Porträtaufnahme von Michael Müller.
Michael Müller. (Foto: Martin Sieber)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Michael Müller, als SPD-Politiker bis 2009 Parlamentarischer Staatssekretär im Umweltministerium, heute Bundesvorsitzender der Naturfreunde Deutschlands.

Klimareporter°: Herr Müller, der 27. Weltklimagipfel in Ägypten war nach Einschätzung vieler Beobachter eine Katastrophe für den Klimaschutz. Darüber dürfe die Grundsatz-Einigung zur Finanzierung von Klimaschäden nicht hinwegtäuschen. Welche Zukunft geben Sie diesen globalen Gipfeltreffen?

Michael Müller: Die UN-Klimakonferenzen haben immer weniger mit den Zielen zu tun, die 1992 auf dem Rio-Gipfel in der Klimarahmenkonvention vereinbart wurden. Diesmal war es sogar schon vor der Konferenz viel schlimmer als in den letzten Jahren, denn es wurde fast überhaupt nicht über die bevorstehende COP 27 berichtet. Und die Konferenz selbst wurde zu einem Verteilungskampf zwischen den Eliten des globalen Nordens und den Eliten des globalen Südens.

Wo aber bleiben die gemeinsamen Maßnahmen, die großen Klimaschutzanstrengungen? Seit der ersten Klimakonferenz 1995 gibt es eine schrittweise Verlagerung vom Klimaschutz zum Anpassungs-Management. Aber große Teile des globalen Südens können sich gar nicht anpassen, zum Beispiel die Inselstaaten oder Regionen mit langen und niedrigen Küstenzonen.

Kurz: Wenn es so weitergeht, spitzen sich die Folgen dramatisch zu. Die Klimakrise wird erbitterte Verteilungskonflikte auslösen, die nach Krieg riechen.

Deshalb: Wir müssen den Klimaschutz in die Zivilgesellschaften zurückholen, statt unsere Hoffnungen auf eine illusionäre globale Einsicht zu setzen.

Natürlich muss die UNO koordinieren und finanzielle und technologische Transfers organisieren. Aber die Voraussetzung für den Klimaschutz und den Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft ist eine Kultur der Verantwortung für eine soziale und ökologische Gestaltung einer Weltinnenpolitik. Die müssen wir in Kommunen, Ländern und Regionen herstellen.

Die Bundesregierung hat jetzt Gesetzentwürfe für die Preisbremsen bei Strom und Gas vorgelegt. Dabei sollen auch Zusatzgewinne abgeschöpft werden, vor allem bei den Stromerzeugern. Wie sozial ist diese Art von Umverteilung und werden die Bürger bei den Energiepreisen ausreichend entlastet?

Die Aktivitäten der Bundesregierung sind für mich unzureichend und kommen zu spät. Der Kaiser steht ohne Kleider da, er hat kein Konzept für die soziale und ökologische Gestaltung der Transformation – auch weil die Energiewende auf neue Energieträger verkürzt wurde. Die Konzeptionslosigkeit fing schon mit Nord Stream an.

Nun besteht die Gefahr, dass es nicht nur zu neuen wirtschaftlichen Unsicherheiten und sozialen Ungerechtigkeiten kommt, sondern auch zu Abzocke und Arbitrage-Gewinnen. Ich wundere mich sehr, dass zum Beispiel viele Energieversorger jetzt, also vor der Ausgestaltung der Preisbremse, noch einmal sehr starke Preiserhöhungen ankündigen. Wollen sie ihren Anteil an den staatlichen Zuschüssen hochtreiben? Und warum wurde nicht sofort, also bereits im Frühjahr, gehandelt?

Wurden die Preiserhöhungen im Energiebereich auch deshalb hingenommen, weil sie auf Putin geschoben werden konnten und nicht mit dem Klimaschutz begründet werden mussten? Das Energiegeld wäre der bessere Weg gewesen. Auch sollten die Strombörse abgeschafft und insgesamt im Energiebereich gemeinwirtschaftliche Strukturen ausgebaut und gestärkt werden.

Markus Söder und andere verbreiten seit Monaten Panik vor einem Blackout in Deutschland. Kürzlich hatte sogar der Chef des Bundesamtes für Katastrophenschutz vor möglichen Blackouts im Winter gewarnt. Droht bei uns wirklich ein flächendeckender Stromausfall?

Man glaubt nicht, dass Markus Söder mal bayerischer Umweltminister war. Der beste Weg, Engpässe zu vermeiden, ist es, in der Ukraine Frieden zu schaffen, statt nur die Sprache des Militärs zu kennen. Das ist die Katastrophe: Jeden Tag bringt der Krieg Leid, Zerstörung und Tod, jeden Tag besteht die Gefahr der Ausweitung und Eskalation.

Europa muss die Perspektive für eine gesamteuropäische Friedensarchitektur aufzeigen und von beiden Seiten Verhandlungen unter dem Dach der UN oder der OSZE verlangen. Putin und Selenskyj sind dazu allein nicht in der Lage. Das ist die Aufgabe der Politik und nicht das Katastrophengerede.

Selbst Klimaexperten kritisieren die Infrastruktur-Blockaden der Bewegung "Letzte Generation". Sie befürchten, dass nur noch über die Art und Weise der Aktionen – etwa über beschmierte Kunstwerke diskutiert wird und nicht mehr darüber, wie in Deutschland wirksamer Klimaschutz stattfinden kann. Wie sehen Sie das?

Ich kann die Wut vieler Jugendlicher verstehen, ich bin aber auch empört, wie zum Beispiel Kunstwerke im Barberini in Potsdam mit Kartoffelbrei beworfen wurden. Was für eine Unkultur! Richtig ist auch, dass Klimaschutz nur möglich wird, wenn es nicht zur Spaltung der Gesellschaft kommt.

Die soziale und ökologische Gestaltung der Transformation kann nur als Gemeinschaftsanstrengung gelingen. Sie geht uns alle an und nicht nur selbsternannte "Eliten". Insofern brauchen wir einen breiten öffentlichen Diskurs, was gemacht werden muss, um eine Selbstvernichtung der menschlichen Zivilisation zu verhindern. Dabei muss es um das Notwendige gehen und nicht um das scheinbar nur Machbare.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Eine Überraschung für mich war, wie sehr die UN-Klimakonferenz in Ägypten von einer Konjunktur des schnellen Vergessens bestimmt ist. Bei dieser vorherrschenden Verantwortungslosigkeit bin ich auch in allergrößter Sorge, ob es zu einer globalen Verantwortungsethik kommen kann.

Ebenfalls überraschend und erschreckend: Das zunehmend eisfreie Polarmeer führt zu mehr Starkregen und Schneestürmen. Die Folgen zeigen sich besonders gravierend in Sibirien, wo immer mehr Methan freigesetzt wird.

Fragen: Jörg Staude

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