Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Ralf Schmidt-Pleschka, Koordinator für Energie- und Klimapolitik beim Hamburger Ökostrom-Anbieter Lichtblick.
Klimareporter°: Herr Schmidt-Pleschka, das Bundeskabinett beschloss diese Woche ein neues Klimagesetz mit dem Ziel, dass Deutschland schon 2045 klimaneutral wird – ambitionierte fünf Jahre eher als zuvor. Doch das reicht offenbar immer noch nicht, um das Land auf einen 1,5-Grad Pfad zu bringen. Was meinen Sie, klimapolitisch gesehen: Ist mit dem neuen Gesetz das Glas halb leer oder halb voll?
Ralf Schmidt-Pleschka: Auf jeden Fall halb voll, ich glaube, sogar mehr als das. Denn wir erleben gerade eine Zäsur in der Klimapolitik. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat sehr viel verändert. Ziele allein reichen nicht mehr, es müssen Maßnahmen durchgesetzt werden, um die Ziele zu erreichen. Die bisherige Aufschiebepolitik der Bundesregierung ist damit krachend gescheitert.
Klimaneutralität 2045 reicht für das Paris-Abkommen nicht. Aber wichtiger ist im Moment die Erhöhung des 2030er Ziels auf 65 Prozent CO2-Einsparung. Auch wenn die Noch-Bundesregierung es nicht wahrhaben will: Das geht nur mit vorgezogenem Kohleausstieg, mit deutlich höheren CO2-Preisen und mit wirksamem Klimaschutz im Wärme- und Verkehrsbereich.
Für die nächste Wahlperiode ist ein klimapolitischer Teppich ausgerollt, auf dem man schon vor 2045 klimaneutral werden kann. Die Kunst wird sein, das Momentum klug zu nutzen, sodass eine deutliche Mehrheit der Menschen mitgenommen wird.
Die Beteiligung der Kommunen und der Menschen vor Ort an erneuerbaren Energien ist hierbei ein Schlüssel, der soziale Ausgleich für steigende Heiz- und Mobilitätskosten ein anderer. Klimaschutz darf zum Beispiel nicht dazu führen, dass die Mieten für Normalverdiener unerschwinglich werden.
Und es wird darauf ankommen, dass der Umstieg auf erneuerbare Energien für Verbraucherinnen und Verbraucher attraktiv wird – durch sinkende Energiekosten und neue, alltagstaugliche Technologien und Energiedienstleistungen.
Die Bundesregierung will noch vor der Wahl ein, wenn auch wohl bescheidenes, Paket mit Klimamaßnahmen auf den Weg bringen. Was könnte diese vor dem Ende stehende Koalition noch beschließen?
Das neue Klimapaket zeigt für mich erstmal, dass die Sozialdemokraten recht geschickt in den Wahlkampfmodus umgeschaltet haben. Sie legen vor, die Union muss angesichts des öffentlichen Drucks mitgehen. Der "Klimapakt" ist allerdings mit heißer Nadel gestrickt. Viel Substanzielles findet sich darin nicht. Was jetzt noch umgesetzt werden kann, sind Maßnahmen, auf die sich die Noch-Koalition schnell verständigt.
Es gibt noch drei reguläre Sitzungswochen, dann kommt die Sommerpause mit dem Wahlkampf. Die Energierechtsnovelle ist noch im Beratungsverfahren, an die könnte die Koalition per Änderungsantrag kurzfristig neue Maßnahmen anhängen. Bereits in Verhandlungen sind Union und SPD über Sonderausschreibungen für Wind- und Solarstromanlagen.
Aus dem neuen Klimapaket könnte noch die Übernahme von 50 Prozent der CO2-Mehrkosten für Wärme durchgehen, wenn die Unionsfraktion hier über ihren Schatten springt. Neue Energiestandards für Gebäude wird es aber nicht geben. Die zielen auch laut Umweltministerin Schulze, genau wie das acht Milliarden Euro schwere Klimaschutzprogramm, auf die nächste Wahlperiode.
Das ist auch eine interessante Methode zu regieren: Vier Jahre klimapolitisch abtauchen und am Ende einen Wunschkatalog für die nächste Regierung vorlegen.
Am Mittwoch hat die Bundesregierung auch eine Novelle der Ladesäulenverordnung auf den Weg gebracht. Das soll Autofahrern das Bezahlen an neuen E-Ladesäulen ab 2023 erleichtern. Ein notwendiger Schritt für die Verkehrswende?
Ja, unbedingt. Das Chaos an den Ladesäulen schreckt viele Menschen vom Umstieg auf Elektroautos ab. Das zeigt der Lichtblick-Ladesäulencheck seit Jahren. Wenn jetzt wenigstens beim Bezahlen die heute üblichen Bezahlsysteme zum Einsatz kommen, baut das unnötige Hürden ab.
Leider werden wir aber einen Flickenteppich aus alten Ladepunkten ohne einfache Kartenzahlung und neuen mit bequemen Bezahlsystemen erhalten. Optimal ist das noch nicht.
Nachdem auch die EU ihr Klimaziel erhöht hat, zieht nun der europäische Markt für Verschmutzungsrechte an. Inzwischen liegt der CO2-Preis über 50 Euro. Bewährt sich jetzt das Instrument?
Der CO2-Preis ist immer auch eine Wette auf die Zukunft. Im Moment gehen die betroffenen Akteure offenbar davon aus, dass der Preis künftig noch höher steigt. Und das wirkt: Bei dem Preisniveau kommt niemand mehr auf die Idee, ein neues Kohlekraftwerk zu bauen. Im Gegenteil: Alte Kohlekraftwerke werden wo möglich abgestoßen oder stillgelegt.
Der Emissionshandel drückt also zurzeit tatsächlich klimaschädliche Techniken vom Markt – zumindest im Stromsektor. Bei Wärme und Verkehr reicht das Preisniveau dazu noch lange nicht.
Die Wirkung des Emissionshandels hängt entscheidend davon ab, dass die Zertifikate auch künftig knapp und damit teuer bleiben. Zur Absicherung wäre ein gesetzlich verankerter Mindestpreis für CO2-Zertifikate sehr hilfreich, er würde das künftige Absinken des CO2-Preises verhindern und ihn zu einer verlässlichen Größe für das Erreichen der Klimaziele machen.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Am stärksten hat mich diese Woche natürlich die plötzliche Arbeitswut der Bundesregierung beim Klimaschutz überrascht. Aber es gab auch noch etwas Spezielles. Das Bundeswirtschaftsministerium legte nach langer Debatte endlich eine Verordnung vor, die klären soll, wann Wasserstoff wirklich "grün" ist, also nachweislich mit Ökostrom erzeugt wurde.
Demnach muss der Strom für die grüne Wasserstofferzeugung zu mindestens 85 Prozent aus nicht geförderten Ökostromanlagen in Deutschland stammen und über Ökostromzertifikate, sogenannte Herkunftsnachweise, verfügen.
Ich bin gespannt, wo unter diesen restriktiven Bedingungen der ganze Ökostrom für den Wasserstoff herkommen soll. Spannend ist aber auch, dass die Verordnung vorsieht, das System der Herkunftsnachweise zu überarbeiten. Das Umweltbundesamt soll bis Jahresende dazu einen Vorschlag erarbeiten. Das könnte ein Schritt in einen neuen Ökostrommarkt werden.
Fragen: Jörg Staude und Sandra Kirchner