Erst kürzlich hatte US-Präsident Donald Trump wieder zugeschlagen. Während der demokratische Präsidentschaftsanwärter Joe Biden in der vergangenen Woche seinen Klimaplan vorgelegte, schwächte Trump bestehende Umweltvorgaben weiter ab: Mit der Überarbeitung des seit 1970 bestehenden National Environmental Policy Act vollzog die Trump-Administration ihre bisher größte und drastischste Deregulierungsmaßnahme im Umweltbereich.
Um die Genehmigung von Autobahnen, Kraftwerken und Pipelines zu beschleunigen, wurde die öffentliche Überprüfung von geplanten Infrastrukturprojekten eingeschränkt. "Wir tun etwas sehr Dramatisches", sagte Trump bei der Bekanntgabe des Vorhabens.
Seit seinem Amtsantritt hat Trump kontinuierlich die bestehenden Vorgaben für den Umwelt- und Klimaschutz aufgeweicht oder ausgehebelt. Das soll die Wirtschaft, die von Strukturkrisen und der Corona-Pandemie gebeutelt ist, stärken und Menschen in Arbeit bringen.
Auch Joe Biden, Kandidat der Demokraten für die Präsidentschaftswahlen am 3. November, argumentiert mit Arbeitsplätzen. Doch seine Wahlversprechen unterscheiden sich fundamental von denen Trumps. Während der amtierende US-Präsident auf Deregulierung setzt, will Biden mit Klimaschutz neue Arbeitsplätze schaffen und das Wirtschaftswachstum ankurbeln.
Insgesamt zwei Billionen US-Dollar will Biden in den nächsten vier Jahren investieren. Bis 2050 soll die gesamte Wirtschaft klimaneutral werden. Das Geld soll in neue Straßen, Grünflächen, Strom-, Wasserversorgungs- und Breitbandnetze (5G) sowie Schulen fließen. Auch in den Gebäude- und Verkehrssektor will Biden Geld pumpen, um dort die CO2-Emissionen zu senken.
"Rein technisch ist das machbar"
Der Plan nimmt viele Anleihen am "Green New Deal", den linke Demokrat:innen und eine Jugendbewegung seit anderthalb Jahren fordern. Biden verabschiedet sich damit konsequenter als erwartet von seinem ursprünglich angekündigten klimapolitischen "Mittelweg".
Die veranschlagte Höhe der Investitionen ist enorm. Selbst der Klima- und Energieplan von Trumps Vorgänger Barack Obama – Biden war damals Vizepräsident – umfasste nur ungefähr 90 Milliarden US-Dollar und galt seinerzeit als umfassendestes Vorhaben im Energiebereich.
Aus Sicht der Volkswirtin Susanne Dröge von der Stiftung Wissenschaft und Politik setzt Biden an den richtigen Punkten an – Energie, Verkehr, Gebäude: "Mit den drei Sektoren wären auf jeden Fall die wichtigsten angesprochen, die in den USA zu hohen Pro-Kopf- und Gesamtemissionen beitragen", sagt Dröge.
Im Energiesektor sinken die Emissionen zwar auch unter Trump, weil der Switch von Kohle zu Gas weitergeht. Dennoch: "Die Energieproduzenten bleiben unter den Möglichkeiten, da alle Auflagen – wie für die Methanabscheidung beim Fracking – abgeschafft wurden", sagt Dröge. Enormes Potenzial sieht die Wissenschaftlerin auch im Gebäude- und im Verkehrssektor, weil beide mit Blick auf Nachhaltigkeit völlig unterentwickelt seien.
Die Stromerzeugung will Biden in kurzer Zeit klimaneutral machen. Der Anteil erneuerbarer Energien liegt hier erst bei 18 Prozent. Bereits 2035 soll der Sektor keine Emissionen mehr verursachen.
"Rein technisch ist das machbar", sagt Dröge. "Aber es müsste dazu einen großen Innovations- und Investitionsschub geben, weil private Unternehmen in den USA entscheidend für eine solche Entwicklung sind." Auch Windenergie sei in den USA wettbewerbsfähig, hier müsse Biden ansetzen. Kritisch könne die Infrastruktur sein, da in vielen Bundesstaaten die Stromnetze veraltet seien und die Versorgung nicht immer sichergestellt werden könne.
"Nur mit neuem politischen Rahmen"
Auch der Energiewende-Vordenker Hans-Josef Fell, Präsident der Energy Watch Group, hält einhundert Prozent Erneuerbare für machbar, "wenn es den politischen und gesellschaftlichen Willen dazu gibt".
"Technikrevolutionen laufen in Zehnjahreszeiträumen ab, wie wir bei der Entwicklung von Computern und Mobilfunk gesehen haben", sagt Fell. Dafür brauche es aber auch klare neue politische Rahmensetzungen wie beispielsweise eine Kombikraftwerksvergütung, die Investitionen in Erneuerbare-Energien-Projekte mit Speichern, digitaler Steuerung und Sektorenkopplung gleichzeitig fördert.
Allerdings will Biden bei der Stromerzeugung nicht ausschließlich die Erneuerbaren pushen. "Seine Sprache fokussiert sich bewusst auf 'saubere Energie' – clean energy –, denn sein Programm beinhaltet auch den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken und die Weiterentwicklung von Technologien zur Abscheidung und Speicherung von CO2, auch im Zusammenhang mit Erdgas", schränkt Fell ein.
Gerade das billige Fracking von Gas sieht auch Volkswirtin Dröge als Hindernis für hundert Prozent Erneuerbare. Aus Erdgas stammt in den USA mittlerweile ein großer Teil des erzeugten Stroms: 38 Prozent. Um diesen durch Solar- und Windstrom zu ersetzen, müssten Gaskraftwerke unrentabel werden. Das würde bei der Stromkundschaft, den Gewerkschaften und in den Bundesstaaten auf wenig Zuspruch treffen.
Innerhalb von vier Jahren sollen vier Millionen Häuser energetisch saniert und 1,5 Millionen energieeffiziente Sozialwohnungen gebaut werden. Zudem will Biden massiv in die Automobilindustrie investieren, dort sollen eine Million Jobs entstehen. Er will den öffentlichen Nah- und Fernverkehr mit emissionsfreien Antrieben ausbauen.
Dafür müssten laut Energy-Watch-Group-Chef Fell nicht nur alle Antriebe auf erneuerbare Energien umgerüstet, sondern auch strukturelle Reformen angepackt werden, wie die Stärkung von Radverkehr und ÖPNV in den Städten, die Verlagerung des Gütertransports auf die Schiene und der Ausbau von Schnellzügen statt Flugverbindungen.
Weltweite Wirkung garantiert
"Da gerade auch in den USA die Elektromobilität rasch voranschreitet und viele Heizungen auf Wärmepumpen umgestellt werden, wäre die Umsetzung dieser Agenda ein entscheidender Beitrag für den weltweiten Klimaschutz", sagt Fell. Wenn die größte Wirtschaftsmacht der Welt auf Dekarbonisierung bis 2035 setze, dann werde das über Exporte und die daraus folgende internationale Innovationsentwicklung weltweit große Auswirkungen auf die Energieversorgung haben.
Damit die geplanten Investitionen schnell genug wirken, bräuchte es aber wohl weitere Vorgaben. "Mit einer CO2-Bepreisung könnte natürlich gut flankiert werden", sagt Ökonomin Dröge. Das würde Erdgas gegenüber den Erneuerbaren verteuern und so das Gas aus dem Markt drängen.
Allerdings dürfte ein CO2-Preis an den politischen Realitäten scheitern. "Da in den USA neue Steuern noch unbeliebter sind als bei uns, könnte es sein, dass die Demokraten erneut auf einen Emissionshandel setzen", sagt Dröge. Man müsse aber abwarten, wie weit die Demokraten mit ihren Vorschlägen im Kongress kämen. Hier haben Trumps Republikaner die Mehrheit und würden einen entsprechenden Vorstoß ablehnen.
Bidens Plan zielt auch auf die Verringerung sozialer Ungleichheiten. Benachteiligte Gemeinschaften wie einkommensschwache Kommunen oder Gemeinden mit einem hohen Bevölkerungsanteil von Schwarzen, Latinos oder Indigenen sollen besonders von den geplanten Ausgaben profitieren. Im Justizministerium soll eine Abteilung für Umwelt- und Klimagerechtigkeit geschaffen werden.
Damit Biden seine Wahlversprechen einlösen kann, müsste er die Deregulierung von Trump wieder zurückdrehen. "Der Vorstoß wird dann gelingen, wenn Biden die Behörden wieder so aufstellt, wie sie vor Trump aufgestellt waren", meint Susanne Dröge.
Auf Bundesebene seien das Energieministerium und die US-Umweltbehörde EPA die wichtigsten Institutionen. "Dann muss es darum gehen, die Zusammenarbeit mit den Bundesstaaten entlang der geplanten Agenda aufzustellen, Gesetze zu erlassen und die Finanzierung auch durch den Kongress zu bringen", ergänzt Dröge.
Bedeutung für Paris-Ziel noch unklar
Ob Bidens Plan ausreichen könnte, um die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu senken, wie es das Pariser Klimaabkommen vorsieht, lässt sich für Dröge noch nicht abschätzen. Es sei nicht klar, ob Biden Treibhausgas-, Klima- oder CO2-Neutralität anstrebe. Das sei aber ein Unterschied.
Auch die Zwischenziele, die sich die USA bis 2050 geben, hätten einen maßgeblichen Einfluss auf die Emissionsminderungen, gibt Dröge zu bedenken. Ferner komme es darauf an, wie diese Ziele gesetzlich so verankert werden können, "dass sie nicht gleich bei der nächsten Wahl wieder kassiert werden".
Die Umstellung auf Nullemissionstechnologien in Verkehr, Gebäuden und Industrie mit massivem Ökostromausbau ist zwar auch für Hans-Josef Fell die Kernaufgabe beim Klimaschutz. "Aber für die Einhaltung der Pariser Ziele braucht es mehr: massenhafte Kohlenstoffsenken, insbesondere mit Begrünen arider Flächen, Biolandwirtschaft und Aufforstungen", meint der Energieexperte.
Das müsse alles bis 2030 verwirklicht werden, um die Überschreitung des Zwei-Grad-Limits vielleicht noch zu vermeiden. "Das Überschreiten der 1,5-Grad-Grenze lässt sich damit nicht mehr verhindern", sagt Fell. Selbst das Absenken aller Emissionen auf null bis 2035 würde dafür zu spät kommen.