Einige Menschen fahren mit dem Fahrrad auf dem schmalden Weg zwischen zwischen Bundeskanzleramt und Spree entlang.
Die neue Bundesregierung muss endlich mit Energiewende und Klimaschutz Ernst machen, sagt Claudia Kemfert. (Foto: Michael Bußmann/​Pixabay)

Klimareporter°: Frau Kemfert, unter dem Eindruck der Flutkatastrophe fordern nun viele mehr oder schnelleren Klimaschutz, allen voran Kanzlerin Merkel. Was sagen Sie dazu?

Claudia Kemfert: Es stimmt, wir müssen viel schneller werden beim Klimaschutz. Ich frage aber auch: Warum haben viele, die heute mehr Tempo fordern, den Klimaschutz so lange so vehement ausgebremst?

Klimaschutz ist Katastrophenschutz. Klimaschutz spart Geld. Und Klimaschutz nützt der Wirtschaft. Mehr Win-win-win geht doch gar nicht. Wir haben kein Erkenntnis-, nur ein Umsetzungsproblem.

Bisher haben viele Politiker offenbar geglaubt, Klimaschäden hinzunehmen sei billiger, als ernsthaften Klimaschutz zu betreiben. Hätten sie früher wissen können, dass diese Rechnung nicht aufgeht?

Klar! Wissenschaftliche Studien warnen seit Jahrzehnten, dass Nichthandeln fatal ist. Die fossilen Energien kommen uns teuer zu stehen. Sehr teuer. Der Nutzen des Klimaschutzes ist viel größer als die Kosten.

Klimaschutz vermeidet Klimaschäden. Und Klimaschutz bringt enorme wirtschaftliche Chancen für viele Branchen – wie Energie, Immobilien, Mobilität, Finanzen und Digitalisierung.

Was glauben Sie, werden die Widerstände nun kleiner?

Die Widerstände werden eher größer, denn jetzt geht es ans Eingemachte. Und die PR-Kampagnen der Bremser wirken leider – etwa wenn es reflexhaft heißt, Deutschland sei nur für zwei Prozent der globalen Emissionen verantwortlich und könne das Weltklima nicht retten.

Fakt ist: Deutschland ist unter den Top Ten der globalen Emittenten, schleppt einen riesigen Rucksack schon entstandener und Jahrzehnte wirkender Treibhausgase mit sich herum und hat als starke Exportnation alle Möglichkeiten, den Klima-Fußabdruck massiv zu senken.

Ganz zu schweigen von den über 190 Ländern, die sich in Paris zum Klimaschutz verpflichtet haben und die zu großen Teilen schon viel weiter sind als Deutschland.

Das Umweltbundesamt hat errechnet, eine Tonne CO2 auszustoßen müsste 195 Euro kosten, um die dadurch ausgelösten Schäden abzudecken. Ist das umsetzbar? Und wie?

Porträtaufnahme von Claudia Kemfert.
Foto: Oliver Betke

Claudia Kemfert

leitet die Energie­abteilung am Deutschen Institut für Wirtschafts­forschung (DIW). Sie ist Professorin für Energie­wirtschaft und Energie­politik an der Universität Lüneburg, außerdem Vize-Vorsitzende des Sach­verständigen­rats für Umwelt­fragen der Bundes­regierung (SRU) und Mitglied im Heraus­geber­rat von Klimareporter°.

Im freien Markt würde der CO2-Emissionsrechtehandel solche Preise durchaus hervorbringen. Dagegen gibt es berechtigten Widerstand, auch aus der Wirtschaft. Wir hatten vorgeschlagen, für die Bereiche Verkehr und Gebäude einen nationalen CO2-Preis einzuführen, der bei 80 Euro pro Tonne CO2 startet und schrittweise bis 2030 auf 180 Euro steigt.

Kluger Klimaschutz schafft zudem soziale Gerechtigkeit und sorgt für sozialen Ausgleich, denn durch eine Rückerstattung der Einnahmen über eine jährliche Pro-Kopf-Klimaprämie entlastet man vor allem Menschen mit wenig Einkommen.

Und: Wenn man fossile Energien verteuert, müssen die Öko-Energien verbilligt und finanzielle Hilfen für den Umstieg gewährt werden.

Um das 1,5-Grad-Limit der globalen Erwärmung einzuhalten, müsste Deutschland Klimaneutralität schon deutlich vor dem Jahr 2045 erreichen, das im neuen Klimaschutzgesetz vorgesehen ist. Wäre das denn überhaupt machbar?

Es ist alles machbar, man muss es nur anpacken.

Heißt: Verdreifachung des jetzigen Ausbautempos der erneuerbaren Energien und Vollversorgung 2035, strengere CO2-Flottengrenzwerten für die Autoindustrie, eine E-Auto-Quote von 25 Prozent ab sofort und von 50 Prozent ab 2025, eine streckenbezogene Pkw-Maut, höhere Diesel- samt CO2-Steuern, eine massive Stärkung des Schienenverkehrs, schneller Ausbau der Ladeinfrastruktur und der Förderung von grünem Wasserstoff für die Industrie.

Wenn wir jetzt den Turbo einlegen, können wir sogar 2040 emissionsfrei sein.

Passt das zum Klimapaket, das die die EU vorige Woche vorgelegt hat? Es peilt 2050 an. Müsste das auch vorgezogen werden? Und ist das überhaupt denkbar, angesichts der Widerstände von Wirtschaftsverbänden oder aus Osteuropa?

Das Klimapaket der EU geht in die richtige Richtung, auch wenn es durchaus ambitionierter hätte sein können und müssen. Dennoch ist es ein Meilenstein. Die Widerstände werden massiv sein.

Was muss die neue Bundesregierung als Erstes tun, um in die Spur zu kommen?

Am dringlichsten ist derzeit der Ausbau erneuerbarer Energien. Auch der Schienenverkehr und die Ladeinfrastruktur müssen massiv ausgebaut werden.

Und mit fortschreitender Erderhitzung müssen wir uns stärker auf Extremereignisse vorbereiten. Je länger wir zögern, desto mehr müssen wir alles auf einmal tun.

Welche Parteien haben Konzepte, die dahin führen könnten?

Die Grünen haben ein detailliertes und ehrliches Programm für Klimaschutz in allen Bereichen, auch die Linken setzen hier Schwerpunkte, fokussiert auf den Aspekt der sozialen Gerechtigkeit.

Die SPD hat ebenso viele gute Ansätze, verkennt aber die großen wirtschaftlichen Chancen beim Ausbau erneuerbarer Energien. Die CDU bekennt sich zum Klimaschutz, bleibt aber vage und ungenau.

Die FDP bekennt sich zum 1,5 Grad-Ziel, verlagert die Klimaschutz-Anstrengungen aber in die weite Welt, was eine Umsetzung unwahrscheinlich macht und der deutschen Wirtschaft wenig hilft.

Konkret: Was wäre die beste Regierungskonstellation?

Die mit dem ambitioniertesten Klimaprogramm.

Anzeige