Am heutigen Freitagmorgen, dem offiziell letzten Tag des UN-Klimagipfels COP 27, präsentierte die ägyptische Konferenzpräsidentschaft endlich einen Entwurf für die Abschlusserklärung. Damit war klar, dass die Konferenz in Sharm el-Sheikh nicht um 18 Uhr zu Ende sein wird.
Der Entwurf war eine turbulente Nacht vorausgegangen: EU-Kommissar Frans Timmermans bezeichnete in einer Plenarsitzung die beiden wichtigsten Verhandlungsthemen – Senkung der CO2-Emissionen und Umgang mit Verlusten und Schäden durch die Erderwärmung – als "zwei Seiten derselben Medaille".
Damit machte Timmermans klar, dass zwischen diesen beiden Themen die entscheidende Balance für einen Erfolg der COP 27 gefunden werden muss. Und dann kam ein Angebot, das für den weiteren Verlauf der Konferenz entscheidend sein dürfte.
Timmermans sagte, die EU sei bereit, in Sharm el-Sheikh der Schaffung eines Fonds für Verluste und Schäden zuzustimmen – unter zwei Bedingungen: Zum einen dürften die Gelder nur den ärmsten und verletzlichsten Ländern zugutekommen, zum anderen müssten grundsätzlich alle Länder in diesen Fonds einzahlen und zusätzlich müssten "innovative Finanzquellen" erschlossen werden.
Damit entlarvte er Chinas Bluff. Beim Poker blufft ein Spieler, wenn er so tut, als habe er gute Karten, obwohl das nicht der Fall ist. Dies entspricht der Lage Chinas bei den Klimaverhandlungen.
China lehnt es ab, für Zahlungen in die Pflicht genommen zu werden, und ist auch gegen die "innovativen Finanzquellen". Letztere sind im Klimasprech Abgaben auf Flugtickets und Schiffsdiesel.
China argumentiert, dass es gemäß der 30 Jahre alten UN-Klimakonvention den Status eines "Entwicklungslands" habe und daher zu keinerlei Zahlungen verpflichtet sei. Auch chinesische Fluglinien und Reedereien müssten deshalb von Klimaabgaben ausgenommen werden.
Indien überrascht mit Fossil-Ausstiegs-Forderung
Doch was vor 30 Jahren noch ein Trumpf war, sticht nicht mehr: Die EU bekam für ihren Vorschlag breite Unterstützung – sowohl von Industriestaaten wie Australien und Norwegen als auch von den ärmsten und verletzlichsten Entwicklungsländern.
Letztere wollen den Fonds für Verluste und Schäden – und nun steht der Schaffung dieses Fonds nicht länger die EU im Weg, sondern China. Wenn sich China bewegt, könnte es den Fonds geben – und sonst eben nicht.
Und auch auf der anderen Seite der Medaille, den Emissionsminderungen, hat die EU die ärmsten und verletzlichsten Länder auf ihrer Seite. Die EU fordert, dass der CO2-Ausstoß der "größten Emittenten" spätestens im Jahr 2025 ihren Höhepunkt erreichen und anschließend sinken muss.
In den meisten Industriestaaten, inklusive der USA, sinken die Emissionen bereits seit Jahren, aber China rechnet noch bis 2030 mit steigenden Emissionen. Für die verletzlichsten Länder wäre das fatal. Deshalb unterstützen sie die Forderung der EU.
Erstaunlicherweise ist auch Indien beim Thema Emissionsreduktion verhandlungsbereit. Das Land fordert, dass eine Verpflichtung zur Eliminierung aller "fossilen Energieträger" in die Abschlusserklärung aufgenommen wird.
Damit geht Indien über die Abschlusserklärung der COP 26 in Glasgow hinaus, in der nur "Kohle" genannt wird, nicht aber Öl und Gas oder eben "fossile Energien" generell. Für Länder wie Saudi-Arabien, aber auch China ist letzteres aber eine rote Linie. Unterstützt werden sie von der Konferenzpräsidentschaft, die eigentlich neutral sein müsste.
Indien hat die Unterstützung der EU, der USA und sehr vieler Entwicklungsländer, aber der ägyptische COP‑27-Präsident und Außenminister Samih Shukri hat die "fossilen Energien" trotzdem nicht in seinen Abschlusstext-Entwurf aufgenommen.
Vorschlag aus Barbados schafft es in den Entwurf
Unklar ist derweil die Rolle der USA. Deren Delegation hat sich Donnerstagnacht auffällig zurückgehalten und wohl mit Vergnügen beobachtet, wie China durch die EU in die Ecke gedrängt wurde. Andererseits lehnen auch die USA einen Fonds für Verluste und Schäden ab: "Das wird nicht passieren", hatte der US-Sondergesandte John Kerry noch letzte Woche gesagt.
Die USA befürchten, dass ein Fonds für den Ausgleich von klimabedingten Verlusten und Schäden dazu führen könnte, dass die größten historischen Emittenten irgendwann zu "Schadenersatz" verpflichtet werden, was im US-Rechtssystem sehr teuer werden könnte.
Da die EU und die anderen Industriestaaten einem Fonds jetzt grundsätzlich zustimmen, stehen die USA unter den Industriestaaten aber nun alleine da und finden sich in einer "Allianz" mit China wieder. Dass die USA und China für ihre Positionen unterschiedliche Gründe haben, spielt dabei keine Rolle.
COP 27 in Sharm el-Sheikh
Bei der 27. UN-Klimakonferenz in Sharm el-Sheikh geht es um die Zukunft des globalen Klimaschutzes. Ein Team von Klimareporter° ist vor Ort in Ägypten und berichtet mehrmals täglich.Beide lehnen den vorgeschlagenen Klimaschadens-Fonds ab, entweder weil sie grundsätzlich gegen einen Fonds sind (USA) oder weil sie gegen einen Fonds sind, in den auch sie einzahlen müssen (China).
Bei multilateralen Verhandlungen spielen aber nicht nur die großen Länder eine Rolle. Hier können auch kleine Staaten Einfluss auf den Lauf der Welt nehmen. In Sharm el-Sheikh trifft das auf Barbados zu.
Die Premierministerin des karibischen Inselstaates, Mia Mottley, hatte letzte Woche für Aufregung gesorgt, indem sie eine Reform der multilateralen Entwicklungsbanken und die Schaffung von IWF-Sonderziehungsrechten, einer Art Währung, im Wert von 500 Milliarden US-Dollar gefordert hatte.
Mit diesem Geld sollten dann 5.000 Milliarden Dollar an privaten Mitteln für den Klimaschutz mobilisiert werden. Der Vorschlag findet sich zumindest andeutungsweise im Entwurf der Abschlusserklärung wieder, was für ein Land mit knapp 300.000 Einwohnern ein beachtlicher Erfolg ist.
Paragraf 58 des Entwurfs sagt: Die Konferenz "fordert die Entwicklungsbanken dazu auf, die volle Breite ihrer Finanzinstrumente zu nutzen, inklusive zur Mobilisierung von privatem Kapital". Sollte Mottleys Vorschlag tatsächlich umgesetzt werden, würde jeder Einwohner von Barbados rechnerisch mehr als 15 Millionen Dollar zum globalen Klimaschutz beisteuern. Damit könnte kein anderes Land mithalten.