Hochwasserschäden an der Elbe im sächsischen Pirna im August 2002. (Foto: M. Sastognuti/​Wikimedia Commons)

"In diesem Sommer hat eine Flutkatastrophe vornehmlich Sachsen und Sachsen-Anhalt, aber auch Bayern, Brandenburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein sowie unsere Nachbarstaaten Österreich und Tschechien heimgesucht, die unser aller Vorstellungskraft überstieg und den Betroffenen Leid im schlimmsten Ausmaße brachte."

Mit den Worten leitete vor fast 20 Jahren der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) eine Sondersitzung des Bundestages ein. Ende August 2002, kurz vor der Bundestagswahl, bei der sich dann Gerhard Schröder (SPD) gegen Edmund Stoiber (CSU) durchsetzte, war das Parlament noch einmal zusammengekommen, um das Flutopfer-Solidaritätsgesetz zu beschließen.

Mit dem Gesetz wurde 2002 ein 7,1 Milliarden Euro schwerer Hilfsfonds aufgelegt, der etwa je zur Hälfte von Bund und Ländern getragen und durch die Verschiebung einer geplanten Steuerreform finanziert wurde. Unmittelbar nach der damaligen Flut hatte die Bundesregierung finanzielle Soforthilfen für private Haushalte von insgesamt 70 Millionen Euro bewilligt.

Selbst wenn man berücksichtigt, dass ein Euro seitdem ein Fünftel seines Wertes verlor, wird die aktuelle Katastrophe voraussichtlich um ein Mehrfaches teurer. Am heutigen Mittwoch beschloss das Bundeskabinett zunächst eine Soforthilfe von 200 Millionen Euro, dies stocken die Länder noch einmal um dieselbe Summe auf. Werde mehr Geld gebraucht, werde auch mehr zur Verfügung gestellt, sagte Bundesfinanzminister Scholz.

Versiegelung schon 2002 beklagt

Konkrete Schätzungen über die möglichen Wiederaufbau-Summen hat die Regierung noch nicht. Als Orientierung dienen einstweilen die sechs Milliarden Euro, die die letzte Flut 2013 kostete. Man müsse damit rechnen, dass solche Ereignisse Deutschland häufiger erreichen, sagte der Bundesfinanzminister.

Was 2002 der damalige – nicht gerade als Ökofreak bekannte – Bundeskanzler Gerhard Schröder im Lichte der Flut in seiner Rede bei der Sondersitzung forderte, gilt im Kern jedenfalls noch immer: Schluss machen mit der weiteren Versiegelung von Landschaften und der weiteren Begradigung von Flussläufen.

Schröder: "Wir sollten auch bedenken, dass die nachhaltige Bewirtschaftung der Äcker und Felder bessere Möglichkeiten bietet, Wasser absickern zu lassen, als die intensive Bewirtschaftung von Flächen."

Zumindest in dem Punkt hat sich zwei Jahrzehnte lang offenbar nicht viel bewegt. Am Dienstagmorgen schlug Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) im Deutschlandfunk vor, eine "Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Klimaanpassung" ins Leben zu rufen, um Äcker und Felder besser auf Wetterextreme vorzubereiten.

Auch die Gemeinden, so Schulze, müssten sich viel stärker auf den Klimawandel einstellen und dazu von Bund und Ländern in einer Art Daueraufgabe befähigt werden.

Forderungen aus der Wissenschaft

Für den Start eines groß angelegten Klimaanpassungsprogramms setzten sich am Mittwoch Wissenschaftler unter Koordination des Leipziger Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) ein. Ziel müsse es sein, die "Klimasicherheit von Gemeinden und Städten auf ein neues Fundament zu stellen", erklärten die Experten.

Fünf Punkte zur Klimaanpassung

Frühwarnsysteme verbessern und den Bevölkerungsschutz stärken: Auch für kleinere Flussgebiete gilt es, die Vorhersage von Hochwassern zu verbessern und zuverlässige Warnsysteme aufzubauen. Nur eine Warnung, die Menschen verstehen und der sie vertrauen, wird zu den gewünschten Handlungen führen.

Schwamm- und Speicherfähigkeit steigern: Neben etablierten Schutzlösungen wie Deichen, Mauern und Poldern gilt es vermehrt, Gemeinden, Städte und Landschaften wie Schwämme zu konzipieren. Jeder Kubikmeter Wasser, der nicht über die Kanalisation in Bäche und Flüsse eingeleitet wird, trägt zur Abflachung von Hochwasserwellen bei, kann diese aber, wie bei den Ereignissen 2021, nicht verhindern. Daher gilt es, den Wasserrückhalt und das Speichervermögen von Flussauen, Wald- und Agrarlandschaften, aber auch in den dichter besiedelten Bereichen durch zusätzliche Grün- und Freiflächen zu steigern.

Klimaprüfung kritischer Infrastrukturen: Bei Wiederaufbau und Neubau öffentlicher Infrastrukturen und Gebäuden gilt es, die Folgen des Klimawandels abzuschätzen und Bemessungswerte entsprechend zu erneuern. Dies schließt auch die Berücksichtigung von Kaskadeneffekten durch die Unterbrechung von Versorgungsleistungen ein. Infrastrukturen (Versorgung mit Wasser, Strom et cetera) müssen so konzipiert werden, dass sie auch in extremen Wetterlagen funktionieren.

Klimasicherheit von Gebäuden fördern: Beim Wiederaufbau, Neubau beziehungsweise bei der Sanierung im Bestand gilt es, die Klimasicherheit von Gebäuden von Anfang an mitzudenken und den Schutzstandard zu erhöhen, gerade auch von Einrichtungen, die besonders verletzliche Gruppen wie Kinder, Senioren oder behinderte Menschen beherbergen.

Gestaltungs- und Durchsetzungswille ist ebenso notwendig wie Kooperation und Solidarität: Für den Umbau bedarf es des Innovations- und Gestaltungswillens aufseiten von Städten, Gemeinden, Investoren und Privatpersonen ebenso wie des Einsatzes von Finanzierungs- und Anreizinstrumenten aufseiten des Bundes beziehungsweise der Länder. Des Weiteren sind Nutzen und Lasten des Umbaus solidarisch zu verteilen. Ein Beispiel: Gemeinden, die im Oberlauf von Flüssen mehr Raum für Wasser schaffen, werden davon nur indirekt profitieren – Gemeinden im Unterlauf aber unmittelbar, da das Überflutungsrisiko reduziert wird.

Aus: Fünf Prinzipien für klimasichere Kommunen und Städte – Statement von 22 Wissenschaftler:innen zum Umgang mit Extremereignissen (gekürzt)

Die Experten präsentierten dazu einen Katalog von Forderungen (siehe Kasten), von denen ein Teil bereits nach den zerstörerischen Hochwassern 2002 und 2013 erhoben wurde, vielfach sogar schon nach den großen Hochwassern 1993 und 1995 am Rhein, wie die Wissenschaftler betonten.

Die Herausforderungen in den Mittelgebirgen mit vielen kleinen Flusseinzugsgebieten seien dabei andere als im Flachland. Einiges wie Frühwarnung und Bevölkerungsschutz sei recht schnell umsetzbar, anderes nur längerfristig wie der Umbau der Infrastruktur und eine erhöhte Speicherfähigkeit von Landschaften.

Seit 2008 gibt es eine vom Bund beschlossene Klima-Anpassungsstrategie mit Aktionsplänen und Monitoringberichten und mit einem Klimavorsorgeportal, das Kommunen, Unternehmen und die Zivilgesellschaft beim Umgang mit den Folgen des Klimawandels unterstützen soll.

Seit mehreren Jahren bietet das Vorsorgeportal auch jede Menge guter Ratschläge, um die Verwundbarkeit städtischer Infrastruktur gegenüber extremen Niederschlägen zu verringern. Dazu gehört ein vorsorgendes Siedlungswassermanagement, das die Folgen von Starkregen durch Wasserrückhalt in der Fläche verringern und gleichzeitig sommerliche Hitze mindern kann.

Am heftigsten tobt derzeit noch der Streit, ob die tödlichen Folgen des Flutdramas nicht wenigstens teilweise vermeidbar gewesen wären. Die britische Hochwasserexpertin Hannah Cloke, die an der Entwicklung des EU-Flutwarnsystems Efas beteiligt war, erhob schwere Vorwürfe gegen die Behörden. Efas habe schon 24 Stunden vor der Katastrophe fast genau vorhergesagt, welche Landkreise von Hochwasser betroffen sein würden, doch die Warnungen seien nicht bei den Menschen angekommen.

Der Chef des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), Armin Schuster, wies die Vorwürfe zurück. Die Warninfrastruktur habe funktioniert, sagte er im ARD-Fernsehen. Das Problem sieht Schuster stattdessen in der Frage, wie sensibel die Behörden, aber auch die Bevölkerung darauf reagierten.

Im internationalen Vergleich sei Deutschland beim Katastrophenschutz eigentlich ganz gut aufgestellt, sagte der Katastrophenforscher Martin Voss von der Freien Universität Berlin in der Tagesschau. Allerdings fokussiere man sich auf schon bekannte Risiken, während sich das Gefahrenspektrum grundlegend geändert habe. "Wir müssen vielmehr auf diese veränderten Gefahren gut angepasst und vorbereitet sein – und das sind wir eindeutig nicht", sagte Voss.

Eine große Debatte, ob die Bevölkerung zu wenig gewarnt wurde oder die Warnungen nicht mitbekam, gab es im Bundestag vor 20 Jahren übrigens nicht. Und da waren die Warn-Apps für den Mobilfunk noch nicht erfunden.

 

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