Die Jahrhundertflut in Süddeutschland bedeutet einen Schock. Nicht nur für die Menschen, die ihr direkt ausgesetzt sind, sondern bundesweit.
Die dritte Überschwemmungskatastrophe in nur einem Jahr dürfte den Letzten klarmachen, dass es, in Abhängigkeit von zufälligen Wetterkonstellationen, jedermann treffen kann. Der Norden, der Westen und der Süden waren schon dran, doch auch der Osten und die Mitte können unerwartet zum nassen "Hotspot" werden.
Die Schwere der Überflutungen in Bayern und Baden-Württemberg wird erst nach und nach klar werden, zumal es nach dem verheerenden Wochenende auch am Montag noch Regionen mit heftigen Regenfällen gab.
Sicher ist jedoch jetzt schon: Die Süd-Flut bringt das Thema Klimawandel wieder stärker ins Zentrum der politischen Debatten – dorthin, wo es angesichts der aktuellen und künftigen, noch viel größeren Bedrohung hingehört.
Die Ereignisse lassen Erinnerungen an die schwere Elbeflut vor gut zwei Jahrzehnten wach werden. Das Jahrhundert-Ereignis im Sommer 2002 trug damals wesentlich dazu bei, dass die damalige rot-grüne Bundesregierung unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder unerwartet doch noch genug Stimmen für eine zweite Amtsperiode holen konnte.
Schröder gab vor Ort in Gummistiefeln den Macher und klimabewussten Umweltpolitiker, während sein CSU-Herausforderer Edmund Stoiber lieber zu Hause im Trockenen blieb. Das rächte sich für die Opposition, die den mit ihrer Anti-Umweltpolitik-Kampagne fast schon sicher geglaubten Sieg bei der Bundestagswahl wenige Wochen später verpasste.
Die Klimakrise ist kein Topthema mehr
Ein kompletter Stimmungsumschwung wie damals ist diesmal, eine Woche vor der Europawahl, zwar unwahrscheinlich. Denn erstens: Gewählt wird in 27 Ländern, und eine Flut in einem davon, auch wenn es eine Megaflut im größten EU-Land ist, ändert die Parameter nicht grundlegend für alle.
Und zweitens: Andere, als akuter empfundene oder politisch hochgespielte Themen überlagern die Debatten um die ökologische Zukunftssicherung. Stichworte sind: Ukraine-Krieg, Aufrüstung, Zuwanderung, kriselnde Wirtschaft, Sicherheit der fossilen Energieversorgung.
Hinzu kommt, nach Jahren der Corona-Pandemie und dann der Bedrohung durch einen Krieg fast in der Nachbarschaft, bei vielen eine starke Ermüdung, weitere Veränderungen anzugehen – und seien sie für eine gute Zukunft noch so notwendig. Trotzdem sollten die Süd-Fluten für die wahlkämpfenden Politiker:innen Anlass sein, die Themen neu zu gewichten.
Die letzte Europawahl 2019 war, inmitten der anschwellenden Proteste der Fridays-for-Future-Bewegung um Greta Thunberg, eine regelrechte "Klimawahl" gewesen. Sie führte dazu, dass Europa mit dem "Green Deal" eine weltweite Vorreiterrolle beim CO2-Sparen einnehmen konnte. Die Ansage, bis 2050 klimaneutral zu werden, brachte auch andere wichtige Player wie die USA und China dazu, ähnliche Ziele aufzustellen.
Vor der nun anstehenden Wahl sind die Vorzeichen anders. Die Klimakrise ist, siehe oben, nicht nur in der Wahrnehmung vieler Bürgerinnen und Bürger, sondern leider auch in den Wahlprogrammen der Parteien nach hinten gerückt.
Angekündigt war ein "Klimakanzler"
Das trifft gerade auch auf den "Umweltvorreiter" Deutschland zu. Während SPD, Grüne und Linke den Green Deal immerhin loben, fordern CDU und CSU, ihn zu überprüfen und "im Sinne einer größeren Wirtschaftsfreundlichkeit weiterzuentwickeln".
Die FDP möchte gar eine "Regulierungspause", obwohl in den nächsten Jahren wichtige Entscheidungen getroffen werden müssen, um auch die gewaltig hinterherhinkenden Sektoren Verkehr und Gebäude auf Kurs Klimaneutralität zu bekommen.
Union und Liberale wollen gar wieder die Atomkraft reanimieren und das in der EU beschlossene Verbrennerverbot bei Neuwagen kippen, Maßnahmen, die Klimaschutz nach Aussagen von Fachleuten zu teuer, zu langsam und zu ineffektiv machen. Ganz zu schweigen von den abgedrehten Vorstellungen der AfD, die selbst angesichts von seriellen Megafluten und sich häufenden Trockenjahren weit und breit keinen Klimawandel zu erkennen meint.
Wie gut wäre es da inmitten der Klimakrise und vor einer wichtigen Wahl, wenn Deutschland jetzt einen Kanzler Scholz hätte, der nicht nur bereitwillig immer wieder die Flutregionen bereist – in diesem Jahr war es bereits der vierte Trip, wie er am Montag in Oberbayern feststellte – und Durchhalteparolen ausgibt.
Scholz müsste wenigstens im verbleibenden Rest seiner Regierungszeit den "Klimakanzler" darstellen, als der er sich vor der letzten Bundestagswahl plakatieren ließ. Etwa durch Auflage eines Sondervermögens für Klimaschutz und Klimaanpassung sowie eine Revision der Verkehrspolitik.
Er hat es zu verantworten, dass die Bundesregierung nicht in der Spur ist, wie am Montag ja offiziell auch der von ihr selbst eingesetzte Expertenrat festgestellt hat – ohne ein rasches Umsteuern dürfte Deutschland sein Klimaziel für 2030 verfehlen.
Hier braucht es Führung. Scholz hat einmal gesagt, wer Führung bei ihm bestellt, bekommt sie auch. Tun wir hiermit.