Es bleiben nur noch gut zwei Jahrzehnte. Dann – genau im Jahr 2045 – sollen alle Menschen in Deutschland klimaneutral wohnen. Das heißt, beim Heizen und bei der Warmwasserbereitung entstehen dann nach dem Klimaschutzgesetz keine Treibhausgase mehr.
Das Problem dabei ist: Die energetische Sanierung des Gebäudebestandes, in dem heute noch enorm viel Erdgas und Heizöl verbrannt werden, verläuft bisher viel zu langsam. Derzeit wird pro Jahr nur etwa ein Prozent der Altbauten mit neuen Fenstern, Wärmedämmung und Öko-Heizung energetisch fit gemacht.
Auf einer Musterbaustelle in Hamburg wurde jetzt gezeigt, wie hier ein Turbo eingelegt werden kann – mit einem "Sanierungssprint".
Der "Sprint" betraf eine Doppelhaushälfte im nordöstlichen Stadtteil Duvenstedt, gebaut im Jahr 1963, zu einer Zeit, als Heizöl noch spottbillig war und es noch keine Effizienzvorgaben für den Neubau von Häusern gab. Ziel war es, daraus ein klimaneutrales Haus nach dem KfW-Effizienzhausstandard 70 EE zu machen – und das in kürzester Zeit.
Tatsächlich schafften es die mit der Sanierung beauftragten mehr als 60 Handwerkerinnen und Handwerker, die Sanierung in nur rund vier Wochen durchzuführen, konkret in 22 Werktagen. Fassade und Dach wurden mit Dämmung versehen, die alten Fenster durch solche mit Dreifach-Verglasung ersetzt, die Ölheizung wurde demontiert und eine Wärmepumpe plus Solarstrom-Anlage installiert.
Außerdem wurde in der kurzen Bauzeit neuer Wohnraum im Dachgeschoss geschaffen, die Haustechnik wurde komplett modernisiert, und es wurden zwei Bäder plus Gäste-WC neu eingebaut.
Ein ganz anderes Bauen
Wer die üblichen Abläufe auf Baustellen kennt, weiß, dass für solche Sanierungen sonst locker mehrere Monate ins Land gehen können. Dass es hier viel besser lief, ist dem Leipziger Bauingenieur Ronald Meyer zu verdanken, der den Ansatz des Sanierungssprints entwickelt hat.
Dank einer optimierten, digital gestützten Vorplanung mit allen beteiligten Handwerksbetrieben und einem stundengenauen Bauzeiten-Plan konnten immer mehrere Gewerke zeitgleich auf der Baustelle arbeiten.
Meyer glaubt, dass hier generell ein großes Potenzial zur Beschleunigung von Sanierungen liegt. "Wenn die Gewerke gleichzeitig auf der Baustelle sind, verkürzt das Entscheidungswege. Spätestens nach der fünften Baustelle haben alle eine enorme Routine, und alles läuft noch schneller", sagt er.
Auch die Handwerksfirmen, die bei dem Hamburger Sprint mitmachten, zeigten sich angetan davon. "Die Mitarbeiter lernen sich kennen, auch beim gemeinsamen Mittagessen. Hierdurch entwickelt sich ein Teamgeist und man redet miteinander, man klärt Probleme schnell und proaktiv", hat Lion Horlacher vom Hamburger Energiesanierungs-Spezialisten Renewa festgestellt, der das Projekt zusammen mit Meyer betreute. Der Sprint biete die Möglichkeit, mehr Baustellen mit gleicher Manpower umsetzen zu können.
Auch bei der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz (Deneff), die das Hamburger Musterprojekt mit angestoßen hat, ist man überzeugt, dass der neue Ansatz den Sanierungsmarkt revolutionieren kann. Mit dem Sprint könne die Produktivität im Handwerk enorm gesteigert werden, meint Deneff-Geschäftsführer Henning Ellermann.
Es sei möglich, mit den vorhandenen Fachkräften viel mehr zu schaffen. Zudem seien dadurch Kostenvorteile erreichbar. Ellermann: "Wir können bei der energetischen Modernisierung große Schritte nach vorn gehen."
Der nächste und entscheidende Schritt sei nun die Übertragung des Konzepts in Richtung deutschlandweitem Hochlauf. Dafür brauche es aufgeschlossene Hauseigentümer:innen, die die Arbeiten in ihrem Quartier parallel angehen wollen, und ebensolche Handwerksbetriebe, außerdem politische Unterstützung.
Gerade im kritischen Bestand ist viel standardisierbar
Meyer, der jetzt vier Wochen lang jeden Tag auf der Baustelle in Duvenstedt war, glaubt sogar, dass die Sanierungsquote bei Altbauten auf jene drei bis vier Prozent der Gebäude pro Jahr angehoben werden kann, die nötig sind, um den Sektor bis 2045 tatsächlich klimaneutral zu machen. Das Potenzial für die Skalierung des Sanierungssprints sei da.
Denn gerade die besonders energieverschwendenden Ein- und Zweifamilienhäuser aus den 1960er und 1970er Jahren in den damaligen Neubausiedlungen seien oft typengleich, wiesen also ähnliche Grundrisse und Baumerkmale auf. Besonders dort ließen sich die Planungen, der Einkauf von Baumaterial und Haustechnik standardisieren, ist der Bauingenieur sicher.
Meyer schätzt, dass die Kosten von kompletten Energiespar-Sanierungen durch die Sprint-Methode, die bei einem Einfamilienhaus derzeit im Bundesschnitt rund 150.000 Euro betragen, um 15 bis 20 Prozent sinken können.
Er plädiert dafür, die Sanierungen nun konsequent anzupacken und sie nicht auf die lange Bank zu schieben, wie die Ampel-Bundesregierung es gerade beschlossen hat. "Dazu braucht es auch eine sozial gestaffelte Förderung", betont er.
Das von der Ampel verfolgte Konzept, weniger zu dämmen und dafür im Gegenzug in den alten Gebäuden mehr erneuerbare Energien statt Öl und Gas einzusetzen, werde nicht aufgehen. "So viel erneuerbare Energien haben wir auf absehbare Zeit nicht, und es käme unterm Strich viel teurer."
Die Baufamilie in Hamburg-Duvenstedt würde sich, auch wenn die vier Wochen anstrengend waren, wieder für den Sanierungssprint entscheiden, wie sie sagt. Er biete für Hauseigentümer:innen die Möglichkeit, verlässlich mit den Arbeiten planen zu können. Und man könne den Baustress nach einer relativ kurzen Zeit hinter sich lassen.
Der Energieverbrauch der Doppelhaushälfte wird durch die Sanierung übrigens um rund 80 Prozent sinken. Der Rest wird mit Ökostrom gedeckt.