diese Begriffe benutzt oder missbraucht werden.
Das sind die Themen, bei denen man am längsten braucht, um Formulierungen zu finden, die neutral sind und den Wissensstand wiedergeben, ohne vorwegzunehmen, was politisch getan werden muss.