Oliver Hummel. (Foto: Naturstrom AG)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Oliver Hummel, Vorstand beim Öko-Energieversorger Naturstrom.

Klimareporter°: Herr Hummel, engagierter Klimaschutz gerät in Deutschland immer mehr unter Druck. Das neue Gebäudeenergiegesetz wird parlamentarisch blockiert, gleichzeitig werden die Klima-Aktivistinnen der "Letzten Generation" wie Kriminelle verfolgt. Stehen wir vor einem klimapolitischen Rollback?

Nein, das nicht. Es passiert gerade ja auch sehr viel Richtiges für den Klimaschutz. Ich denke zum Beispiel an die zahlreichen Erleichterungen für die Photovoltaik. Das ist klasse, was sich da bewegt.

Aber es wird nun offensichtlich, dass eine Welt, die sich nicht unkontrolliert immer weiter erhitzt, nicht völlig zumutungsfrei zu haben ist. Jedenfalls jetzt nicht mehr, nachdem zig Jahre lang einfach viel zu wenig unternommen wurde. Die recht zupackenden Maßnahmen, die nach Jahrzehnten der Zögerlichkeit nun auf den Weg gebracht werden sollen, sind zwar nach meinem Dafürhalten alle nötig, tragbar und auch sozial gestaltbar.

Aber ganz ohne Gegenwind und vorübergehende Nachteile für einzelne Gruppen geht es eben nicht. Diese Interessenkonflikte müssen jetzt ausdiskutiert werden. Wenn es dabei transparent und fair zugeht, bin ich zuversichtlich, dass Politik und Gesellschaft zu guten Lösungen für einen ernsthaften Klimaschutz kommen.

Der Ausbau der Windkraft an Land nimmt nur langsam Fahrt auf. Statt der eigentlich geplanten 10.000 Megawatt werden in diesem Jahr voraussichtlich nur maximal 4.000 Megawatt neu ans Netz gehen, ergab der zweite Windgipfel. Was blockiert die Windkraft noch immer?

 

Die beiden wesentlichen Hemmnisse sind die geringe Flächenverfügbarkeit und die viel zu langen Genehmigungsverfahren. Bei den Genehmigungsverfahren kommt nun Zug rein, zum Beispiel durch die Umsetzung der EU-Notfallverordnung in deutsches Recht.

Bis aus einem genehmigten Projekt ein gebauter Windpark wird, dauert es aber trotz allem eine Weile. Eine sprunghafte Vervielfachung der Ausbauzahlen ist also trotz der zahlreichen erreichten Verbesserungen der letzten Monate kurzfristig nicht zu erwarten.

Eine größere Herausforderung dürften mittelfristig die Flächen bleiben. Das Windenergie­flächen­bedarfs­gesetz, das im Februar in Kraft getreten ist, verpflichtet die Bundesländer, bis Ende 2027 insgesamt 1,4 Prozent der Bundesfläche für die Windenergienutzung bereitzustellen und bis 2032 zwei Prozent. Diese Fristen sind einfach viel zu lang – selbst mit beschleunigten Genehmigungsverfahren lassen sich die Ausbauziele für 2030 so nicht erreichen.

Es liegt nun also in der Hand der Bundesländer, aus eigenem Antrieb schneller zu sein. Wünschenswert wäre das nicht nur mit Blick aufs Ausbautempo. Gerade explodieren angesichts der knappen Standorte die Grundstückspachten – die höheren Kosten zahlen am Ende alle.

Im Norden und Osten wird viel Solar- und Windstrom erzeugt, der nur begrenzt in die südlichen Verbrauchszentren transportiert werden kann. Der Stromhandel ist dagegen unbeschränkt. Daraus entstehen Belastungen für viele Stromkund:innen, vor allem hohe Netzentgelte. Brauchen wir mehrere Strompreiszonen in Deutschland?

Dass die Stromkund:innen in den nördlichen Bundesländern für den vergleichsweise zügigen Ausbau der Erneuerbaren mit hohen Netzentgelten bestraft werden, während beispielsweise im Wind- und Netzausbau-Blockadeland Bayern die Netzentgelte deutlich niedriger sind, ist ein klarer Missstand.

Daran muss sich dringend etwas ändern, was aber nicht zwingend eine Aufspaltung der einheitlichen Strompreiszone in Deutschland bedeutet. Es gibt auch andere Vorschläge von Energieökonomen, die einen weniger tiefen Eingriff nach sich ziehen würden.

Nachdem die Ampel ihre Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag, die Netzentgelte zu reformieren, bislang nicht in die Tat umgesetzt hat, muss nun der vom Bundeswirtschaftsministerium initiierte Diskussionsprozess zur "Plattform klimaneutrales Stromsystem" einen konsensfähigen Lösungsvorschlag bringen.

 

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Das EU-Gericht in Luxemburg hat die Klagen abgewiesen, die zehn kommunale Versorger und wir gegen den Freigabeentscheid der EU-Kommission zur Übernahme der Eon-Kraftwerke durch RWE eingereicht hatten. Das war zwar zu befürchten, aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt – insofern waren meine Kolleg:innen und ich durchaus frustriert über das Urteil.

Denn man muss sich das mal vor Augen halten: Zwei nationale Platzhirsche teilen sich ungehindert den Markt entlang der Wertschöpfungsstufen untereinander auf. Und, Überraschung, zwei Jahre später bescheinigt das Bundeskartellamt RWE eine "marktbeherrschende Stellung" in der Stromerzeugung. Das kann doch eigentlich nicht sein! 

Fragen: Jörg Staude

Anzeige