Es ist beileibe nicht alles schlecht am Energie-Kapitel des Koalitionsvertrags. Zuvorderst ist das Bekenntnis zur Klimaneutralität 2045 zu nennen. Auch andere Punkte sind nach vorn gerichtet. Hieran wird man in den kommenden Monaten und Jahren sinnvoll anknüpfen können. Allerdings gibt es noch einige Unklarheiten wie etwa die weitere Regulierung der Wärmewende.
Vor allem aber enthält der Koalitionsvertrag auch einige grundsätzlich problematische Weichenstellungen. Erstens hinsichtlich der Frage, wie die Rahmenbedingungen im Energiesystem organisiert werden. Zweitens geht es um den Erneuerbaren-Ausbau selbst.
Im Wahlkampf war viel zu lesen, dass die Energiewende marktwirtschaftlicher und technologieoffen organisiert werden soll. Grundsätzlich ist das nicht verkehrt, aber nun lässt gerade eine Regierung unter Führung der Union, die das am stärksten eingefordert hat, diese Prinzipien vermissen und deckelt an mehreren Stellen den Anreiz zur Flexibilisierung des Energiesystems.
CO2-Preis mit Bremse
Erstes Beispiel dafür ist der Emissionshandel. Laut Wahlprogramm von CDU und CSU sollten die CO2-Preise das große Leitinstrument beim Klimaschutz sein. Das ist durchaus nachvollziehbar, doch stattdessen werden nun im Koalitionsvertrag die bereits bestehenden robusten Systeme für den Emissionshandel aufgeweicht.
Beim bestehenden europäischen Emissionshandel für Industrie und Kraftwerke, dem "ETS 1", sollen künftig – in begrenztem Maße – auch Projekte im Ausland anrechenbar sein und zudem neue Zertifikate für Negativemissionen ausgegeben werden können. Beides führt zu einer Aufweichung der bisherigen Klimaschutzvorgaben.
Oliver Hummel
ist seit 2011 Vorstand der Naturstrom AG. Bei dem Öko-Energieversorger verantwortet er die Belieferung der rund 300.000 Haushalts- und Gewerbekunden mit Ökostrom und Biogas. Hummel wechselte 2001 von der Unternehmensberatung Roland Berger zu Naturstrom, seit 2004 ist der studierte Betriebswirt Geschäftsführer.
Und im bald startenden europaweiten ETS 2 für Wärme und Verkehr, der ab 2027 den bisherigen nationalen Brennstoffemissionshandel ablösen wird, sollen nach dem Willen der Koalitionäre Preissprünge vermieden werden. Das ist natürlich schwierig, wenn für einen wirklich steuernden CO2-Preis eigentlich die Emissionsmengen das einzig relevante Kriterium bei der Preisbildung sein sollten.
Gleichzeitig will die neue Koalition sogar klimaschädliche Subventionen ausweiten, etwa bei der Pendlerpauschale, der Agrardieselrückerstattung oder bei der Luftverkehrssteuer.
Gerade einkommensschwächere Haushalte von steigenden Klimaschutzkosten – zum Beispiel durch die CO2-Besteuerung – zu entlasten, ist immer erstrebenswert. Dies sollte aber so geschehen, dass die Preissignale möglichst wenig abgeschwächt werden.
Möglich wäre dies beispielsweise durch das ursprünglich bereits von der Ampel-Regierung angedachte Klimageld, das – anders als noch zu Zeiten der Energiepreiskrise 2022 – mittlerweile wohl auch technisch durch den Staat auszahlbar wäre. So bliebe trotz sozialer Abfederung der Marktanreiz zur Verhaltensanpassung und zu Investitionen bestehen.
Schwächere Preissignale pro Elektrifizierung
Zweites Beispiel für fehlende Marktwirtschaftlichkeit: der Neubau von Gaskraftwerken sowie der Einsatz von Reservekraftwerken.
Erstens sollen laut Koalitionsvertrag bisher eigentlich stillgelegte und nur für den Notfall betriebsbereit gehaltene Reservekraftwerke künftig wieder am Strommarkt aktiv werden dürfen. Und zweitens will die künftige Regierung neue Gaskraftwerke im Umfang von 20.000 Megawatt bauen.
Tacheles!
In unserer Kolumne "Tacheles!" kommentieren Mitglieder unseres Herausgeberrates in loser Folge aktuelle politische Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen.
Nicht nur, dass so entgegen aller Klima-Rhetorik mit staatlicher Unterstützung neue fossile Infrastruktur aufgebaut wird – beide Maßnahmen kappen auch die bislang entstehenden Preisspitzen am Strommarkt, die Investitionssignale für die dringend benötigten Flexibilitäten liefern.
Dass dies marktwirtschaftlich funktioniert, sieht man etwa am sich entwickelnden Boom von Groß-Batteriespeichern. Die Refinanzierung solcher innovativen Projekte wird durch die geplanten Kraftwerks-Maßnahmen und die damit verbundenen Preisunsicherheiten deutlich erschwert werden.
Gedämpfte Begeisterung für Erneuerbare
Anders als beim Gas schwingt bei den erneuerbaren Energien die Begeisterung für neue Kraftwerke leider nicht so deutlich im Koalitionsvertrag mit. Grundsätzlich bekennt man sich zwar zum weiteren entschlossenen Erneuerbaren-Ausbau bei allen Technologien.
Im Detail aber ist hier nun von einem Monitoring der Ausbaupfade die Rede, von einer dem Netzausbau folgenden Projektentwicklung anstelle der bisherigen Netzanschlussverpflichtung für Erneuerbaren-Anlagen, weiter von einer Überprüfung der Windkraft-Flächenziele und des Referenzertragsmodells sowie von Flächenschonung bei Solarparks.
Interessanterweise wird im Koalitionsvertrag für die Erneuerbaren eine rein marktwirtschaftliche Refinanzierung als Ziel genannt, obwohl dies zumindest bei Wind- und Solarenergie aufgrund hoher Anfangsinvestitionen und der fluktuierenden Einspeisung besonders schwierig ist – zumal in einem System, in dem die CO2-Preise noch bei Weitem nicht die wahren Schadenskosten anzeigen.
Immerhin: Erst einmal wollen auch die schwarz-roten Koalitionäre dabei bleiben, dass es einen gesicherten Refinanzierungsrahmen für die Erneuerbaren gibt.
Wie gesagt, es gibt durchaus einiges Gutes im Koalitionsvertrag. Hier zumindest ein paar Stichworte: Die angestrebte Senkung der Stromkosten kann für die Wirtschaft wie für die Dekarbonisierung einen Impuls setzen – wenn es auch ein teurer und undifferenzierter ist.
Angekündigte Genehmigungserleichterungen könnten den notwendigen Erneuerbaren-Ausbau weiter beschleunigen. Die versprochene Stärkung von Flexibilitäten und der Smart-Meter-Rollout sind längst überfällig.
Allerdings können sich die problematischen Vorhaben für die Energiewende als ein erheblicher Bremsklotz erweisen. Hier sollten die künftig Regierenden noch stärker auf ihre eigene Wahlkampf-Forderung nach marktwirtschaftlichen Impulsen zurückkommen.