Klimareporter°: Frau Henneberger, im Juli waren Sie im Süden der USA, in den Bundesstaaten Texas und Louisiana. Sie haben Standorte von LNG-Exportterminals besucht, bestehende wie geplante. Was waren Ihre Eindrücke von diesen Terminals, über die Deutschland zunehmend Flüssigerdgas importiert?

Kathrin Henneberger: Zwei Eindrücke waren für mich besonders intensiv. Zum einen sind die Küste und die Ökosysteme aufgrund der Klimakrise, aber auch durch menschliche Eingriffe in der Vergangenheit dort in ihrer Gänze bedroht. Zum anderen hat mich sehr bewegt, erleben zu müssen, wie stark "Environmental Racism" – also Umweltungerechtigkeit und Umweltrassismus – weiterhin verankert ist und wie sehr historische Muster der Diskriminierung bis heute die Region prägen.

Besonders deutlich wurde das in Port Arthur, einem LNG-Standort im Südosten von Texas. Bei einem Rundgang standen wir plötzlich in einem schwarzen Wohnviertel – die großen, weißen Türme der Raffinerie standen direkt neben den Wohnhäusern. Da gab es kaum Abstand. Ich habe dann erfahren, dass zum Beispiel die Krebsrate in diesen Wohngebieten viel höher ist.

Rundgang durch Port Arthur: Gemeindechef John Beard zeigt Kathrin Henneberger die Raffinerie.

LNG gilt bei führenden Politiker:innen in Washington, Berlin und Brüssel als Win-win-Strategie für Wirtschaft und Klima. Wie sehen das die Menschen, mit denen Sie vor Ort gesprochen haben?

Die Menschen, mit denen ich dort gesprochen habe, sind sehr besorgt, dass durch zusätzliche industrielle Infrastruktur die heute schon starke Umweltverschmutzung noch mehr zunimmt. Befürchtet wird auch, dass durch weitere Industrie noch mehr Land an der Küste verloren geht.

Besonders eindrücklich war das in Plaquemines bei New Orleans zu erleben, wo ein neuer LNG-Port im Bau ist. Auch die Sorge vor der Gefährdung durch Wirbelstürme wurde immer wieder geäußert: Was passiert, wenn hier der nächste Hurrikan kommt?

Da geht es um langfristige Sicherheit. Die LNG-Lieferverträge, die deutsche Firmen in der Region abgeschlossen haben, laufen über 15 bis 20 Jahre. Die Frage ist aber: Wie wird es in 15 oder 20 Jahren dort überhaupt aussehen? Wird die Küste in der Form überhaupt noch existieren? Es gibt große Ängste vor neuen Umweltkatastrophen.

Vertreter:innen der indigenen Völker, mit denen ich mich dort ebenfalls getroffen habe, sagten mir in aller Deutlichkeit, sie hätten keine Lust mehr, ihr Land und ihre Gesundheit für unsere Interessen zu opfern. Das ist eine weitere starke Botschaft, die mir mitgegeben wurde.

Ihr Bundestags-Wahlkreis grenzt an den Tagebau Garzweiler, eine der größten Braunkohlegruben in Europa. Auch der dortige Betreiber RWE investiert momentan in LNG aus den USA. Werden diese Importe von Flüssigerdgas den Kohleausstieg in Deutschland beschleunigen?

Dass RWE in neue fossile Infrastruktur investiert – beispielsweise in den LNG-Export aus Port Arthur – zeigt, dass der Konzern nichts gelernt hat. In der Werbung behauptet RWE, jetzt auf erneuerbare Energien zu setzen. Wenn ein Konzern aber im Jahr 2023 noch in neue fossile Infrastruktur investiert, und das gerade in einer Region, wo es eine so starke sozial-rassistische Umweltungerechtigkeit gibt, dann ist das kein Versehen, sondern geschieht in vollem Bewusstsein.

Deutschland baut beim LNG gerade Überkapazitäten auf, sowohl bei den Importhäfen hierzulande als auch bei Exporthäfen in anderen Ländern. Zusammen mit den langfristigen Lieferverträgen bedeutet das einen neuen fossilen Lock-in.

Angesichts der Klimaziele und der Realität der Klimakrise ist das nicht zu rechtfertigen. In dieser Phase der Transformation zu einem vollständig erneuerbaren Energiesystem wäre es ein großer Fehler, eine Überkapazität an Gaskraftwerken und LNG-Terminals zu schaffen. Das würde dazu führen, dass Deutschland weiter einen fossilen Weg beschreitet, der große Ungerechtigkeiten mit sich bringt. Deswegen geht es jetzt darum, dass die unterschiedlichsten Regionen sich gemeinsam gegen die zerstörerische fossile Industrie stellen.

Wenn bereits abzusehen ist, dass Deutschland bei den LNG-Importen auf eine Überkapazität zusteuert, warum fließen dann jetzt so viele Investitionen in LNG?

Der erste große Fehler in der Regierungspolitik der letzten Jahrzehnte war, sich sehr bewusst in eine Importabhängigkeit von russischem Erdgas und auch russischer Kohle zu begeben.

Als der Angriffskrieg gegen die Ukraine begann, war natürlich sehr klar, dass wir nun unabhängig von Russland werden müssen. Das eröffnet aber auch wieder die Möglichkeit, neue Fehler zu begehen, indem Deutschland sich von der einen Abhängigkeit in eine andere hineinbegibt.

Foto: Stefan Kaminski

Kathrin Henneberger

ist Bundes­tags­abgeordnete der Grünen und Mitglied im Ausschuss für Klima und Energie und im Entwicklungs­ausschuss. Sie engagiert sich seit vielen Jahren in der Klima­gerechtigkeits­bewegung.

Die Lobbymacht der fossilen Industrie darf man nie unterschätzen. Gerade die Gaslobby ist global sehr aktiv. Das sehen wir auch immer bei den UN-Klimakonferenzen.

Wenn die fossile Industrie in etwas investiert, dann muss es für sie profitabel sein und es muss so lange wie möglich profitabel sein. Und solange niemand der Industrie Rahmenbedingungen vorgibt, die das einschränken, wird sie in der bisherigen Weise weitermachen.

In der Folge des Krieges gegen die Ukraine besteht gerade die große Gefahr, dass wir lediglich in eine Abhängigkeit anderer Art geraten, in einen neuen fossilen Lock-in, statt auf hundert Prozent Erneuerbare zu setzen. Dass eine wirkliche Energiewende anstrengend ist und dass es nicht einfach ist, Maßnahmen in allen Sektoren vom Strom über Gebäude bis zum Verkehr zu treffen, ist mir dabei klar.

Als eine von sieben Abgeordneten der Grünen-Fraktion haben Sie Anfang Juli im Bundestag gegen die Erweiterung des LNG-Beschleunigungsgesetzes gestimmt und damit faktisch gegen den Standort Rügen für ein großes LNG-Terminal. 99 Abgeordnete Ihrer Fraktion stimmten mit Ja, drei enthielten sich.

Neun Abgeordnete gaben ihre Stimmen nicht ab, darunter Robert Habeck. Der Wirtschaftsminister unterstützt den LNG-Standort Rügen aber ausdrücklich. Warum stimmten Sie mit Nein und wie steht es um die Debatte über die LNG-Infrastruktur innerhalb der Grünen?

Die Nein-Stimmen und Enthaltungen zeigen, dass es in der Fraktion eine große Skepsis gegenüber den Plänen der Bundesregierung gibt, solche Überkapazitäten bei den LNG-Terminals zu schaffen.

Bei den Grünen und auch innerhalb der Fraktion gibt es immer unterschiedliche Meinungen und Einschätzungen. Das ist ja auch etwas Gutes.

Die einen sagen, wir brauchen diese LNG-Infrastruktur aus energiewirtschaftlichen Gründen und für die Absicherung der Versorgung. Andere fragen sich, ob wir sie wirklich brauchen, und sagen, wir sollten den Aufbau von Überkapazitäten möglichst vermeiden.

Ich bin der Meinung, dass wir das Terminal auf Rügen nicht brauchen und dass es darüber hinaus auch keine weiteren geben sollte.

Deutschland importiert etwa 80 Prozent seines Flüssigerdgases aus den USA. Das Gas wird dort durch Fracking gewonnen ...

Ich lehne diese Fördermethode ab. Deutschland sollte zu einem klaren Nein gegenüber Fracking-Gas finden – aus Respekt gegenüber den Menschen und den Regionen, wo gefrackt wird und wo dies ganz massive Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit der Menschen hat.

Vor dem Siegel der Stadt New Orleans und einigen Fahnen stehen vier Frauen.
Kathrin Henneberger (2. v. l.) trifft Vertreterinnen des Bürgermeisteramts von New Orleans.

Bei Ihrer USA-Reise ging es nicht nur um LNG. Was haben Sie noch mitgenommen?

Ich war auch im Büro der Bürgermeisterin von New Orleans und habe mich dort mit Stadtplaner:innen getroffen. Es war sehr beeindruckend, fast schon beängstigend, zu sehen, wie stark sie ihre Stadt schon umplanen und versuchen, sie klimaresilienter zu machen – in dem Wissen, dass New Orleans durch extremer werdende Fluten äußerst gefährdet ist.

Ich habe auch sehr viel gelernt. Beeindruckt hat mich immer wieder, wie viele Menschen es in den USA gibt, die einfach so furchtlos für ihre Sache streiten. Das hat mir neuen Mut gegeben, dass wir es gemeinsam doch noch schaffen können, stärker zu sein als die fossile Industrie, und dass wir uns als globale Klimagerechtigkeitsbewegung nicht auseinanderdividieren lassen.

Grüner Wasserstoff wird als künftiger Ersatz für LNG in Deutschland vorgeschlagen, spätestens ab 2043. Ist das in Ihren Augen eine brauchbare Lösung und glauben Sie, dass die LNG-Importterminals in Deutschland in wasserstofftaugliche Anlagen umgewandelt werden könnten?

Es ist sehr wichtig, dass wir unsere Wirtschaft umbauen, von Erdgas zu Wasserstoff. Aber Wasserstoff ist sehr energieintensiv in der Herstellung, deswegen ist er sehr, sehr wertvoll.

Wir müssen uns also genau überlegen, wofür wir dann den Wasserstoff nutzen. Wir sollten ihn nicht dazu verwenden, um durch Verbrennung Energie herzustellen. Das ist sehr ineffizient. Wasserstoff sollten wir vor allem in industriellen Prozessen einsetzen, anstelle von fossilem Gas.

Die nächste Frage ist die nach den Importen: Woher kommt der Wasserstoff? Wie viel können wir selbst produzieren in Deutschland, in Europa? Wir sollten versuchen, den Wasserstoff so regional wie möglich zu produzieren, zum Beispiel durch Zusammenarbeit mit Dänemark aus Windkraft oder durch Zusammenarbeit mit Spanien aus Solarenergie. Denn je weiter der Wasserstoff transportiert werden muss, desto energieintensiver und auch gefährlicher ist das.

 

Und in weit entfernten Regionen, die dann möglicherweise Wasserstoff für unsere Bedürfnisse produzieren, stellt sich auch die Frage: Welche Wirkung hat das dort zum Beispiel auf Wasserverfügbarkeit und Wassersicherheit, und wie geht es eigentlich den Menschen vor Ort?

Wenn wir dann wieder aus Regionen Energie importieren, in der die Bevölkerung selbst gar keine Energiesicherheit hat, ist der Wasserstoffimport auch nur eine weitere Form von kolonialer Ausbeutung.

Es ist sehr wichtig, ein Bewusstsein für die Tatsache zu schaffen: Wir können nicht einfach die fossilen Ressourcen, die wir heute importieren, eins zu eins durch den Import von grünem Wasserstoff ersetzen. Das wird nicht funktionieren.

Welche alternativen Wege sehen Sie für die Zukunft?

Gute Investitionen sind zum Beispiel solche in dezentrale erneuerbare Energien und in bessere Netzverbindungen zwischen Nord- und Süddeutschland. Wichtig ist, dass wir unsere Energieproduktion insgesamt demokratisieren. Sie muss stärker demokratisch kontrolliert werden und direkt in den Händen der Menschen liegen, beispielsweise durch Energiegenossenschaften – nicht in den Händen einiger weniger großer Konzerne, die global agieren und so mächtig sind, dass sie nur sehr schwer kontrolliert werden können.

 

Edward Donnelly lebt und arbeitet als unabhängiger US-Journalist in Europa, wo er über globale Energie- und Umweltthemen schreibt. In diesem Beitrag berichtet er direkt aus Louisiana. Bisherige Beiträge des Autors in der Serie "Flüssigerdgas im Fokus":

  1. Was hinter dem globalen LNG-Boom steckt
  2. Deutsche Kreditgeber befeuern LNG-Boom
  3. G7-Länder importieren weiter russisches LNG
  4. Fracking-Gas strömt vermehrt nach Deutschland
  5. LNG als "Brücke" zu grünem Wasserstoff?
  6. US-Flüssiggas-Industrie sieht sich als Klimalösung für Deutschland
  7. "Beim Fracking-Gas sollten wir zu einem klaren Nein finden"