Mit LNG-Terminals und Pipelines baut Europa seine Erdgas-Infrastruktur aus. (Foto: Mariusz Burcz/​Shutterstock)

Das Geschäft mit dem Flüssigerdgas (LNG) boomt. Eine Flotte von über 700 Riesentankern ist auf den Ozeanen unterwegs und deckt einen immer größeren Teil des weltweiten Erdgasbedarfs ab.

Australien, die USA und der Golfstaat Katar sind weltweit führend in der Produktion, aber auch mehrere andere Exportstaaten beteiligen sich am Wettlauf um steigende Gewinne. 2021 überholte LNG den Anteil von Pipelinegas am weltweiten Gashandel und machte 51 Prozent des weltweit gehandelten Gasvolumens aus.

Im vergangenen Jahr erreichte der weltweite Flüssigerdgas-Handel ein Rekordvolumen von 397 Millionen Tonnen LNG, umgerechnet 540 Milliarden Kubikmeter Gas. Nach den neuesten Zahlen von "Our World in Data" aus dem Jahr 2021 deckt Erdgas insgesamt knapp 30 Prozent des weltweiten Bedarfs an fossiler Energie ab.

2022 sanken die russischen Erdgasimporte in die EU von 40 Prozent zu Jahresbeginn auf etwa 13 Prozent Ende November. Unterdessen machten die LNG-Importe aus allen Ländern außer Russland nach Angaben der Europäischen Kommission 26 Prozent der gesamten Erdgaseinfuhren der EU aus.

Die Einfuhren von Pipeline-Gas aus Russland sanken bis April 2023 auf unter neun Prozent, obwohl russisches LNG im Winter weiterhin in Rekordhöhe importiert wurde.

Infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine ändert sich die europäische Erdgasstrategie dramatisch: Die EU-Kommission und die nationalen Regierungen fördern den Bau neuer Exportterminals von Finnland bis Griechenland.

Deutschland macht zehn Milliarden locker

Deutschland führt diesen LNG-Ansturm an und hat bisher immerhin 9,7 Milliarden Euro für eine stetig wachsende Anzahl von Projekten zugesagt, die durch das im Mai 2022 vom Bundestag beschlossene LNG-Beschleunigungsgesetz unterstützt werden.

In Wilhelmshaven arbeitet bereits ein vom staatseigenen Energiekonzern Uniper betriebenes schwimmendes Terminal (Floating Storage and Regasification Unit Terminal, FSRU). Zwei weitere schwimmende LNG-Terminals in Brunsbüttel sowie in Lubmin bei Greifswald befinden sich gegenwärtig in ihrer Anlaufphase.

Langfristige Vorhaben wie das Megaprojekt des Energiekonzerns RWE vor der Küste Rügens lösen zunehmend Kontroversen aus und rufen Warnungen vor Überkapazitäten hervor.

Seit den ersten sowjetischen Gasgeschäften im Jahr 1968 wurde russisches Pipelinegas zu einem so integralen Bestandteil der europäischen Wirtschaft, dass das riesige Liefernetz zwei Jahrzehnte des Kalten Krieges und die Auflösung der Sowjetunion 1991 überstand. Anfang 2022 stammten etwa 55 Prozent des in Deutschland genutzten Gases aus Russland. Mittel- und osteuropäische Nachbarländer kamen sogar auf noch höhere Anteile an russischen Gasimporten.

Mit der Fertigstellung der Nord-Stream‑2-Pipeline im September 2021, die vom russischen Staatskonzern Gazprom und einem Konsortium deutscher, französischer, niederländischer und österreichischer Gasunternehmen finanziert wurde, schien ein langfristiges Engagement für die russische Importpartnerschaft gefestigt zu sein.

Obwohl LNG bereits seit den 1960er Jahren nach Europa importiert wird, waren es in der Regel nur eine Handvoll Länder, darunter Spanien, Frankreich und Großbritannien, die in den Brennstoff investierten.

Der größte Teil Europas blieb an die Pipeline-Verbindungen angeschlossen: mit der Sowjetunion und später Russland, mit Norwegen, mit dem einstigen großen Gasproduzenten Niederlande sowie mit Algerien.

Vom Pipeline-Gas zum LNG

Erst in den vergangenen zehn Jahren entwickelte sich die LNG-Industrie zunehmend als Alternative zum russischen Pipeline-Gas. 2014 förderte die Europäische Kommission in ihrer "Strategie für eine sichere europäische Energieversorgung" die Abkehr von russischen Erdgasimporten und investierte EU-Gelder in neue Terminalprojekte in Polen, Litauen, Kroatien, Zypern und Griechenland mit einer Gesamtsumme von etwa 650 Millionen Euro.

Ein großes, rotes Schiff mit weißem, kompaktem Aufbau läuft in den Hafen von Cartagena ein, im Vordergrund sind Gasspeicher zu sehen.
Februar 2022: Nach zweiwöchiger Fahrt von Corpus-Christi (Texas) liefert die "Traiano Knutsen" Flüssigerdgas am spanischen LNG-Terminal Cartagena aus. (Foto: Edward Donnelly)

Diese Terminals wurden bald zum Ziel für die Frachten der US-amerikanischen Exporteure. Diese hatten damit begonnen, LNG-Exportterminals an der US-Golfküste zu entwickeln, wobei sie auf frühere europäische Lieferverträge aufbauen können. 2016 entsandte das US-Unternehmen Cheniere seine erste LNG-Exportladung aus dem Golf von Mexiko nach Europa.

Die sinkende EU-Inlandsproduktion von Erdgas, etwa in den Niederlanden, sowie der zunehmende Wettbewerb auf dem Weltmarkt für LNG boten auch den europäischen Betreibern von Importterminals und Energieunternehmen zunehmende Geschäftsmöglichkeiten. Den USA folgte bald Russland als aufstrebender LNG-Exporteur in die Europäische Union.

2017 ließ das russische Exportunternehmen Nowatek den ersten Tanker aus dem neu errichteten Arctic-LNG-Terminal an der Nordküste Sibiriens auslaufen. Das belgische Unternehmen Fluxys und das spanische Unternehmen Naturgy unterzeichneten schon früh Verträge über russische LNG-Lieferungen und schufen damit einen neuen Marktzugang für russisches Gas in Westeuropa.

2018 schloss der damalige US-Präsident Donald Trump ein Abkommen mit der Europäischen Union, um die LNG-Importe aus den USA nach Europa zu erhöhen. Zu diesem Zeitpunkt begann Deutschland mit den ersten konkreten Planungen für ein LNG-Importterminal in Brunsbüttel.

Bereits Anfang 2022 hatten sich die Vereinigten Staaten mit 44 Prozent als größter LNG-Exporteur nach Europa durchgesetzt und damit das Emirat Katar überholt.

Die Energiepreise, die bereits 2021 in die Höhe schossen und das 2022 verschärft fortsetzten, führten in der EU zu einer weit verbreiteten Inflation. Angesichts des schwindenden Angebots an russischem Pipeline-Gas reisten deutsche Regierungsvertreter wie Olaf Scholz und Robert Habeck auf der Suche nach neuen Gasverträgen von Argentinien über Senegal und Kanada bis nach Katar – ein neuer ausschlaggebender Aspekt deutscher Außenpolitik.

Womöglich so klimaschädlich wie Kohle

Bei allen Debatten um LNG geht es nicht zuletzt um die Auswirkungen auf das globale Klima und die lokale Umwelt. Die überwiegende Mehrheit der in Deutschland ankommenden LNG-Ladungen stammt aus den USA, wo Fracking, angetrieben durch den Gasexportboom, in Rekordumfang betrieben wird. Deutsche Energieunternehmen und Banken finanzieren zurzeit einen Ausbau von LNG-Terminals an der US-Golfküste.

Klimaexpert:innen bezweifeln, dass LNG aus den USA sauberer ist als Kohle, berücksichtigt man die Emissionen entlang der Lieferkette.

Anwohner:innen in Deutschland befürchten eine Belastung der Umwelt in den Küstengebieten, unter anderem durch das Einleiten von Chlor aus schwimmenden LNG-Terminals. In den Exportländern hinterlässt der rasche Ausbau der von Deutschland geförderten Exportinfrastruktur von Senegal bis USA einen wachsenden ökologischen Fußabdruck.

Gegner:innen des LNG-Booms kritisieren die neuen Gasinvestitionen, weil diese die rechtsverbindlichen Klimaverpflichtungen Deutschlands infrage stellen. Zudem bestätigen Energieexpert:innen, dass die EU für das kommende Jahrzehnt eine beträchtliche Überkapazität an LNG-Importen plant.

Befürworter:innen von Flüssigerdgas verweisen dagegen auf die Möglichkeit, die LNG-Infrastruktur künftig für den Import von grünem Wasserstoff umzubauen – eine Strategie, die wiederum von Umweltorganisationen angefochten wird.

Angesichts eines Rückgangs beim deutschen Gesamtverbrauch an Erdgas um 14 Prozent im vergangenen Jahr scheint eine Zukunft ohne massive Investitionen in LNG durchaus vorstellbar. Obwohl diese Frage noch lange nicht geklärt ist, befinden sich neue LNG-Projekte in Deutschland aktuell in ihrer Finanzierung und Planung.

Edward Donnelly lebt und arbeitet als unabhängiger US-Journalist in Europa, wo er über globale Energie- und Umweltthemen berichtet.

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