Porträtaufnahme von Sebastian Sladek.
Sebastian Sladek. (Foto: Bernd Schumacher)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Sebastian Sladek, geschäftsführender Vorstand der Elektrizitätswerke Schönau (EWS).

Klimareporter°: Herr Sladek, Sie sind Geschäftsführer beim Ökostrom-Anbieter EWS Schönau und neues Mitglied im Herausgeberrat von Klimareporter°. Was treibt Sie dabei um?

Sebastian Sladek: Als Genossenschaft, die aus einer Bürger:inneninitiative entstanden ist, treibt uns weit mehr um, als Ökostrom anzubieten. Wir setzen uns für mehr Klimaschutz und für eine beschleunigte Energiewende ein. Und dafür brauchen wir neben guten Ideen, innovativen Ansätzen und der nötigen Technologie auch die Öffentlichkeit. Insofern wollen wir unabhängige Journalist:innen, deren inhaltliche Schwerpunkte sich mit unseren decken, bestmöglich unterstützen.

Ihr Unternehmen, das heute mehr als 200.000 Haushalte und Unternehmen mit Ökostrom und -Gas versorgt, ist ursprünglich nach Tschernobyl als die "Schönauer Stromrebellen" gestartet. Die erstritten damals, in den 1990er Jahren, die Übernahme des örtlichen Stromnetzes, um sich selbst versorgen zu können. Wie viel Rebellentum braucht es heute noch – wo die Energiewende quasi Staatsziel ist?

Die Rhetorik war in den 1990er Jahren sicherlich eine andere. Heute gehört der Klimaschutz in jedes Wahlprogramm und auf jeden Joghurtbecher. Die Energiewende scheint abgemachte Sache und ein klimaneutrales Deutschland nur eine Frage der Zeit.

Für uns bedeutet die Energiewende aber mehr als Lippenbekenntnisse. Das Rebellentum besteht heute darin, das Heft des Handelns selbst in die Hand zu nehmen, also eine umfassende Bürger:innenbeteiligung und einen konsequent dezentralen Ansatz durchzusetzen.

Und ein Stück weit rebellischer müssen wir auch werden, um das Tempo der Energiewende zu erhöhen, um die Verbrennung fossiler Energieträger möglichst rasch zu stoppen. Denn die Lobby der Verbrenner – beim Auto wie bei den Kraftwerken – ist nach wie vor groß.

Wie sieht Ihre Vision des Energiesystems aus?

Sebastian Sladek

ist in Schönau im Schwarzwald aufgewachsen und zur Schule gegangen. Am heimischen Esszimmertisch erlebte er mit, wie seine Eltern mit ihren Mitstreiter:innen gegen die Atomenergie aufbegehrten, "kurzerhand" das Schönauer Stromnetz übernahmen und die Elektrizitätswerke Schönau (EWS) als Bürgergesellschaft gründeten. Nach seinem Archäologiestudium und anschließenden Ausgrabungstätigkeiten kehrte er nach Schönau zurück und trat in die EWS ein. Seit 2011 ist er dort in geschäftsführender Verantwortung, seit 2015 auch Mitglied des Vorstandes. Für die EWS eG verantwortet er den Geschäftsbereich "Politik und Kommunikation".

Am ehesten ist das eine Vision, die ein System gar nicht zulässt. Wenn wir eine Struktur, einen Rahmen schaffen, der die regenerative Energieerzeugung zulässt und fördert, dann werden darin viele Systeme entstehen, die sich gegenseitig stützen.

Wenn wir etwa in Süddeutschland lokal und regional weit mehr Energie als heute aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse produzieren, dann brauchen wir vermutlich nicht die eine große Leitung aus dem Norden zum Transport des Windstroms. Dann produzieren wir genügend Energie vor Ort und brauchen die Stromtrassen nur dazu, Überschüsse und Unterproduktionen je nach Wetterlage auszugleichen.

Es geht also um eine bürger:innengetragene Energieversorgung, die auf rein regenerativer Erzeugung basiert, in einem demokratischen und ökologisch sinnvollen System. Dazu taugen die großen, zentralistisch orientierten Stromkonzerne sicherlich nicht.

Sie wollen die Stromkonzerne auflösen lassen?

Die Entstehungsgeschichte der Elektrizitätswerke Schönau ist die eines Kampfes David gegen Goliath, der Bürger:inneninitiative gegen den großen Stromkonzern, der das Netz nicht aus der Hand geben wollte.

Daran hat sich mit der Liberalisierung des Strommarktes zwar einiges geändert, doch die Dominanz der großen Konzerne ist nach wie vor da. Und das dahinterstehende Oligopol der großen Vier blockiert die Energiewende immer wieder: Sie wollten den Atomausstieg nicht, nicht den Kohleausstieg, jetzt auch nicht den anstehenden Ausstieg aus Erdgas und allen fossilen Energiekonzepten.

Im Management der großen Konzerne geht es nur um die Bilanzen und um das Wohl der Aktionäre. Die Energiewende aber braucht innovative Menschen, die ihre Ideen einbringen, die Strom produzieren und den Energieverbrauch reduzieren. Eben eine von unten, von Bürgerinnen und Bürgern getragene Energiewirtschaft.

Die Bundesregierung will nach dem Richterspruch aus Karlsruhe das Klimaschutzgesetz nun schnell überarbeiten, um es Paris-kompatibel zu machen. Was sagen Sie zu den neuen Plänen?

Immerhin scheint man sich darauf verständigen zu können, dass zumindest das neue EU-Klimaziel noch vor der Sommerpause auch auf nationaler Ebene umgesetzt wird. Eine Stärkung des Klimaziels von minus 55 Prozent CO2 auf minus 65 Prozent bis 2030 ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung.

Allerdings erfüllt das nach unserem Verständnis noch nicht die Anforderungen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Kritisch sehen wir auch, dass bisher nicht klar erkennbar ist, mit welchen Maßnahmen die Bundesregierung die Zielverschärfung erreichen will.

Es scheint zwar absehbar, dass der nationale CO2-Preis kurzfristig angehoben werden soll. Allerdings werden auch 45 Euro pro Tonne im nächsten Schritt nicht ausreichen, um eine entsprechende Lenkungswirkung zu erzielen. Hier bräuchte es mindestens 60 bis 70 Euro pro Tonne CO2.

Weiterhin irritiert uns schon seit der letzten EEG-Novelle, dass die Bundesregierung offenbar ein klares Bekenntnis zu 100 Prozent erneuerbare Energien scheut. Statt die Vollversorgung mit erneuerbaren Energien auch mit einem klaren Jahresziel im Gesetz zu versehen, wird immer mehr von Klimaneutralität fabuliert.

Wir befürchten, dass unter dem Deckmantel der Klimaneutralität auch fossile Energiequellen mittels Einsatz von CCS, also CO2-Abscheidung und -Speicherung, im großen Stil salonfähig gemacht werden sollen. Deswegen braucht es jetzt mehr denn je ein klares Bekenntnis für einen beschleunigten Erneuerbaren-Ausbau.

Die Bundesregierung peilt Klimaneutralität nun für 2045 an. Um das 1,5-Grad-Erwärmungslimit des Pariser Klimavertrags zu erreichen, ist das zu spät. Was meinen Sie, kann das schneller gehen?

Für uns ist die Orientierung am Pariser Klimaschutzziel entscheidend. Eigentlich sollte sich jetzt spätestens mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch die Bundesregierung danach richten.

Nach unserer Überzeugung hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen mit seinem Budgetansatz bisher den zielführendsten Vorschlag vorgelegt, wie man das 1,5-Grad-Ziel von Paris noch einhalten kann. Demnach dürfte die Bundesrepublik nur noch knapp 6,7 Milliarden Tonnen Treibhausgase emittieren, um dazu beizutragen, dass das Erderwärmungslimit eingehalten wird.

Gelingt das nicht, dann könnte es – nach allem, was wir bisher wissen – zu irreversiblen Schäden im Klimasystem kommen. Das sollten wir besser nicht riskieren. Wenn man das also ernst nimmt, dann müssen wir Klimaneutralität 2035 erreichen und nicht erst 2050.

Was müsste dazu geschehen?

Das liegt seit Jahren auf der Hand: drastische Energieeinsparungen und vor allem der forcierte Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland!

Bei Letzterem muss die Bundesregierung endlich die Bremsklötze lösen. Wenn Deutschland bis 2035 klimaneutral werden soll, dann bedeutet das vor allem viel mehr Ökostrom. Wir brauchen ab jetzt mindestens 15.000 Megawatt pro Jahr Zubau bei der Photovoltaik. Dieser sollte möglichst verbrauchsnah erfolgen, um sich zumindest ein wenig aus dem Korsett des leider sehr schleppend verlaufenden Übertragungsnetzausbaus zu lösen.

Hier gilt es, sämtliche Potenziale auf den Dächern endlich auszuschöpfen, nach unserer Einschätzung sind mindestens 140.000 Megawatt Zubau an Kleinanlagen bis 2030 nötig und auch möglich. Ebenso muss die Photovoltaik in der Fläche naturverträglich viel stärker ausgebaut werden als bisher. 5.000 Megawatt pro Jahr halten wir für realistisch.

Beim Ausbau der Windenergie an Land werden mindestens 7.000 bis 10.000 Megawatt pro Jahr erforderlich sein. Das kann alles im Einklang mit Arten- und Naturschutz gelingen, wenn gerade bei der Windenergie einheitliche und verlässliche Artenschutzstandards geschaffen würden und der unfassbare Genehmigungsstau aufgelöst würde.

Ebenso sollten schnellstmöglich die Rahmenbedingungen für eine rechtssichere Beteiligung von Kommunen an der Solarenergie ermöglicht werden. Bürger:innen sollten durch die Ermöglichung gemeinschaftlicher Versorgungskonzepte vor Ort – das sogenannte Energy Sharing – stärker an der Energiewende beteiligt werden. Das erhöht die Akzeptanz bei den Anrainer:innen von Erneuerbaren-Anlagen.

Im Wärmebereich gilt es, den Umstieg auf erneuerbare Wärmetechnologien sowie höhere Sanierungsquoten zu ermöglichen. Der Ausbau von Nahwärmenetzen unter Einbindung lokaler Erneuerbaren-Quellen und Abwärme sowie der Einsatz von Wärmepumpen sollte eine viel höhere Priorität bekommen.

Klar braucht es für eine sektorenübergreifende Dekarbonisierung auch Wasserstoff – vor allem in der energieintensiven Industrie, wo sich bestimmte Prozesse nicht elektrifizieren lassen. Grundvoraussetzung dafür bleibt aber: Der Erneuerbaren-Ausbau muss jetzt erheblich beschleunigt werden.

Eine grundsätzliche Frage: Kann Deutschland sich denn selbst mit Öko-Energie versorgen? Oder braucht es nicht doch Importe, etwa grünen Wasserstoff beziehungsweise synthetische Öko-Kraftstoffe, die in Wüstenregionen hergestellt werden?

Wir sind absolut davon überzeugt, dass so viel Öko-Energie wie möglich in Deutschland erzeugt und vor allem verbrauchsnah bereitgestellt werden sollte. Eine neue Studie von TU Berlin und DIW zeigt, dass dies auch möglich ist, und kommt sogar zu dem Ergebnis, dass wir dadurch auch weniger Netzausbau bräuchten als bisher geplant.

Um hier nicht falsch verstanden zu werden: Es geht nicht darum, eine Insel der Glückseligen aufzubauen oder vollkommende Autarkie anzustreben. Deutschland ist Teil des europäischen Binnenmarktes und das ist auch gut so.

Wir warnen allerdings davor, zu einseitig auf große Importe von beispielsweise grünem Wasserstoff aus der Mena-Region zu setzen. Das ging mit Desertec schon einmal schief. Diese Länder benötigen ebenso ihre erneuerbaren Energien, um ihre eigene Wirtschaft zu dekarbonisieren.

Wir müssen erstmal hier unsere Hausaufgaben machen und viel mehr erneuerbare Stromerzeugung möglichst verbrauchsnah aufbauen. Das ist übrigens auch die Grundvoraussetzung für den Einsatz von Wasserstoff: Dieser muss zwingend aus erneuerbaren Quellen stammen, um nicht den Klimaschutz zu konterkarieren.

Zurück zu Ihrem Kerngeschäft, der Ökostrom-Produktion. Ist Strom hierzulande zu teuer? Oder muss er nicht sogar teuer sein, damit er nicht verschwendet wird?

Beides. Ökostrom ist für sozial Benachteiligte zu teuer. Jahrelang wurde Energie subventioniert, weil die eigentlichen Kosten ­– für atomare Endlager, für den Klimawandel oder für Schäden an der Natur – bei der konventionellen Energieerzeugung einfach herausgerechnet wurden. Heute brauchen wir soziale Konzepte, damit Energie für alle erschwinglich ist.

Um nachhaltig Energie einzusparen, müsste sie selbstverständlich deutlich teurer sein. Das gilt für Benzin und Heizöl genauso wie für Strom. Dennoch sehe ich in der Bevölkerung ein stetig wachsendes Bewusstsein dafür, dass der Strom nicht einfach so aus der Steckdose kommt, sondern erzeugt werden muss. Die Akzeptanz für den Klimaschutz und für die Energiewende ist deutlich gewachsen – und damit auch das Verständnis dafür, dass wir Energie sparen sollten.

Die Groko will die EEG-Umlage weiter senken – durch Zuschüsse aus dem Bundesetat. Der richtige Weg?

Aus unserer Sicht geht das grundsätzlich in die richtige Richtung. Wir plädieren seit Jahren ganz klar für eine ambitionierte und verlässliche CO2-Bepreisung sowie eine umfassende Reform der Abgaben, Entgelte und Umlagen auf Strom. Deshalb haben wir auch mit vielen anderen Mitstreiter:innen 2017 den Verein CO2-Abgabe mitgegründet, der diese Position im politischen Berlin vertritt.

Nun gibt es ja seit Anfang 2021 das BEHG, das Brennstoffemissionshandelsgesetz, das immerhin nun auch für die Sektoren Wärme und Verkehr eine CO2-Bepreisung vorsieht. Wir sind nicht glücklich mit dem Instrument – auch weil der CO2-Einstiegspreis zu gering ist, kein ambitionierter Preispfad vorliegt und sich zahlreiche Ausnahmetatbestände abzeichnen, die die Lenkungswirkung erheblich schwächen. Hier gibt es noch viel zu verbessern.

Dennoch ist der mit dem BEHG verbundene Mechanismus – die Absenkung der EEG-Umlage mit den Einnahmen aus dem System zu finanzieren – grundsätzlich richtig. Die EEG-Umlage sollte dabei aber nicht nur abgesenkt, sondern tatsächlich auf null gesetzt werde, denn es ist nicht nachvollziehbar, warum die Kosten für den Erneuerbaren-Ausbau so einseitig über den Energieträger Strom finanziert werden.

Außerdem würde dies viele bürokratische Hürden abbauen und den Einsatz von erneuerbarem Strom in den Sektoren Wärme und Verkehr beschleunigen. Eine effizientere Sektorenkopplung ist aus unserer Sicht Grundvoraussetzung für die vollständige Dekarbonisierung des Gesamtsystems.

Sie bieten inzwischen auch Biogas an. Wie viel Biogas kann in Deutschland denn umweltverträglich hergestellt werden, um Erdgas zu ersetzen?

Grundsätzlich geht es nicht darum, Erdgas durch Biogas zu ersetzen. Auch beim Erdgas-Ausstieg braucht es mehrere Wege. Da Erdgas in allererster Linie zum Heizen benötigt wird, geht es darum, Einsparung und Substituierung gleichzeitig anzugehen.

Bei der Isolierung des Gebäudebestands ist – im wahrsten Sinne des Wortes – noch viel Luft nach oben. Wir selbst investieren in Nahwärmenetze, die vorrangig mit Holz aus dem Schwarzwald betrieben werden. Auch hierin liegt noch viel Potenzial. Hinzu kommen Wärmepumpen, Erdwärme, Solarthermie und noch einiges mehr.

Biogas, wie wir es uns wünschen und das wir anbieten, darf nicht aus tropischen Pflanzen gewonnen werden und auch nicht aus hiesiger Monokultur. Wir brauchen Biogas aus der Landwirtschaft, aus Müll, aus Kläranlagen. Und das kann Erdgas nur zu einem kleinen Teil ersetzen.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Mit überraschend gutem Timing hat der 5. Mai als "Erdüberlastungstag" die Bedeutung des Karlsruher Urteils nochmal klar unterstrichen – seit Donnerstag verspeisen wir die Zukunft. Wir brauchen aber nicht nur Zahlen für die Zukunft, davon haben wir tatsächlich schon einige. Viel dringender brauchen wir endlich den Mut zum entschlossenen Handeln!

Fragen: Joachim Wille

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