Billig, zuverlässig und bald auch CO2-neutral. So hat die US-Frackingindustrie bei einem Besuch in Deutschland im Juni ihr Flüssigerdgas angepriesen. Gekommen war auch Toby Rice, Vorstandschef von EQT, dem größten Erdgasförderer der USA. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Pennsylvania und ist vor allem im Appalachenbecken aktiv, der größten Fracking-Region des Landes.
Wer die EQT-Strategie mit dem Motto "Amerikanisches LNG entfesseln" unterstützen will, kann bereits Basecaps mit Aufschriften wie "Haynesville für Hamburg", "Barnett für Berlin" oder "Marcellus statt Moskau" erwerben – alles Anspielungen auf die wichtigsten Schiefergasregionen der USA und die Alternative zu russischem Erdgas, die sie für Deutschland bieten sollen.
EQT behauptet, seine Strategie sei nicht nur ein Notersatz für russisches Gas, sondern sogar "die größte grüne Initiative auf dem Planeten", indem Kohle weltweit durch amerikanisches Erdgas ersetzt wird.
Toby Rice glaubt, dass Erdgas die erste Netto-Null-Energielösung sein wird. Das gab der EQT-Chef kürzlich auf einem Webinar des deutschen Lobbyverbands Zukunft Gas zu verstehen. Dafür sei man bereits auf einem guten Weg.
Deutschlands Klimaneutralitätsziel für 2045 mache ihm keine Sorgen, sagte Rice auf der Veranstaltung. Ihn beunruhige nur, wenn Leute dieses Ziel benutzten, um zu verhindern, dass alle Optionen zur CO2-Minderung zur Verfügung stehen.
Mit CCS zum "fast klimaneutralen" LNG
Wissenschaftler:innen bezweifeln jedoch, dass die Treibhausgas-Emissionen von LNG wesentlich geringer als die von Steinkohle sind. Zwar entsteht beim Verbrennen von Erdgas nur etwa halb so viel CO2 wie bei Steinkohle, aber die Methan-Leckagen entlang der LNG-Lieferkette und der energieintensive Gasverflüssigungsprozess tragen ganz erheblich zur Belastung des Klimas bei.
Eine Studie der britischen North Sea Transition Authority aus dem Jahr 2020 weist US-Flüssigerdgas als die klimaschädlichste Energiequelle Großbritanniens aus, wenn die CO2- und Methanfreisetzungen entlang der Lieferkette berücksichtigt werden. Die Emissionsintensität von US-LNG wird in der Studie etwa sieben Mal höher angegeben als die von norwegischem Erdgas, das per Pipeline geliefert wird.
Toby Rice wirbt gern damit, dass EQT die Methanemissionen seiner Gasfelder in weniger als zwei Jahren um 70 Prozent reduziert hat. Seine Lösung für die dann bei der Verbrennung des LNG entstehenden Emissionen ist die CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) mit dem sogenannten Oxyfuel-Verfahren, insbesondere durch das Unternehmen NET Power seines Bruders Derek Rice.
NET Power plant, in Texas bis 2026 das weltweit erste Großkraftwerk mit "nahezu null Emissionen" in Betrieb zu nehmen. Auch in Europa vermehren sich die CCS-Projekte, darunter fünf in Deutschland, und stehen zur Förderung durch die Europäische Kommission offen.
Aus Gazprom Germania wird ein LNG-Importeur
In Deutschland werden mit LNG langfristige Fakten geschaffen. So unterzeichnete das deutsche Gasunternehmen Securing Energy for Europe (Sefe) am 22. Juni einen 20-Jahres-Vertrag über Abnahme von 2,25 Millionen Tonnen LNG vom US-Exporteur Venture Global. Das sind etwa drei Milliarden Kubikmeter Erdgas.
Die Mengen sollen aus dem im Bau befindlichen Exportterminal CP2 im Südwesten von Louisiana kommen, das 2026 in Betrieb gehen soll. Damit würde Sefe auch nach dem für 2043 gesetzlich vorgeschriebenen Ausstieg Deutschlands aus den LNG-Importen weiterhin Flüssigerdgas von Venture Global beziehen.
Sefe ist die frühere Gazprom Germania, die nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im vergangenen Jahr von der Bundesnetzagentur übernommen und mit neuen Chefs ausgestattet wurde. Der jüngste Schritt des Unternehmens in Richtung US-Flüssigerdgas steht sinnbildlich für die Verlagerung der deutschen Erdgasversorgung nach Westen.
Der deutsche Gasmarkt ist seit Langem ein begehrtes Ziel der US-amerikanischen LNG-Industrie. Schon in der Regierungszeit von Donald Trump wurde die Lobbyarbeit vorangetrieben, um den ersten LNG-Hafen in Deutschland zu bauen.
Das grünste LNG-Terminal der Welt
Die Planungen für ein LNG-Importterminal in Brunsbüttel begannen im Jahr 2018, unterstützt vom ehemaligen Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) als Teil eines diplomatischen Arrangements mit den USA. 2019 verhängte die Trump-Administration schließlich Sanktionen gegen die Pipeline Nord Stream 2.
Mit dem Zugang ehemaliger Gazprom-Kunden zu amerikanischem LNG ab 2022 wurden die Finanzierung und der Bau neuer LNG-Terminalprojekte von Texas bis Pennsylvania gefördert. Letztes Jahr richtete das Parlament des Bundesstaates Pennsylvania eine Arbeitsgruppe ein, die die Möglichkeit des Exports von LNG über den Hafen von Philadelphia untersuchen sollte.
Im Arbeitsauftrag für die Gruppe heißt es wörtlich, dass das Projekt ins Leben gerufen werden soll, "um die Möglichkeit zu haben, Flüssigerdgas in andere Länder zu exportieren, um deren Abhängigkeit von russischer Energie zu verringern".
Schon 2015 hatte das in New York ansässige Unternehmen Penn America Energy damit begonnen, für ein LNG-Exportterminal am Delaware River in Chester (Pennsylvania) zu werben. Die Bevölkerung in der Vorstadt von Philadelphia ahnte nichts von den Plänen, bis lokale Medien die mehrjährigen Versuche des Unternehmens aufdeckten, Unterstützung bei der Regierung von Pennsylvania und den Gewerkschaften der Region zu gewinnen.
Penn America Energy gibt an, dass die Anlage "zu 99,84 Prozent CO2-neutral" sein werde, da die Verflüssigung mit erneuerbarem Strom laufe. Zudem liege die Anlage in der Nähe des Marcellus Shale, des Vorkommens mit dem "saubersten Erdgas der Welt".
Für andere hingegen ist das Fracking im Marcellus Shale eine Quelle der Umweltverschmutzung. Laut einer aktuellen Studie der Yale School of Public Health haben Kinder, die in der Nähe von Fracking-Bohrungen in Pennsylvania aufwachsen, ein zwei- bis dreimal höheres Risiko, an einer Form von Kinderleukämie zu erkranken.
"Umweltrassismus" und Sicherheitsbedenken
Ein führender Unterstützer des Penn-America-Projekts ist EQT, dessen Vizepräsident sich auf einer öffentlichen Veranstaltung im vergangenen Oktober für den Bau eines LNG-Exportterminals in Pennsylvania aussprach. Die Fracking-Industrie in Pennsylvania strebt seit Langem ein eigenes großes LNG-Exportterminal im Nordosten der USA an.
Eine geplante LNG-Exportanlage in New Jersey traf auf den Widerstand von Umweltgruppen in der Region, und die Bundesbehörden versetzten dem Projekt einen schweren Schlag, als sie den beantragten Bahntransport von LNG zur Anlage wegen Sicherheitsbedenken ablehnten. Der aktuelle Vorschlag für den Hafen von Philadelphia und besonders für Chester würde die Anlage wahrscheinlich in die Nähe von Wohngebieten platzieren – dort wird bereits wegen Sicherheits- und Umweltbedenken protestiert.
Zulene Mayfield, eine Vertreterin der Gemeinde Chester, hält das Projekt für ein Beispiel von "Umweltrassismus" in der 33.000 Menschen zählenden Stadt, von denen rund 70 Prozent Afroamerikaner:innen sind. In Chester steht bereits eine der größten Müllverbrennungsanlagen des Landes, und Mayfield befürchtet, dass eine LNG-Anlage die Luftverschmutzung vor Ort noch verstärken würde.
"Es geht hier um einen Exportmarkt, einen Überseemarkt, und wir werden gebeten, in einer Todeszone zu leben und unser Leben zugunsten von Menschen im Ausland zu opfern, die durch den Betrieb dieser Anlage in keinerlei Weise gefährdet sind", hatte Mayfield schon im vergangenen September erklärt.
Hinzu kommt das Risiko eines Industrieunfalls. Letztes Jahr, am 8. Juni 2022, verursachte eine Gasexplosion im LNG-Exportterminal in Freeport (Texas) einen 140 Meter hohen Feuerball. Der Betrieb der Anlage wurde für neun Monate eingestellt.
Doch Pennsylvanias Fracking-Industrie hofft offenbar, die Bedenken vor Ort durch einen Exportboom und einige "grüne Versprechen" ausräumen zu können. Eine wenig bekannte gemeinsame Erklärung der Europäischen Kommission und der Trump-Regierung aus dem Jahr 2018 enthielt das verblüffende Ziel, "regelmäßige Konsultationen und Werbemaßnahmen mit Marktteilnehmern zu etablieren, um die USA zum wichtigsten Gaslieferanten für Europa zu machen".
Heute, fünf Jahre später, sind die USA bereits der zweitgrößte Erdgaslieferant der EU, und die US-amerikanische LNG-Industrie ist ihrem Traum so nah wie nie zuvor.
Edward Donnelly lebt und arbeitet als unabhängiger US-Journalist in Europa, wo er über globale Energie- und Umweltthemen schreibt. In diesem Beitrag berichtet er direkt aus Louisiana. Bisherige Beiträge des Autors in der Serie "Flüssigerdgas im Fokus":
- Was hinter dem globalen LNG-Boom steckt
- Deutsche Kreditgeber befeuern LNG-Boom
- G7-Länder importieren weiter russisches LNG
- Fracking-Gas strömt vermehrt nach Deutschland
- LNG als "Brücke" zu grünem Wasserstoff?
- US-Flüssiggas-Industrie sieht sich als Klimalösung für Deutschland