Auf dem Podium von links: Robert Habeck, Simone Peter, BEE-Geschäftsführer Wolfram Axthelm, Barbara Praetorius und Arndt Müller, Vorstand der Stadtwerke Trier. (Bild: Jörg Staude)

In Deutschland ist der politische Zeitplan aus den Fugen. Während die Erneuerbaren-Branche auf dem Berliner Euref-Campus am Donnerstag ihren Jahresauftakt 2024 startete, hastete Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vermutlich gerade aus der laufenden Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses im Bundestag.

Habeck hatte dort noch um den Umgang mit den Milliarden gestritten, die der Ampel im Herbst vom Bundesverfassungsgericht aus dem Klima- und Transformationsfonds gestrichen wurden.

Ob er dort noch etwas erreicht hat, gab der Minister dann bei der vom Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) ausgerichteten Veranstaltung nicht preis. Auch seine angekündigte Grundsatzrede hielt er nicht, sondern beschränkte sich zunächst auf einen Rückblick.

So habe die Ampel-Regierung innerhalb kurzer Zeit den bereits 2012 beschlossenen Netzausbau auf den Weg gebracht, lobte Habeck. Auch der 2023er Rekordwert beim Photovoltaik-Ausbau sowie der gegenüber 2022 um die Hälfte größere Windkraft-Zubau an Land fehlten in der Rückschau nicht.

Letzterem sagte Habeck für 2024 einen Zuwachs von 6.000 Megawatt voraus. Die Branche selbst rechnet mit etwas mehr als 4.000 Megawatt.

Bald sei auch mit der Vorlage der Kraftwerksstrategie zu rechnen, kündigte Habeck an. Ohne die Haushaltskrise wäre der Entwurf wohl noch vor Weihnachten fertig geworden, sagte er.

Hinzuzufügen ist: Laut Klimareporter° vorliegenden Planungen aus dem Wirtschaftsministerium sollen bis zum 21. Februar das Solarpaket wie auch das novellierte Klimaschutzgesetz vom Bundestag beschlossen werden.

"Das Kreuz durchdrücken"

Die aus den Fugen geratenen Verhältnisse prägten auch die Ansprache von BEE-Präsidentin Simone Peter. Es werde immer schwieriger, auf wissenschaftlicher Faktenbasis zu argumentieren, sagte sie. "Der Diskurs ist oft von Stimmungsmache getrieben, gerade auch von populistischen Parteien", bedauerte Peter. Dazu kämen Umsturz-, Verschwörungs- und Vertreibungsphantasien.

"Wir finden, dass man in dieser Situation das Kreuz durchdrücken und aufrichtig bleiben muss", betonte die BEE-Chefin. Die Branche unterstütze dabei die Demokraten in der Politik, die sich dafür einsetzten, dass der rechte Rand nicht erstarkt.

Für 2024 fordere die Branche ein weiter hohes Reformtempo, so Peter weiter. Dazu zählten ein schnelleres Genehmigen und Flächenbereitstellen, weniger Bürokratie, Digitalisierung und anderes mehr.

Die gesetzliche Festlegung, dass der Ausbau der Erneuerbaren nunmehr in einem überragenden öffentlichen Interesse liege, sei noch nicht bei allen Ländern und Kommunen und auch nicht für alle Technologien angekommen, kritisierte die BEE-Präsidentin.

Wichtig sei vor allem, dass die Branche Planungssicherheit über die Legislaturperiode hinaus bekomme, erklärte Peter. Mit der Forderung "Planungssicherheit über die Legislatur hinaus schaffen!" übertitelte der Verband auch gleich die entsprechende Presseerklärung zum Jahresauftakt.

"Das Handlungsfenster schließt sich", warnte Peter auf der Veranstaltung. Das wüssten alle, man brauche aber noch eine Reihe gesetzlicher Initiativen in den nächsten Monaten.

"Zentral" muss nicht Großkraftwerke heißen

Auch wenn sich die Branche beim Jahresauftakt eher entschlossen zeigte, dem Wirtschaftsminister den Rücken zu stärken als die Probleme aufzulisten, zeichneten sich doch zwei Dissenspunkte deutlich ab.

Der erste: Die Branche präferiert weiterhin ein dezentrales Backup aus Erneuerbaren, Speichern und Sektorkopplung für die Zeiten, wenn Wind und Sonne den Strombedarf nicht decken können. All dies müsse zu einem Energiewirtschaftspaket geschnürt werden, das die Stromversorgung dauerhaft sichere, bekräftigte BEE-Chefin Peter.

Unterstützung erhielt die Branche hier beim Jahresauftakt von Barbara Praetorius von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Es brauche den richtigen Mix aus dezentralen und zentralen Optionen, betonte die Volkswirtschaftlerin. Mit "zentral" meine sie aber nicht so sehr Großkraftwerke, so Praetorius, vielmehr müssten die kleineren Anlagen "im Großen" verbunden sein.

Ein gut ausgebautes Stromnetz, einschließlich des europäischen Stromverbunds, sei deswegen eine wichtige Flexibilitätsoption, betonte die Wissenschaftlerin. "Die günstigste Lösung kann geschaffen werden, wenn man großräumig intelligent vernetzt – ansonsten wird es teuer."

Bei den Flexibilitäten müsse zudem nicht nur auf die Erzeugung, sondern auch auf die Nachfrageseite geschaut werden, wies Praetorius unter anderem auf das Stichwort Lastmanagement hin.

 

Wirtschaftsminister Habeck ließ sich auf keine Zentral-Dezentral-Debatte ein, sondern rückte die anstehende Entscheidung in den Vordergrund, welche Erzeugungskapazitäten vorrätig gehalten werden müssen. Dies ist nach seiner Auffassung eine "No regret"-Entscheidung – also eine, die man später in keinem Fall bedauert.

Habeck säte in dem Zusammenhang Zweifel an der Verlässlichkeit des europäischen Stromverbundes und stellte dann die Frage: "Wollen wir uns eine gewisse Überkapazität leisten, um die Volkswirtschaft immer robust zu halten?" Diese Frage bejahe er.

Daraus folgt für den Minister dann die weitere Frage, ob Deutschland bereit ist, zusätzliches Geld in die Hand zu nehmen, um diese Kapazitäten zu schaffen, die dann vielleicht gar nicht abgerufen würden. Hier könne man, so Habeck, politisch knapper oder großzügiger entscheiden. Er plädiere aber für eine gewisse Resilienz.

Habeck bremst bei Biomasse

Ein weiterer Dissens zwischen Erneuerbaren-Branche und Wirtschaftsminister zeigte sich in der Bewertung der Bioenergie. BEE-Präsidentin Peter beklagte, die Ergebnisse der jüngsten Ausschreibungen für Bioenergie seien "richtig, richtig bitter" gewesen. Die Branche sehe für sich und ihre zigtausenden Arbeitsplätze derzeit keine Perspektive und erwarte von der Regierung eine ambitionierte Biomassestrategie.

Habeck entgegnete, die Biomasse-Kapazitäten hierzulande seien begrenzt, wenn man nicht überall Maisanbau haben wolle, was dann auf Kosten der Ernährungswirtschaft und der Rückzugsorte für die Natur gehe.

Der Minister bezifferte den möglichen Beitrag von Bioenergie zu künftigen Backup-Kapazitäten auf 4.000 bis 6.000 Megawatt. Er habe noch kein Szenario gesehen, bei dem die gesamte steuerfähige Erzeugung aus Biomasse komme, sagte Habeck.

So ein Szenario wird allerdings auch nicht ernsthaft diskutiert. Simone Peter beharrte ihrerseits darauf, dass Bioenergie zumindest auf Augenhöhe mit anderen Backup-Möglichkeiten – wie zunächst Erdgas und später Wasserstoff – behandelt werden müsse. Dann werde man sehen, wer am Ende schneller und verlässlicher Versorgungssicherheit schaffe.

In dem Punkt ist die Branche offenbar gewillt, über den Minister hinaus zu denken.